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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Wird England katholisch werden?

strengkirchliche Partei bezeichnen. Ursprünglich war in ihr der Gegensatz
gegen Papismus und Puritanismus gleich stark; sie war stolz darauf, gegenüber
beiden Extremen die rechte Mitte, die via meäia. zu halten. Im Anfange des
neunzehnten Jahrhunderts hatte diese Partei sehr an Ansehen und Bedeutung
verloren; ihre Grundsätze wurden durch die erstarkende evangelikale (pietistische)
und die neu aufkommende breitkirchliche (liberalisterende) Richtung bedroht.
So wurde z. B. die für das anglikanische Kirchensystem grundlegende bischöf¬
liche Verfassung zwar noch überall als ein ehrwürdiges Erbstück angesehen,
aber man legte keinen besonderen dogmatischen Wert mehr darauf; dem Bischof
Blomfield von London schrieb mau das Wort zu. der Glaube an die apostolische
Sukzession, worauf diese Verfassung ja beruht, sei mit den Nonjurors. den
letzten Anhängern der Stuarts in der Kirche, ausgestorben. Zugleich begannen
sich ernstliche Gefahren für die staatsrechtliche Stellung der Kirche zu zeigen.
Die staatlichen Reformbestrebungen ließen die Kirche nicht unberührt. Durch
die Aufhebung der Korporations- und Testakte (1828) wurde der Zutritt zu
allen Staatsämtern und zum Parlament von der Zugehörigkeit zur Staats¬
kirche unabhängig gemacht. Der Staat schien sich ganz von der Kirche trennen
zu wollen, aber ohne sie freizugeben. Das nun tatsächlich konfessionslos ge¬
wordene Parlament dachte nicht daran, seine gesetzgebende Macht auch in
innerkirchlichen Angelegenheiten aufzugeben; man befürchtete von ihm Änderungen
der Agende, des Common Prayer Book, ja Abschaffung der alten Glaubens¬
bekenntnisse. Den Evangelikaien und Breitkirchlern lag wenig an den be¬
sonderen kirchlichen Vorrechten: ihre Verteidigung konnte nur von den Hoch-
kirchlern erwartet werden. Diese erfuhren nun in diesen gefahrvollen Zeiten,
denen sie aus eigener Kraft nicht gewachsen gewesen wären, eine mächtige
Hilfe durch eine anfangs in loser, später in engerer Verbindung stehende
Gesellschaft Oxforder Theologen, die es unternahmen, die Kirche vor der
drohenden Liberalisierung zu retten. In der veränderten Stellung der Kirche
zum Staat sahen sie einen nationalen Abfall gleich dem Abfall Israels, als es
sich einen König wählte. Keble, einer dieser Oxforder. hielt am 14. Juli 1833
seine berühmt gewordene Predigt über National ^posta^, die man mit
Recht als den Anfang der Oxforder Bewegung, die für die englische Kirche so
bedeutungsvoll geworden ist. ansehen kann. Als Führer traten nach dem
früh (1836) verstorbenen Fronde neben Keble besonders Newman und
Puseu hervor. Sie nahmen den Kampf für die Kirche durch öffentliche Agi¬
tation auf. Sie sahen es aber auch als ihre Aufgabe an, die Kirche neu zu
beleben und von innen heraus zu reformieren. Den Schmähunzen gegenüber,
die damals und später auf diese Männer gehäuft worden sind, erfordert es die
Gerechtigkeit, zu sagen, daß sie ernstlich und nicht ohne Erfolg bemüht waren,
dem Verfall des kirchlichen Lebens und der Verweltlichung der Geistlichkeit zu
steuern. Um ihre Gedanken zu verbreiten, schufen sie sich ein Organ in den
seit 1833 erscheinenden 1>acts lor tke T'unes; daher stammt der Name


Wird England katholisch werden?

