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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Zur baltischen Frage

altbaltischer Seite, vielfach aber auch in reichsdeutschen Kreisen, eine tatkräftige
Werbearbeit, die in Wort, Schrift und Bild unermüdlich die Grundtatsachen
der baltischen Kultur und ihrer Geschichte unserem Volke einzuprägen s"este.
Aus dem Zweck, an dem diese Veröffentlichungen sich ausrichten, ergibt sich
auch die Einstellung für ihre sachgebotene Einteilung und Beurteilung. Eine
erste Gruppe kommt in der Absicht überein, auf dem Wege des Berichts, der
erzählenden Beschreibung und Erklärung ein mehr oder minder breites Publikum
in die baltischen Zustünde einzuführen. Eine Hauptrolle spielt dabei die Ge¬
schichte des baltischen Landes, die nicht nur in der traditionsgesüttigten Gegen¬
wart noch voll lebendig ist und deshalb den wahren Schlüssel für ihr Ver¬
ständnis bedeutet, sondern die auch am handgreiflichsten den Zusammenhang
des baltischen und des gemeindeutschen Geschicks vor Augen stellt. Neben diesen
Längsaufriß der baltischen Entwicklung tritt der Querschnitt durch ihren gegenwärtigen
Zustand. Hier werden besonders volkswirtschaftlich-statistische Angaben bedeutsam,
die den argrarischen und den merkantilen Wert des Landes am klarsten erweisen.

In all diesen Fällen handelt es sich natürlich nicht darum, der streng
wissenschaftlichen Forschung neuen Stoff zu liefern. Für einzelwissenschafilichen
Fortschritt auf dem Gebiet der baltischen Landeskunde ist der Zeitpunkt nicht
günstig, wo die Frontlinie das Baltenland mitten durchschneidet und uns den
einen Teil überhaupt unerreichbar macht, den Eintritt in den andern zur
mindesten recht erschwert. Mit diesen Voraussetzungen zugleich fehlen Ruhe "ut
Muße, um sich in rein forscherischer Absicht in die baltische Frage zu vertiefen.
Vielmehr bedeuten all diese Arbeiten im wesentlichen eine neue Darstellung,
Zusammenfassung und Ausbeutung bereits vorhandenen Wissensstoffes und find
als solche einzuschätzen, nicht aber auf ihre wissenschaftliche Originalität "ut
ihren Leistungswert für die Forschung zu prüfen.

Im Rahmen dieser ersten Gruppe baltischer Landeskunden, wie sie wils
der Krieg in großer Zahl geschenkt hat, verdient an erster Stelle des Freiherrn
N. v. Engelhardt Buch über "Die deutschen Ostseeprovinzen Rußlands. Ihre
politische und wirtschaftliche Entwicklung". (Georg Müller, Verlag, München
1916) genannt zu werden. Denn es gelingt ihm am besten, die Geschichte
und den gegenwärtigen Stand des baltischen Problems in einigermaßen er¬
schöpfender Darstellung aufzurollen. Die einzelnen Kapitel, die die meisten
Einzelfragen in leichtverständlicher und dabei allgemein fesselnder Weise ab¬
handeln, sind lose aufgereiht. Auch exakte Angaben statistischen Charakters
sind derart in die Darstellung hineingenommen, daß ihnen das den Leser ab¬
stoßende Gepräge nüchterner Trockenheit fehlt. So erfüllt das Werkchen wohl
am glücklichsten die Aufgabe., dem gebildeten Leser eine anschauliche Vorstellung
von der Lage des baltischen Deutschtums, von seiner Vergangenheit und seinen
Hoffnungen zu geben.

In gedrängterer Fassung, die naturgemäß einen Verzicht auf ein Stück
erzählerischer Frische bedingt, ist ein verwandtes Ziel verfolgt bei Or. Valerian


Zur baltischen Frage

altbaltischer Seite, vielfach aber auch in reichsdeutschen Kreisen, eine tatkräftige
Werbearbeit, die in Wort, Schrift und Bild unermüdlich die Grundtatsachen
der baltischen Kultur und ihrer Geschichte unserem Volke einzuprägen s«este.
Aus dem Zweck, an dem diese Veröffentlichungen sich ausrichten, ergibt sich
auch die Einstellung für ihre sachgebotene Einteilung und Beurteilung. Eine
erste Gruppe kommt in der Absicht überein, auf dem Wege des Berichts, der
erzählenden Beschreibung und Erklärung ein mehr oder minder breites Publikum
in die baltischen Zustünde einzuführen. Eine Hauptrolle spielt dabei die Ge¬
schichte des baltischen Landes, die nicht nur in der traditionsgesüttigten Gegen¬
wart noch voll lebendig ist und deshalb den wahren Schlüssel für ihr Ver¬
ständnis bedeutet, sondern die auch am handgreiflichsten den Zusammenhang
des baltischen und des gemeindeutschen Geschicks vor Augen stellt. Neben diesen
Längsaufriß der baltischen Entwicklung tritt der Querschnitt durch ihren gegenwärtigen
Zustand. Hier werden besonders volkswirtschaftlich-statistische Angaben bedeutsam,
die den argrarischen und den merkantilen Wert des Landes am klarsten erweisen.

