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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Holland--Belgien--Deutschland

Mir will scheinen, ein Eintritt Hollands in den deutschen Staatenbund
würde, wenn er je Zustandekommen sollte, eher das Werk der Feinde Deutsch¬
lands sein als das Werk von Deutschland selbst. Dabei würde sich dann
wiederholen, was bei der Einswerdung Deutschlands geschah, die Frankreich
beschleunigte, indem es sie mit Gewalt verhindern wollte.

Dieser Krieg hat ja bereits zur Genüge erwiesen, daß wir jeder Ver¬
letzung unserer Rechte durch England und Frankreich vollkommen machtlos
gegenüberstehen, und daß diese Länder sich, wenn ihre Interessen auf dem
Spiele stehen, durch keine Völkerrechtsregel für gebunden halten. Daß wir
bestrebt gewesen sind, neutral zu bleiben, hat uns nichts genutzt: die Entente
würde nur dann mit uns zufrieden gewesen sein, wenn wir uns ihrem Kriege
gegen Deutschland angeschlossen hätten. Da wir dies nicht wollten, haben wir
uns den Zorn vieler Franzosen und Belgier zugezogen. Diese würden nach
dem Kriege nichts lieber tun als vertragliche Vereinbarungen treffen, durch die
die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Holland untergraben
würden. Gerade durch eine solche Politik aber würde unser Bedürfnis nach
einem engeren Anschluß an Deutschland sehr stark werden.

Nun sind für Holland die Kolonien eine Lebensfrage, ebenso wie Handel
und Verkehr. Allein sind wir nicht imstande, die Kolonien gegen Angriffe
einer großen Seemacht zu verteidigen. Deswegen halten viele Holländer die
holländischen Kolonien für einen sehr unsicheren Besitz. Man fürchtet, wir
gingen ihretwegen großen Gefahren entgegen. Ich für mich teile diese Furcht
einstweilen noch nicht, aber ich weiß: wenn Jnsulinde uns sollte geraubt
werden, so wird Deutschland der Räuber nicht sein. Vielmehr glaube ich, daß
in diesem Falle der Zustand Hollands derartig beschaffen sein würde, daß höchst
wahrscheinlich mancher mit guten Gründen einen Anschluß ans Deutsche Reich
herbeiwünschen würde. Die Vorteile und Nachteile eines solchen Anschlusses
unter veränderten Verhältnissen lasse ich beiseite.

Ich komme auf die Frage zurück, ob und woher Holland Annexions¬
gefahren drohen.

Während des Krieges hat einer der englischen Minister erklärt, der geo¬
graphisch-politische Zustand von Antwerpen sei nicht so beschaffen, wie er be¬
schaffen sein müsse; aber es bestehe gegenwärtig kein Grund, diesen Zustand zu
ändern. Dies schien auch die Meinung des ganzen Kabinetts zu sein, und
daraus würde dann folgen, daß trotz allen Geschreibes über die Einverleibung
von Teilen unseres Landes in Belgien auch nach dieser Richtung keine Gefahr be¬
stehen würde, falls die Entente als Sieger aus dem Weltkrieg hervorgehen sollte.*)



*) Anmerkung des Übersetzers: Me der oben gestreiften ministeriellen Erklärung ist
Wohl das von Winston Churchill vor einem Vertreter des "Nieuwe Rotterdamsche Courant"
gesprochene vielbedeutende Wort gemeint: Die territoriale Besitzregelung der Schelde-
mündung müsse, "sowohl vom geographischen wie vom militärischen Standpunkt angesehen",
als unnatürlich erscheinen; eine Meinungsäußerung, mit der dann der Ministerpräsident
Holland—Belgien—Deutschland

Mir will scheinen, ein Eintritt Hollands in den deutschen Staatenbund
würde, wenn er je Zustandekommen sollte, eher das Werk der Feinde Deutsch¬
lands sein als das Werk von Deutschland selbst. Dabei würde sich dann
wiederholen, was bei der Einswerdung Deutschlands geschah, die Frankreich
beschleunigte, indem es sie mit Gewalt verhindern wollte.

Dieser Krieg hat ja bereits zur Genüge erwiesen, daß wir jeder Ver¬
letzung unserer Rechte durch England und Frankreich vollkommen machtlos
gegenüberstehen, und daß diese Länder sich, wenn ihre Interessen auf dem
Spiele stehen, durch keine Völkerrechtsregel für gebunden halten. Daß wir
bestrebt gewesen sind, neutral zu bleiben, hat uns nichts genutzt: die Entente
würde nur dann mit uns zufrieden gewesen sein, wenn wir uns ihrem Kriege
gegen Deutschland angeschlossen hätten. Da wir dies nicht wollten, haben wir
uns den Zorn vieler Franzosen und Belgier zugezogen. Diese würden nach
dem Kriege nichts lieber tun als vertragliche Vereinbarungen treffen, durch die
die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Holland untergraben
würden. Gerade durch eine solche Politik aber würde unser Bedürfnis nach
einem engeren Anschluß an Deutschland sehr stark werden.

