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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Der Plan der Nationalisierung der englischen Eisenbahnen

Eisenbahnwesens klar die Notwendigkeit dringender Abhilfe, die über das Wollen
und die Kräfte der englischen Eisenbahnverwaltungen hinauszugehen scheint.

Daß das so geworden ist, liegt an zwei Ursachen, nämlich am insularen
Charakter der englischen Eisenbahnen und an dem in die organisatorische und
damit auch in die technische Arbeit hineingetragenen konservativen Charakter
des Engländers. Das eine Moment schaltete, bei der immer zunehmenden engen
Interessengemeinschaft der englischen Eisenbahnen, die Konkurrenz fast ganz aus
und schuf eine Art von insularem Betriebssystem, das dem Bedürfnis und den
Wünschen des Publikums mit den einfachsten, die künftige Entwicklung außer
Acht lassenden Mitteln gerecht zu werden versuchte, andererseits wurden alte
Einrichtungen, die schon längst verdient hätten zum alten Eisen geworfen zu
werden, oft mit großen Kosten gewissermaßen verewigt. Hand in Hand mit
diesem Steckenbleiben im Organisatorischen und Technischen ging dann aller¬
dings manche ausgezeichnete technische Leistung auf Spezialgebieten, wie etwa im
Lokomotivbau. Da aber auch die beste technische Leistung ihre Bedeutung ver¬
liert, wenn mangelnde Betriebsorganisation ihre volle Ausnützung verhindert,
so wurde durch diese Entwicklungen auf einzelnen Gebieten an dem im
allgemeinen höchst unbefriedigender Stande des englischen Eisenbahnwesens
wenig geändert.

Ein Umstand hebt das in besonders drastischer Weise hervor. Die eng¬
lischen Bahnen sind in ihren Frachtraten die teuersten Bahnen ganz Europas,
und hier konnte man den in der Eisenbahnentwicklung der ganzen Welt wohl
höchst seltsamen Fall erleben, daß eine Zunahme des Verkehrs nicht mit ent¬
sprechender Gewinnzunahme, ja mit teilweisen Verlusten verbunden war: die
Betriebsorganisation der englischen Eisenbahnen war und ist eben so fehlerhaft,
daß der Verkehr durch den Verkehr erwürgt wurde; eine über ein gewisses
Maß hinausgehende Leistung, die von den Eisenbahnen gefordert wurde, brachte
immer Betriebsschwierigkeiten mit sich und erhöhte dadurch die Kosten oft über
das Maß der Mehreinnahme. Die Frachtrate pro Tonnenkilometer stellte
sich vor dem Kriege im Durchschnitt:


[Beginn Spaltensatz]
In England auf 7.2 Pfennige
" Frankreich " 4.9 "
" Deutschland " 4.2 "
[Spaltenumbruch]
In Holland auf 3.9 Pfennige
" Dänemark " 5,4
" Norwegen " 5.9
[Ende Spaltensatz]

England hat also Frachttarife, die fast doppelt so hoch sind als der
deutsche Tarif und dennoch wurde kurze Zeit vor Kriegsbeginn von dyl eng¬
lischen Eisenbahnverwaltungen an die Regierung/ die Forderung der Er¬
mächtigung zur Tariferhöhung gestellt, da infolge der höheren Löhne und
Kosten die Einnahmen zurückgingen. Wir können schwer beurteilen, was an
dieser Behauptung wahr ist; auf jeden Fall zeigt sie die schweren! Mange
im englischen Eisenbahnbetriebssystem an, denn tatsächlich hatte damals
weder eine allgemeine Lohnerhöhung stattgefunden, noch waren sonst Auf¬
schläge auf Material und Arbeit erfolgt. Wäre nicht der Krieg dazwischen


s*
Der Plan der Nationalisierung der englischen Eisenbahnen

Eisenbahnwesens klar die Notwendigkeit dringender Abhilfe, die über das Wollen
und die Kräfte der englischen Eisenbahnverwaltungen hinauszugehen scheint.

Daß das so geworden ist, liegt an zwei Ursachen, nämlich am insularen
Charakter der englischen Eisenbahnen und an dem in die organisatorische und
damit auch in die technische Arbeit hineingetragenen konservativen Charakter
des Engländers. Das eine Moment schaltete, bei der immer zunehmenden engen
Interessengemeinschaft der englischen Eisenbahnen, die Konkurrenz fast ganz aus
und schuf eine Art von insularem Betriebssystem, das dem Bedürfnis und den
Wünschen des Publikums mit den einfachsten, die künftige Entwicklung außer
Acht lassenden Mitteln gerecht zu werden versuchte, andererseits wurden alte
Einrichtungen, die schon längst verdient hätten zum alten Eisen geworfen zu
werden, oft mit großen Kosten gewissermaßen verewigt. Hand in Hand mit
diesem Steckenbleiben im Organisatorischen und Technischen ging dann aller¬
dings manche ausgezeichnete technische Leistung auf Spezialgebieten, wie etwa im
Lokomotivbau. Da aber auch die beste technische Leistung ihre Bedeutung ver¬
liert, wenn mangelnde Betriebsorganisation ihre volle Ausnützung verhindert,
so wurde durch diese Entwicklungen auf einzelnen Gebieten an dem im
allgemeinen höchst unbefriedigender Stande des englischen Eisenbahnwesens
wenig geändert.

Ein Umstand hebt das in besonders drastischer Weise hervor. Die eng¬
lischen Bahnen sind in ihren Frachtraten die teuersten Bahnen ganz Europas,
und hier konnte man den in der Eisenbahnentwicklung der ganzen Welt wohl
höchst seltsamen Fall erleben, daß eine Zunahme des Verkehrs nicht mit ent¬
sprechender Gewinnzunahme, ja mit teilweisen Verlusten verbunden war: die
Betriebsorganisation der englischen Eisenbahnen war und ist eben so fehlerhaft,
daß der Verkehr durch den Verkehr erwürgt wurde; eine über ein gewisses
Maß hinausgehende Leistung, die von den Eisenbahnen gefordert wurde, brachte
immer Betriebsschwierigkeiten mit sich und erhöhte dadurch die Kosten oft über
das Maß der Mehreinnahme. Die Frachtrate pro Tonnenkilometer stellte
sich vor dem Kriege im Durchschnitt:


[Beginn Spaltensatz]
In England auf 7.2 Pfennige
„ Frankreich „ 4.9 „
„ Deutschland „ 4.2 „
[Spaltenumbruch]
In Holland auf 3.9 Pfennige
„ Dänemark „ 5,4
„ Norwegen „ 5.9
[Ende Spaltensatz]

England hat also Frachttarife, die fast doppelt so hoch sind als der
deutsche Tarif und dennoch wurde kurze Zeit vor Kriegsbeginn von dyl eng¬
lischen Eisenbahnverwaltungen an die Regierung/ die Forderung der Er¬
mächtigung zur Tariferhöhung gestellt, da infolge der höheren Löhne und
Kosten die Einnahmen zurückgingen. Wir können schwer beurteilen, was an
dieser Behauptung wahr ist; auf jeden Fall zeigt sie die schweren! Mange
im englischen Eisenbahnbetriebssystem an, denn tatsächlich hatte damals
weder eine allgemeine Lohnerhöhung stattgefunden, noch waren sonst Auf¬
schläge auf Material und Arbeit erfolgt. Wäre nicht der Krieg dazwischen


s*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/95>, abgerufen am 23.07.2024.