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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Griechenland

Zeiten Fichtes, in welchen die Forderung noch einem geschlossenen Handelsstaat
erhoben werden konnte, find für Deutschland vorbei. Wenn auch in letzter Zeit
unter dem Schlagwort "Mitteleuropa" Gedanken neu zu erstehen scheinen, die
einem geschlossenen, alle verbündeten mitteleuropäischen Staaten umfassende"
Wirtschaftsbund entgegenstreben, so darf dies nicht zu Mißverständnissen Veranlafsims;
geben; nicht: "Mitteleuropa oder Welthandelsstaat" lautet die Forderung der
nächsten Zukunft, sondern: "das wirtschaftlich zusammengeschlossene Mitteleuropa
als weitgegründeter, starker und sicherer Untergrund eines sich mächtig ent¬
faltenden Welthandels aller beteiligten Handelsstaaten."




Griechenland
Line politische Skizze auf geographischer Grundlage
Dr. Otto Markt von

ange Zeit berichtete fast jede Kunde aus Griechenland von einer
neuen schamlosen Vergewaltigung des griechischen Staates durch
die Ententemächte. Anscheinend haben die Bemühungen unserer
Feinde ihr Ziel erreicht und die nahezu völlige Nachgiebigkeit
dieses unselbständigsten, doch auch zugleich bedauernswertesten
aller politischen Organismen, die der Weltkrieg nicht unmittelbar ergriffen hat,
erzwungen. Hat damit aber die Kriegsgeschichte einen eindeutigen politischen
Sieg der Entente zu verzeichnen oder erheischen die Verhältnisse doch noch eine
andere Erklärung? Konnte denn Griechenland überhaupt anders handeln?
Die geringe Weltgeltung des griechischen Staatswesens, die sich in diesem kraft¬
losen Verhalten ausdrückt, ist zum guten Teil in den geographischen Grund¬
lagen zu suchen; mit dieser Erkenntnis rückt die politische Haltung Griechenlands
w ein völlig anderes, aber auch weit helleres Licht, als sie sich ohne eine solche
Verachtung erfreute.

Die Weltgeltung eines Landes hängt in allererster Linie von seiner Lage
ab; und gerade Griechenlands Lage am äußersten Rande Südosteuropas, an
der Schwelle des Orients hat stets die Geschichte seiner Bewohner aufs ein¬
schneidendste beeinflußt, hat Griechenland nie eigentlich als Faktor der rein
europäischen Politik in Betracht kommen lassen, sondern ihm immer nur eine
nule auf der orientalischen Schaubühne zuerteilt. Dafür hat auch der gegen-


Griechenland

Zeiten Fichtes, in welchen die Forderung noch einem geschlossenen Handelsstaat
erhoben werden konnte, find für Deutschland vorbei. Wenn auch in letzter Zeit
unter dem Schlagwort „Mitteleuropa" Gedanken neu zu erstehen scheinen, die
einem geschlossenen, alle verbündeten mitteleuropäischen Staaten umfassende»
Wirtschaftsbund entgegenstreben, so darf dies nicht zu Mißverständnissen Veranlafsims;
geben; nicht: „Mitteleuropa oder Welthandelsstaat" lautet die Forderung der
nächsten Zukunft, sondern: „das wirtschaftlich zusammengeschlossene Mitteleuropa
als weitgegründeter, starker und sicherer Untergrund eines sich mächtig ent¬
faltenden Welthandels aller beteiligten Handelsstaaten."