Nun sind für Holland die Kolonien eine Lebensfrage, ebenso wie Handel
und Verkehr. Allein sind wir nicht imstande, die Kolonien gegen Angriffe
einer großen Seemacht zu verteidigen. Deswegen halten viele Holländer die
holländischen Kolonien für einen sehr unsicheren Besitz. Man fürchtet, wir
gingen ihretwegen großen Gefahren entgegen. Ich für mich teile diese Furcht
einstweilen noch nicht, aber ich weiß: wenn Jnsulinde uns sollte geraubt
werden, so wird Deutschland der Räuber nicht sein. Vielmehr glaube ich, daß
in diesem Falle der Zustand Hollands derartig beschaffen sein würde, daß höchst
wahrscheinlich mancher mit guten Gründen einen Anschluß ans Deutsche Reich
herbeiwünschen würde. Die Vorteile und Nachteile eines solchen Anschlusses
unter veränderten Verhältnissen lasse ich beiseite.

Ich komme auf die Frage zurück, ob und woher Holland Annexions¬
gefahren drohen.

Während des Krieges hat einer der englischen Minister erklärt, der geo¬
graphisch-politische Zustand von Antwerpen sei nicht so beschaffen, wie er be¬
schaffen sein müsse; aber es bestehe gegenwärtig kein Grund, diesen Zustand zu
ändern. Dies schien auch die Meinung des ganzen Kabinetts zu sein, und
daraus würde dann folgen, daß trotz allen Geschreibes über die Einverleibung
von Teilen unseres Landes in Belgien auch nach dieser Richtung keine Gefahr be¬
stehen würde, falls die Entente als Sieger aus dem Weltkrieg hervorgehen sollte.*)



*) Anmerkung des Übersetzers: Me der oben gestreiften ministeriellen Erklärung ist
Wohl das von Winston Churchill vor einem Vertreter des „Nieuwe Rotterdamsche Courant"
gesprochene vielbedeutende Wort gemeint: Die territoriale Besitzregelung der Schelde-
mündung müsse, „sowohl vom geographischen wie vom militärischen Standpunkt angesehen",
als unnatürlich erscheinen; eine Meinungsäußerung, mit der dann der Ministerpräsident
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[0071] Holland—Belgien—Deutschland Mir will scheinen, ein Eintritt Hollands in den deutschen Staatenbund würde, wenn er je Zustandekommen sollte, eher das Werk der Feinde Deutsch¬ lands sein als das Werk von Deutschland selbst. Dabei würde sich dann wiederholen, was bei der Einswerdung Deutschlands geschah, die Frankreich beschleunigte, indem es sie mit Gewalt verhindern wollte. Dieser Krieg hat ja bereits zur Genüge erwiesen, daß wir jeder Ver¬ letzung unserer Rechte durch England und Frankreich vollkommen machtlos gegenüberstehen, und daß diese Länder sich, wenn ihre Interessen auf dem Spiele stehen, durch keine Völkerrechtsregel für gebunden halten. Daß wir bestrebt gewesen sind, neutral zu bleiben, hat uns nichts genutzt: die Entente würde nur dann mit uns zufrieden gewesen sein, wenn wir uns ihrem Kriege gegen Deutschland angeschlossen hätten. Da wir dies nicht wollten, haben wir uns den Zorn vieler Franzosen und Belgier zugezogen. Diese würden nach dem Kriege nichts lieber tun als vertragliche Vereinbarungen treffen, durch die die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Holland untergraben würden. Gerade durch eine solche Politik aber würde unser Bedürfnis nach einem engeren Anschluß an Deutschland sehr stark werden. Nun sind für Holland die Kolonien eine Lebensfrage, ebenso wie Handel und Verkehr. Allein sind wir nicht imstande, die Kolonien gegen Angriffe einer großen Seemacht zu verteidigen. Deswegen halten viele Holländer die holländischen Kolonien für einen sehr unsicheren Besitz. Man fürchtet, wir gingen ihretwegen großen Gefahren entgegen. Ich für mich teile diese Furcht einstweilen noch nicht, aber ich weiß: wenn Jnsulinde uns sollte geraubt werden, so wird Deutschland der Räuber nicht sein. Vielmehr glaube ich, daß in diesem Falle der Zustand Hollands derartig beschaffen sein würde, daß höchst wahrscheinlich mancher mit guten Gründen einen Anschluß ans Deutsche Reich herbeiwünschen würde. Die Vorteile und Nachteile eines solchen Anschlusses unter veränderten Verhältnissen lasse ich beiseite. Ich komme auf die Frage zurück, ob und woher Holland Annexions¬ gefahren drohen. Während des Krieges hat einer der englischen Minister erklärt, der geo¬ graphisch-politische Zustand von Antwerpen sei nicht so beschaffen, wie er be¬ schaffen sein müsse; aber es bestehe gegenwärtig kein Grund, diesen Zustand zu ändern. Dies schien auch die Meinung des ganzen Kabinetts zu sein, und daraus würde dann folgen, daß trotz allen Geschreibes über die Einverleibung von Teilen unseres Landes in Belgien auch nach dieser Richtung keine Gefahr be¬ stehen würde, falls die Entente als Sieger aus dem Weltkrieg hervorgehen sollte.*) *) Anmerkung des Übersetzers: Me der oben gestreiften ministeriellen Erklärung ist Wohl das von Winston Churchill vor einem Vertreter des „Nieuwe Rotterdamsche Courant" gesprochene vielbedeutende Wort gemeint: Die territoriale Besitzregelung der Schelde- mündung müsse, „sowohl vom geographischen wie vom militärischen Standpunkt angesehen", als unnatürlich erscheinen; eine Meinungsäußerung, mit der dann der Ministerpräsident

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/71>, abgerufen am 23.07.2024.