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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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übertragen; sollte es nicht imstande sein, das Imperium auch einem anderen,
ihm dienstgesälligeren Volke zu verleihen?

Man erkennt leicht: diese Entwicklung, unvermeidbar dank der Befreiung
des Papsttums von der Unterordnung unter das Kaisertum und dank dem
Fehlen einer Erbfolgeordnung im deutschen Königtum, beeinflußte den mittel¬
alterlichen Imperialismus insofern, als sie dem Kaiser einen Borgesetzten gab,
eben den Papst. Sie hob die unmittelbare und ausschließliche Abhängigkeit
des Kaisers von Gott auf, zerstörte also seine Souveränität im Sinne des
Mittelalters und gewährte dem Papst eine Machtfülle, in der das Recht zur
Herrschaft über die Kirche mit dem zur Leitung des Kaisertums sich aufs engste
verband. Der Kaiser war ein Laie, der Papst der Geistliche. Jener repräsentierte
des Imperium, dieser das Sacerdotium, jener den Staat mit seinen irdischen
Aufgaben, dieser die Kirche mit ihrem das Diesseits und das Jenseits er¬
fassender Daseinszweck. Indem die Kirche durch den Papst die Kaiserwürde
verlieh, jene Befugnis und jene Obliegenheit, mit den Mitteln des weltlichen
Schwerts den Glauben des Christentums zu beschirmen und allenthalben zum
Siege zu bringen, wurde der Kaiser zum Beamten der Kirche, zu ihrem Vogt?
herabgedrückt; denn "wie die Rinde den Baum äußerlich deckt und schützt und
mit ihm einen Leib bildet, so muß der Kaiser, mit dem zeitlichen Schwert an die
Außenseite der Kirche gestellt, diese wenn nötig mit dem eigenen Blute
verteidigen."^) Der Imperialismus des Mittelalters, von Haus aus religiös
gefärbt und universalistisch aufgefaßt gleich dem Christentum, hatt" fortan
seine grundsätzliche Billigung von der Kirche als der Hüterin der rechtmäßige"
Lehre zu erborgen. Wohl blieb er sich in seiner transzendentalen Zielsetzung durch
die Jahrhunderte hindurch gleich, wohl verlangte er nach wie vor die Weltherrschaft
für sich, sein Reich aber war nicht mehr das unmittelbar von Gott dem einzelnen
Kaiser anvertraute Erbe, sondern war zum köstlichen Besitz der Kirche geworden,
die darüber durch die Hand des Papstes verfügte. Das Reich Karls und das
Reich Ottos des Großen waren Machtgebilde augenblicklicher politischer Gcsamt-
konstellationen gewesen. Die Vorstellung Seins Zusammenhangs, seines Eins-
scins mit dem altrömischen Reiche forderte von ihm ewige Tauer. aller politischen
Verschiebungen ungeachtet. Was Ausdruck eines in dieser Art nie wieder¬
kehrenden Moments gewesen war, die Kaiserkrönung vom Jahre 800 wie
nicht weniger die von 962, sollte bei jeder folgenden Kaiserkrönung in Er¬
scheinung treten und die höchste Machtfülle des Monarchen wie auch Gottes
Ratschluß an den Tag stellen. Die Kaiserkrönungen durch die Päpste
und durch sie allein verschoben die Wertung des Kaisertums: es wurde
aus dem gottgewollten Herrschertum über die Welt papstgewollte Veamtung
der römischen, die Welt umfassenden Kirche. Noch zu Beginn des dreizehnten
Jahrhunderts lehrte der wackere Eile von Nepgow im Anfang seines "Sachsen¬
spiegels": " Zwei Schwerter ließ Gott auf Erden, zu beschirmen die Christenheit;
dem Papst ist gesetzt das geistliche, dem Kaiser das weltliche", -- noch standen


übertragen; sollte es nicht imstande sein, das Imperium auch einem anderen,
ihm dienstgesälligeren Volke zu verleihen?

Man erkennt leicht: diese Entwicklung, unvermeidbar dank der Befreiung
des Papsttums von der Unterordnung unter das Kaisertum und dank dem
Fehlen einer Erbfolgeordnung im deutschen Königtum, beeinflußte den mittel¬
alterlichen Imperialismus insofern, als sie dem Kaiser einen Borgesetzten gab,
eben den Papst. Sie hob die unmittelbare und ausschließliche Abhängigkeit
des Kaisers von Gott auf, zerstörte also seine Souveränität im Sinne des
Mittelalters und gewährte dem Papst eine Machtfülle, in der das Recht zur
Herrschaft über die Kirche mit dem zur Leitung des Kaisertums sich aufs engste
verband. Der Kaiser war ein Laie, der Papst der Geistliche. Jener repräsentierte
des Imperium, dieser das Sacerdotium, jener den Staat mit seinen irdischen
Aufgaben, dieser die Kirche mit ihrem das Diesseits und das Jenseits er¬
fassender Daseinszweck. Indem die Kirche durch den Papst die Kaiserwürde
verlieh, jene Befugnis und jene Obliegenheit, mit den Mitteln des weltlichen
Schwerts den Glauben des Christentums zu beschirmen und allenthalben zum
Siege zu bringen, wurde der Kaiser zum Beamten der Kirche, zu ihrem Vogt?
herabgedrückt; denn „wie die Rinde den Baum äußerlich deckt und schützt und
mit ihm einen Leib bildet, so muß der Kaiser, mit dem zeitlichen Schwert an die
Außenseite der Kirche gestellt, diese wenn nötig mit dem eigenen Blute
verteidigen."^) Der Imperialismus des Mittelalters, von Haus aus religiös
gefärbt und universalistisch aufgefaßt gleich dem Christentum, hatt« fortan
seine grundsätzliche Billigung von der Kirche als der Hüterin der rechtmäßige»
Lehre zu erborgen. Wohl blieb er sich in seiner transzendentalen Zielsetzung durch
die Jahrhunderte hindurch gleich, wohl verlangte er nach wie vor die Weltherrschaft
für sich, sein Reich aber war nicht mehr das unmittelbar von Gott dem einzelnen
Kaiser anvertraute Erbe, sondern war zum köstlichen Besitz der Kirche geworden,
die darüber durch die Hand des Papstes verfügte. Das Reich Karls und das
Reich Ottos des Großen waren Machtgebilde augenblicklicher politischer Gcsamt-
konstellationen gewesen. Die Vorstellung Seins Zusammenhangs, seines Eins-
scins mit dem altrömischen Reiche forderte von ihm ewige Tauer. aller politischen
Verschiebungen ungeachtet. Was Ausdruck eines in dieser Art nie wieder¬
kehrenden Moments gewesen war, die Kaiserkrönung vom Jahre 800 wie
nicht weniger die von 962, sollte bei jeder folgenden Kaiserkrönung in Er¬
scheinung treten und die höchste Machtfülle des Monarchen wie auch Gottes
Ratschluß an den Tag stellen. Die Kaiserkrönungen durch die Päpste
und durch sie allein verschoben die Wertung des Kaisertums: es wurde
aus dem gottgewollten Herrschertum über die Welt papstgewollte Veamtung
der römischen, die Welt umfassenden Kirche. Noch zu Beginn des dreizehnten
Jahrhunderts lehrte der wackere Eile von Nepgow im Anfang seines „Sachsen¬
spiegels": „ Zwei Schwerter ließ Gott auf Erden, zu beschirmen die Christenheit;
dem Papst ist gesetzt das geistliche, dem Kaiser das weltliche", — noch standen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/127>, abgerufen am 09.01.2025.