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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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es durchaus irrtümlich, für irgendeines dieser Länder auf Grund seines Sonder-
charakters ein besonderes Anrecht auf Angliederung an das Deutsche Reich
herzuleiten. Nicht zum geringsten Teil ist diese kulturelle Geschlossenheit des
Deutschbaltentums auf den russischen Druck zurückzuführen, der auf allen drei
Provinzen gleichmäßig lastete. Gerade hier nun erhellt das mitteleuropäische
Interesse, das für eine Angliederung des ganzen baltischen Landes spricht.
Die kapitalistische Liberalisierung, die sich in jüngster Zeit im russischen Agrar-
wesen gegen den ursprünglichen Kommunismus durchsetzte, hat bekanntlich einen
Landhunger im russischen Mushik erweckt., den man mit Recht als Volks-
imperialismus bezeichnet hat. Es ist damit zu rechnen, daß dieser sich auch
beim Wechsel der Regierungsform auf die Dauer behaupten wird, da er auf
der Linie des Fortschritts über die erstarrten zaristischen Gesellschaftsformen
hinaus liegt. Daher werden auch die Siedlungspläne Stolyvws und Krwo-
scheins aller Voraussicht nach die gestürzte Selbstherrschaft überleben. Und es
werden mit der Zeit auch die Pläne Wiederaufleben, das baltische Land mit
großrussischen Bauern zu besiedeln und damit auch ethnographisch die russische
Grenze um einige hundert Kilometer voranzurücken, die Grenze Mitteleuropas
damit ebensoweit zurückzudrängen. So krönt sich das nationalpolitische Interesse,
das wir als Deutsche so gut wie als Mitteleuropäer an einem Erwerb des
ganzen baltischen Landes haben. Nicht sowohl das Beharren des Russentums
im baltischen Land gilt es zu verhindern -- denn kulturell gehört das Land
noch immer gar nicht zu Rußland -- dagegen gilt es. dem drohenden Vor-
rücken der slawischen Welle nach Mitteleuropa, der radikalen Verdrängung der
deutsch-protestantischen Kultur im baltischen Land in zwölfter Stunde ein festes
Bollwerk entgegenzusetzen. Und das kann nur geschehen, indem das ganze
Baltenland dem Deutschen Reich wieder einverleibt wird, zu dem es fast vier¬
hundert Jahre lang gehört hat.

Soweit die baltische Frage mit ihren inneren, vom Augenblicke unab¬
hängigen Notwendigkeiten. Und nun zum Gebot und den Erlaubnissen der
Stunde. In der Tat haben wir, wie Volk und Regierung der Mittelmächte
wiederholt einmütig betont haben, nicht den geringsten Anlaß, uns in die
innerrussischen Verhältnisse als solche einzumischen. Und zu einer Wiederauf.
richtung des Zarismus sind wir um so weniger gedrängt, als er seit den
ätzten Jahrzehnten keinerlei Gewähr für ein erträgliches Verhältnis zwischen
uns und unserem östlichen Nachbarn geboten hat. Eine etwaige Wieder¬
annäherung würde bei der schwankenden Machtgrundlage eines solchen
Restaurationsregimes keinerlei Bürgschaft für dauernden Bestand bieten können.
Daß aber im russischen Volk durch diesen Krieg eine nachhaltige Gegnerschaft
gegen Mitteleuropa Fuß gefaßt hat. die selbst durch eine durchaus denkbare
und wünschenswerte Wiederannäherung nach dem Krieg nicht aus der Well
geschafft wird, darüber sollten wir uns gerade er dieser entscheidenden Stunde
keinerlei verhängnisvoller Täuschung hingeben. Wenn heute die Friedensschn-


es durchaus irrtümlich, für irgendeines dieser Länder auf Grund seines Sonder-
charakters ein besonderes Anrecht auf Angliederung an das Deutsche Reich
herzuleiten. Nicht zum geringsten Teil ist diese kulturelle Geschlossenheit des
Deutschbaltentums auf den russischen Druck zurückzuführen, der auf allen drei
Provinzen gleichmäßig lastete. Gerade hier nun erhellt das mitteleuropäische
Interesse, das für eine Angliederung des ganzen baltischen Landes spricht.
Die kapitalistische Liberalisierung, die sich in jüngster Zeit im russischen Agrar-
wesen gegen den ursprünglichen Kommunismus durchsetzte, hat bekanntlich einen
Landhunger im russischen Mushik erweckt., den man mit Recht als Volks-
imperialismus bezeichnet hat. Es ist damit zu rechnen, daß dieser sich auch
beim Wechsel der Regierungsform auf die Dauer behaupten wird, da er auf
der Linie des Fortschritts über die erstarrten zaristischen Gesellschaftsformen
hinaus liegt. Daher werden auch die Siedlungspläne Stolyvws und Krwo-
scheins aller Voraussicht nach die gestürzte Selbstherrschaft überleben. Und es
werden mit der Zeit auch die Pläne Wiederaufleben, das baltische Land mit
großrussischen Bauern zu besiedeln und damit auch ethnographisch die russische
Grenze um einige hundert Kilometer voranzurücken, die Grenze Mitteleuropas
damit ebensoweit zurückzudrängen. So krönt sich das nationalpolitische Interesse,
das wir als Deutsche so gut wie als Mitteleuropäer an einem Erwerb des
ganzen baltischen Landes haben. Nicht sowohl das Beharren des Russentums
im baltischen Land gilt es zu verhindern — denn kulturell gehört das Land
noch immer gar nicht zu Rußland — dagegen gilt es. dem drohenden Vor-
rücken der slawischen Welle nach Mitteleuropa, der radikalen Verdrängung der
deutsch-protestantischen Kultur im baltischen Land in zwölfter Stunde ein festes
Bollwerk entgegenzusetzen. Und das kann nur geschehen, indem das ganze
Baltenland dem Deutschen Reich wieder einverleibt wird, zu dem es fast vier¬
hundert Jahre lang gehört hat.

