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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Holland -- Belgien--Deutschland

eine vollkommen genügende Verbindung Antwerpens mit dem Meere hergestellt
werden. Ja es ist sehr wahrscheinlich, daß Deutschland sich dabei ganz und
gar von der Scheldemündung unabhängig machen würde, indem es den ge¬
dachten Kanal auch für die Handelsschiffahrt brauchbar' machen würde. Es
liegt sogar die Frage nahe, ob Deutschland sich nicht dazu entschließen würde, einen
großen Kanal vom Rheine nach Zeebrügge durchzuführen. Also auch mit dieser
Beweisführung, die sich auf eine Besitzergreifung Belgiens stützt, ist es nichts.

Gleichwohl gibt es in unserm Lande Toren, die auf Grund der einge¬
bildeten Gefahren, die mit der Annexion Belgiens durch Deutschland verbunden
sein sollen, schon jetzt dem Deutschen Reich im voraus den Krieg erklären
wollen. Ja es gibt Leute, die in ihrem verbrecherischen Fanatismus zu er¬
klären wagen, es sei jetzt eine günstige Zeit zu einer Kriegserklärung, da
Deutschland nun alle Hände voll zu tun habe. Und dieselben Leute, die so ohne
weiteres einen Krieg vom Zaune brechen möchten mit einem Lande, mit dem
wir Jahrhunderte lang in Frieden und in Freundschaft gelebt haben, bringen
es fertig, über den deutschen Militarismus zu schimpfen! .... Glücklicher¬
weise sieht aber die übergroße Mehrheit unseres Volkes sehr wohl ein, daß eine
solche Tat unter keinen Umständen als erlaubt gelten dürfte.

Um das Register unserer deutschfeindlichen Politiker vollständig zu machen,
sei noch angemerkt, daß bei uns auch mit dem Argument operiert wird: die
Franzosen wären uns als Nachbarn im Süden weniger gefährlich als die
Deutschen. Die so sprechen, wissen anscheinend nicht, daß die Franzosen durch
zwei Jahrhunderte hindurch so viel sie nur konnten südholländische Lande ge¬
schluckt haben, wobei die reine Eroberungslust ihr unbestreitbares und einziges
Motiv gewesen ist. Und dabei haben sie durchs ganze neunzehnte Jahrhundert
verkündet -- und tun es heute noch --, daß der Rhein (der bekanntlich auch
durch Holland fließt), die "natürliche" Grenze von Frankreich feil

Wie aber würden sich die Manier, die infolge dieses Krieges mit
verdoppelter Kraft nach Selbständigkeit ringen, zu unsern französischen Nach¬
barn im Süden stellen? Ein Blick in die vlämische Presse und Kriegsliteratur
gibt unmißverständliche Auskunft! Und andererseits läßt ihr sich immer
besser herausstellendes Verhältnis zu den Deutschen vieles erhoffen. Die Dinge
stehen, wie man die Vlamen deutscherseits behandelt, heute so, daß sie gar-
nichts zu verlieren brauchten, wenn Belgien nach Friedensschluß in der einen
oder andern Form unter deutschen Einfluß käme. Im Gegenteil! Die vlämische
Sprache würde dann zu ihrem vollen Recht kommen, und sicherlich zu einem
besseren Recht, als dies unter der Herrschaft der Wallonen, der Unterdrücker
der Vlamen, der Fall sein würde. Natürlich werden die zu treffenden Verein¬
barungen zu einem Teil mit abhängig sein müssen von der Haltung, die die
Vlamen Deutschland gegenüber annehmen werden. Aus den mannigfachen, oft
sich widersprechenden Berichten von vlämischer Seite scheint hervorzugehen, daß
man die wahre Meinung vieler Vlamen, die jetzt noch zurückhalten, erst in


Holland — Belgien—Deutschland

eine vollkommen genügende Verbindung Antwerpens mit dem Meere hergestellt
werden. Ja es ist sehr wahrscheinlich, daß Deutschland sich dabei ganz und
gar von der Scheldemündung unabhängig machen würde, indem es den ge¬
dachten Kanal auch für die Handelsschiffahrt brauchbar' machen würde. Es
liegt sogar die Frage nahe, ob Deutschland sich nicht dazu entschließen würde, einen
großen Kanal vom Rheine nach Zeebrügge durchzuführen. Also auch mit dieser
Beweisführung, die sich auf eine Besitzergreifung Belgiens stützt, ist es nichts.

Gleichwohl gibt es in unserm Lande Toren, die auf Grund der einge¬
bildeten Gefahren, die mit der Annexion Belgiens durch Deutschland verbunden
sein sollen, schon jetzt dem Deutschen Reich im voraus den Krieg erklären
wollen. Ja es gibt Leute, die in ihrem verbrecherischen Fanatismus zu er¬
klären wagen, es sei jetzt eine günstige Zeit zu einer Kriegserklärung, da
Deutschland nun alle Hände voll zu tun habe. Und dieselben Leute, die so ohne
weiteres einen Krieg vom Zaune brechen möchten mit einem Lande, mit dem
wir Jahrhunderte lang in Frieden und in Freundschaft gelebt haben, bringen
es fertig, über den deutschen Militarismus zu schimpfen! .... Glücklicher¬
weise sieht aber die übergroße Mehrheit unseres Volkes sehr wohl ein, daß eine
solche Tat unter keinen Umständen als erlaubt gelten dürfte.

Um das Register unserer deutschfeindlichen Politiker vollständig zu machen,
sei noch angemerkt, daß bei uns auch mit dem Argument operiert wird: die
Franzosen wären uns als Nachbarn im Süden weniger gefährlich als die
Deutschen. Die so sprechen, wissen anscheinend nicht, daß die Franzosen durch
zwei Jahrhunderte hindurch so viel sie nur konnten südholländische Lande ge¬
schluckt haben, wobei die reine Eroberungslust ihr unbestreitbares und einziges
Motiv gewesen ist. Und dabei haben sie durchs ganze neunzehnte Jahrhundert
verkündet — und tun es heute noch —, daß der Rhein (der bekanntlich auch
durch Holland fließt), die „natürliche" Grenze von Frankreich feil

Wie aber würden sich die Manier, die infolge dieses Krieges mit
verdoppelter Kraft nach Selbständigkeit ringen, zu unsern französischen Nach¬
barn im Süden stellen? Ein Blick in die vlämische Presse und Kriegsliteratur
gibt unmißverständliche Auskunft! Und andererseits läßt ihr sich immer
besser herausstellendes Verhältnis zu den Deutschen vieles erhoffen. Die Dinge
stehen, wie man die Vlamen deutscherseits behandelt, heute so, daß sie gar-
nichts zu verlieren brauchten, wenn Belgien nach Friedensschluß in der einen
oder andern Form unter deutschen Einfluß käme. Im Gegenteil! Die vlämische
Sprache würde dann zu ihrem vollen Recht kommen, und sicherlich zu einem
besseren Recht, als dies unter der Herrschaft der Wallonen, der Unterdrücker
der Vlamen, der Fall sein würde. Natürlich werden die zu treffenden Verein¬
barungen zu einem Teil mit abhängig sein müssen von der Haltung, die die
Vlamen Deutschland gegenüber annehmen werden. Aus den mannigfachen, oft
sich widersprechenden Berichten von vlämischer Seite scheint hervorzugehen, daß
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/73>, abgerufen am 23.07.2024.