In all diesen Fällen handelt es sich natürlich nicht darum, der streng
wissenschaftlichen Forschung neuen Stoff zu liefern. Für einzelwissenschafilichen
Fortschritt auf dem Gebiet der baltischen Landeskunde ist der Zeitpunkt nicht
günstig, wo die Frontlinie das Baltenland mitten durchschneidet und uns den
einen Teil überhaupt unerreichbar macht, den Eintritt in den andern zur
mindesten recht erschwert. Mit diesen Voraussetzungen zugleich fehlen Ruhe »ut
Muße, um sich in rein forscherischer Absicht in die baltische Frage zu vertiefen.
Vielmehr bedeuten all diese Arbeiten im wesentlichen eine neue Darstellung,
Zusammenfassung und Ausbeutung bereits vorhandenen Wissensstoffes und find
als solche einzuschätzen, nicht aber auf ihre wissenschaftliche Originalität «ut
ihren Leistungswert für die Forschung zu prüfen.

Im Rahmen dieser ersten Gruppe baltischer Landeskunden, wie sie wils
der Krieg in großer Zahl geschenkt hat, verdient an erster Stelle des Freiherrn
N. v. Engelhardt Buch über „Die deutschen Ostseeprovinzen Rußlands. Ihre
politische und wirtschaftliche Entwicklung". (Georg Müller, Verlag, München
1916) genannt zu werden. Denn es gelingt ihm am besten, die Geschichte
und den gegenwärtigen Stand des baltischen Problems in einigermaßen er¬
schöpfender Darstellung aufzurollen. Die einzelnen Kapitel, die die meisten
Einzelfragen in leichtverständlicher und dabei allgemein fesselnder Weise ab¬
handeln, sind lose aufgereiht. Auch exakte Angaben statistischen Charakters
sind derart in die Darstellung hineingenommen, daß ihnen das den Leser ab¬
stoßende Gepräge nüchterner Trockenheit fehlt. So erfüllt das Werkchen wohl
am glücklichsten die Aufgabe., dem gebildeten Leser eine anschauliche Vorstellung
von der Lage des baltischen Deutschtums, von seiner Vergangenheit und seinen
Hoffnungen zu geben.

In gedrängterer Fassung, die naturgemäß einen Verzicht auf ein Stück
erzählerischer Frische bedingt, ist ein verwandtes Ziel verfolgt bei Or. Valerian


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[0103] Zur baltischen Frage altbaltischer Seite, vielfach aber auch in reichsdeutschen Kreisen, eine tatkräftige Werbearbeit, die in Wort, Schrift und Bild unermüdlich die Grundtatsachen der baltischen Kultur und ihrer Geschichte unserem Volke einzuprägen s«este. Aus dem Zweck, an dem diese Veröffentlichungen sich ausrichten, ergibt sich auch die Einstellung für ihre sachgebotene Einteilung und Beurteilung. Eine erste Gruppe kommt in der Absicht überein, auf dem Wege des Berichts, der erzählenden Beschreibung und Erklärung ein mehr oder minder breites Publikum in die baltischen Zustünde einzuführen. Eine Hauptrolle spielt dabei die Ge¬ schichte des baltischen Landes, die nicht nur in der traditionsgesüttigten Gegen¬ wart noch voll lebendig ist und deshalb den wahren Schlüssel für ihr Ver¬ ständnis bedeutet, sondern die auch am handgreiflichsten den Zusammenhang des baltischen und des gemeindeutschen Geschicks vor Augen stellt. Neben diesen Längsaufriß der baltischen Entwicklung tritt der Querschnitt durch ihren gegenwärtigen Zustand. Hier werden besonders volkswirtschaftlich-statistische Angaben bedeutsam, die den argrarischen und den merkantilen Wert des Landes am klarsten erweisen. In all diesen Fällen handelt es sich natürlich nicht darum, der streng wissenschaftlichen Forschung neuen Stoff zu liefern. Für einzelwissenschafilichen Fortschritt auf dem Gebiet der baltischen Landeskunde ist der Zeitpunkt nicht günstig, wo die Frontlinie das Baltenland mitten durchschneidet und uns den einen Teil überhaupt unerreichbar macht, den Eintritt in den andern zur mindesten recht erschwert. Mit diesen Voraussetzungen zugleich fehlen Ruhe »ut Muße, um sich in rein forscherischer Absicht in die baltische Frage zu vertiefen. Vielmehr bedeuten all diese Arbeiten im wesentlichen eine neue Darstellung, Zusammenfassung und Ausbeutung bereits vorhandenen Wissensstoffes und find als solche einzuschätzen, nicht aber auf ihre wissenschaftliche Originalität «ut ihren Leistungswert für die Forschung zu prüfen. Im Rahmen dieser ersten Gruppe baltischer Landeskunden, wie sie wils der Krieg in großer Zahl geschenkt hat, verdient an erster Stelle des Freiherrn N. v. Engelhardt Buch über „Die deutschen Ostseeprovinzen Rußlands. Ihre politische und wirtschaftliche Entwicklung". (Georg Müller, Verlag, München 1916) genannt zu werden. Denn es gelingt ihm am besten, die Geschichte und den gegenwärtigen Stand des baltischen Problems in einigermaßen er¬ schöpfender Darstellung aufzurollen. Die einzelnen Kapitel, die die meisten Einzelfragen in leichtverständlicher und dabei allgemein fesselnder Weise ab¬ handeln, sind lose aufgereiht. Auch exakte Angaben statistischen Charakters sind derart in die Darstellung hineingenommen, daß ihnen das den Leser ab¬ stoßende Gepräge nüchterner Trockenheit fehlt. So erfüllt das Werkchen wohl am glücklichsten die Aufgabe., dem gebildeten Leser eine anschauliche Vorstellung von der Lage des baltischen Deutschtums, von seiner Vergangenheit und seinen Hoffnungen zu geben. In gedrängterer Fassung, die naturgemäß einen Verzicht auf ein Stück erzählerischer Frische bedingt, ist ein verwandtes Ziel verfolgt bei Or. Valerian

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/103>, abgerufen am 10.01.2025.