Soweit die baltische Frage mit ihren inneren, vom Augenblicke unab¬
hängigen Notwendigkeiten. Und nun zum Gebot und den Erlaubnissen der
Stunde. In der Tat haben wir, wie Volk und Regierung der Mittelmächte
wiederholt einmütig betont haben, nicht den geringsten Anlaß, uns in die
innerrussischen Verhältnisse als solche einzumischen. Und zu einer Wiederauf.
richtung des Zarismus sind wir um so weniger gedrängt, als er seit den
ätzten Jahrzehnten keinerlei Gewähr für ein erträgliches Verhältnis zwischen
uns und unserem östlichen Nachbarn geboten hat. Eine etwaige Wieder¬
annäherung würde bei der schwankenden Machtgrundlage eines solchen
Restaurationsregimes keinerlei Bürgschaft für dauernden Bestand bieten können.
Daß aber im russischen Volk durch diesen Krieg eine nachhaltige Gegnerschaft
gegen Mitteleuropa Fuß gefaßt hat. die selbst durch eine durchaus denkbare
und wünschenswerte Wiederannäherung nach dem Krieg nicht aus der Well
geschafft wird, darüber sollten wir uns gerade er dieser entscheidenden Stunde
keinerlei verhängnisvoller Täuschung hingeben. Wenn heute die Friedensschn-


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[0146] es durchaus irrtümlich, für irgendeines dieser Länder auf Grund seines Sonder- charakters ein besonderes Anrecht auf Angliederung an das Deutsche Reich herzuleiten. Nicht zum geringsten Teil ist diese kulturelle Geschlossenheit des Deutschbaltentums auf den russischen Druck zurückzuführen, der auf allen drei Provinzen gleichmäßig lastete. Gerade hier nun erhellt das mitteleuropäische Interesse, das für eine Angliederung des ganzen baltischen Landes spricht. Die kapitalistische Liberalisierung, die sich in jüngster Zeit im russischen Agrar- wesen gegen den ursprünglichen Kommunismus durchsetzte, hat bekanntlich einen Landhunger im russischen Mushik erweckt., den man mit Recht als Volks- imperialismus bezeichnet hat. Es ist damit zu rechnen, daß dieser sich auch beim Wechsel der Regierungsform auf die Dauer behaupten wird, da er auf der Linie des Fortschritts über die erstarrten zaristischen Gesellschaftsformen hinaus liegt. Daher werden auch die Siedlungspläne Stolyvws und Krwo- scheins aller Voraussicht nach die gestürzte Selbstherrschaft überleben. Und es werden mit der Zeit auch die Pläne Wiederaufleben, das baltische Land mit großrussischen Bauern zu besiedeln und damit auch ethnographisch die russische Grenze um einige hundert Kilometer voranzurücken, die Grenze Mitteleuropas damit ebensoweit zurückzudrängen. So krönt sich das nationalpolitische Interesse, das wir als Deutsche so gut wie als Mitteleuropäer an einem Erwerb des ganzen baltischen Landes haben. Nicht sowohl das Beharren des Russentums im baltischen Land gilt es zu verhindern — denn kulturell gehört das Land noch immer gar nicht zu Rußland — dagegen gilt es. dem drohenden Vor- rücken der slawischen Welle nach Mitteleuropa, der radikalen Verdrängung der deutsch-protestantischen Kultur im baltischen Land in zwölfter Stunde ein festes Bollwerk entgegenzusetzen. Und das kann nur geschehen, indem das ganze Baltenland dem Deutschen Reich wieder einverleibt wird, zu dem es fast vier¬ hundert Jahre lang gehört hat. Soweit die baltische Frage mit ihren inneren, vom Augenblicke unab¬ hängigen Notwendigkeiten. Und nun zum Gebot und den Erlaubnissen der Stunde. In der Tat haben wir, wie Volk und Regierung der Mittelmächte wiederholt einmütig betont haben, nicht den geringsten Anlaß, uns in die innerrussischen Verhältnisse als solche einzumischen. Und zu einer Wiederauf. richtung des Zarismus sind wir um so weniger gedrängt, als er seit den ätzten Jahrzehnten keinerlei Gewähr für ein erträgliches Verhältnis zwischen uns und unserem östlichen Nachbarn geboten hat. Eine etwaige Wieder¬ annäherung würde bei der schwankenden Machtgrundlage eines solchen Restaurationsregimes keinerlei Bürgschaft für dauernden Bestand bieten können. Daß aber im russischen Volk durch diesen Krieg eine nachhaltige Gegnerschaft gegen Mitteleuropa Fuß gefaßt hat. die selbst durch eine durchaus denkbare und wünschenswerte Wiederannäherung nach dem Krieg nicht aus der Well geschafft wird, darüber sollten wir uns gerade er dieser entscheidenden Stunde keinerlei verhängnisvoller Täuschung hingeben. Wenn heute die Friedensschn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/146>, abgerufen am 12.01.2025.