Griechenland
Line politische Skizze auf geographischer Grundlage
Dr. Otto Markt von

ange Zeit berichtete fast jede Kunde aus Griechenland von einer
neuen schamlosen Vergewaltigung des griechischen Staates durch
die Ententemächte. Anscheinend haben die Bemühungen unserer
Feinde ihr Ziel erreicht und die nahezu völlige Nachgiebigkeit
dieses unselbständigsten, doch auch zugleich bedauernswertesten
aller politischen Organismen, die der Weltkrieg nicht unmittelbar ergriffen hat,
erzwungen. Hat damit aber die Kriegsgeschichte einen eindeutigen politischen
Sieg der Entente zu verzeichnen oder erheischen die Verhältnisse doch noch eine
andere Erklärung? Konnte denn Griechenland überhaupt anders handeln?
Die geringe Weltgeltung des griechischen Staatswesens, die sich in diesem kraft¬
losen Verhalten ausdrückt, ist zum guten Teil in den geographischen Grund¬
lagen zu suchen; mit dieser Erkenntnis rückt die politische Haltung Griechenlands
w ein völlig anderes, aber auch weit helleres Licht, als sie sich ohne eine solche
Verachtung erfreute.

Die Weltgeltung eines Landes hängt in allererster Linie von seiner Lage
ab; und gerade Griechenlands Lage am äußersten Rande Südosteuropas, an
der Schwelle des Orients hat stets die Geschichte seiner Bewohner aufs ein¬
schneidendste beeinflußt, hat Griechenland nie eigentlich als Faktor der rein
europäischen Politik in Betracht kommen lassen, sondern ihm immer nur eine
nule auf der orientalischen Schaubühne zuerteilt. Dafür hat auch der gegen-


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[0090] Griechenland Zeiten Fichtes, in welchen die Forderung noch einem geschlossenen Handelsstaat erhoben werden konnte, find für Deutschland vorbei. Wenn auch in letzter Zeit unter dem Schlagwort „Mitteleuropa" Gedanken neu zu erstehen scheinen, die einem geschlossenen, alle verbündeten mitteleuropäischen Staaten umfassende» Wirtschaftsbund entgegenstreben, so darf dies nicht zu Mißverständnissen Veranlafsims; geben; nicht: „Mitteleuropa oder Welthandelsstaat" lautet die Forderung der nächsten Zukunft, sondern: „das wirtschaftlich zusammengeschlossene Mitteleuropa als weitgegründeter, starker und sicherer Untergrund eines sich mächtig ent¬ faltenden Welthandels aller beteiligten Handelsstaaten." Griechenland Line politische Skizze auf geographischer Grundlage Dr. Otto Markt von ange Zeit berichtete fast jede Kunde aus Griechenland von einer neuen schamlosen Vergewaltigung des griechischen Staates durch die Ententemächte. Anscheinend haben die Bemühungen unserer Feinde ihr Ziel erreicht und die nahezu völlige Nachgiebigkeit dieses unselbständigsten, doch auch zugleich bedauernswertesten aller politischen Organismen, die der Weltkrieg nicht unmittelbar ergriffen hat, erzwungen. Hat damit aber die Kriegsgeschichte einen eindeutigen politischen Sieg der Entente zu verzeichnen oder erheischen die Verhältnisse doch noch eine andere Erklärung? Konnte denn Griechenland überhaupt anders handeln? Die geringe Weltgeltung des griechischen Staatswesens, die sich in diesem kraft¬ losen Verhalten ausdrückt, ist zum guten Teil in den geographischen Grund¬ lagen zu suchen; mit dieser Erkenntnis rückt die politische Haltung Griechenlands w ein völlig anderes, aber auch weit helleres Licht, als sie sich ohne eine solche Verachtung erfreute. Die Weltgeltung eines Landes hängt in allererster Linie von seiner Lage ab; und gerade Griechenlands Lage am äußersten Rande Südosteuropas, an der Schwelle des Orients hat stets die Geschichte seiner Bewohner aufs ein¬ schneidendste beeinflußt, hat Griechenland nie eigentlich als Faktor der rein europäischen Politik in Betracht kommen lassen, sondern ihm immer nur eine nule auf der orientalischen Schaubühne zuerteilt. Dafür hat auch der gegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/90>, abgerufen am 12.01.2025.