strengkirchliche Partei bezeichnen. Ursprünglich war in ihr der Gegensatz
gegen Papismus und Puritanismus gleich stark; sie war stolz darauf, gegenüber
beiden Extremen die rechte Mitte, die via meäia. zu halten. Im Anfange des
neunzehnten Jahrhunderts hatte diese Partei sehr an Ansehen und Bedeutung
verloren; ihre Grundsätze wurden durch die erstarkende evangelikale (pietistische)
und die neu aufkommende breitkirchliche (liberalisterende) Richtung bedroht.
So wurde z. B. die für das anglikanische Kirchensystem grundlegende bischöf¬
liche Verfassung zwar noch überall als ein ehrwürdiges Erbstück angesehen,
aber man legte keinen besonderen dogmatischen Wert mehr darauf; dem Bischof
Blomfield von London schrieb mau das Wort zu. der Glaube an die apostolische
Sukzession, worauf diese Verfassung ja beruht, sei mit den Nonjurors. den
letzten Anhängern der Stuarts in der Kirche, ausgestorben. Zugleich begannen
sich ernstliche Gefahren für die staatsrechtliche Stellung der Kirche zu zeigen.
Die staatlichen Reformbestrebungen ließen die Kirche nicht unberührt. Durch
die Aufhebung der Korporations- und Testakte (1828) wurde der Zutritt zu
allen Staatsämtern und zum Parlament von der Zugehörigkeit zur Staats¬
kirche unabhängig gemacht. Der Staat schien sich ganz von der Kirche trennen
zu wollen, aber ohne sie freizugeben. Das nun tatsächlich konfessionslos ge¬
wordene Parlament dachte nicht daran, seine gesetzgebende Macht auch in
innerkirchlichen Angelegenheiten aufzugeben; man befürchtete von ihm Änderungen
der Agende, des Common Prayer Book, ja Abschaffung der alten Glaubens¬
bekenntnisse. Den Evangelikaien und Breitkirchlern lag wenig an den be¬
sonderen kirchlichen Vorrechten: ihre Verteidigung konnte nur von den Hoch-
kirchlern erwartet werden. Diese erfuhren nun in diesen gefahrvollen Zeiten,
denen sie aus eigener Kraft nicht gewachsen gewesen wären, eine mächtige
Hilfe durch eine anfangs in loser, später in engerer Verbindung stehende
Gesellschaft Oxforder Theologen, die es unternahmen, die Kirche vor der
drohenden Liberalisierung zu retten. In der veränderten Stellung der Kirche
zum Staat sahen sie einen nationalen Abfall gleich dem Abfall Israels, als es
sich einen König wählte. Keble, einer dieser Oxforder. hielt am 14. Juli 1833
seine berühmt gewordene Predigt über National ^posta^, die man mit
Recht als den Anfang der Oxforder Bewegung, die für die englische Kirche so
bedeutungsvoll geworden ist. ansehen kann. Als Führer traten nach dem
früh (1836) verstorbenen Fronde neben Keble besonders Newman und
Puseu hervor. Sie nahmen den Kampf für die Kirche durch öffentliche Agi¬
tation auf. Sie sahen es aber auch als ihre Aufgabe an, die Kirche neu zu
beleben und von innen heraus zu reformieren. Den Schmähunzen gegenüber,
die damals und später auf diese Männer gehäuft worden sind, erfordert es die
Gerechtigkeit, zu sagen, daß sie ernstlich und nicht ohne Erfolg bemüht waren,
dem Verfall des kirchlichen Lebens und der Verweltlichung der Geistlichkeit zu
steuern. Um ihre Gedanken zu verbreiten, schufen sie sich ein Organ in den
seit 1833 erscheinenden 1>acts lor tke T'unes; daher stammt der Name


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[0407] Wird England katholisch werden? strengkirchliche Partei bezeichnen. Ursprünglich war in ihr der Gegensatz gegen Papismus und Puritanismus gleich stark; sie war stolz darauf, gegenüber beiden Extremen die rechte Mitte, die via meäia. zu halten. Im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts hatte diese Partei sehr an Ansehen und Bedeutung verloren; ihre Grundsätze wurden durch die erstarkende evangelikale (pietistische) und die neu aufkommende breitkirchliche (liberalisterende) Richtung bedroht. So wurde z. B. die für das anglikanische Kirchensystem grundlegende bischöf¬ liche Verfassung zwar noch überall als ein ehrwürdiges Erbstück angesehen, aber man legte keinen besonderen dogmatischen Wert mehr darauf; dem Bischof Blomfield von London schrieb mau das Wort zu. der Glaube an die apostolische Sukzession, worauf diese Verfassung ja beruht, sei mit den Nonjurors. den letzten Anhängern der Stuarts in der Kirche, ausgestorben. Zugleich begannen sich ernstliche Gefahren für die staatsrechtliche Stellung der Kirche zu zeigen. Die staatlichen Reformbestrebungen ließen die Kirche nicht unberührt. Durch die Aufhebung der Korporations- und Testakte (1828) wurde der Zutritt zu allen Staatsämtern und zum Parlament von der Zugehörigkeit zur Staats¬ kirche unabhängig gemacht. Der Staat schien sich ganz von der Kirche trennen zu wollen, aber ohne sie freizugeben. Das nun tatsächlich konfessionslos ge¬ wordene Parlament dachte nicht daran, seine gesetzgebende Macht auch in innerkirchlichen Angelegenheiten aufzugeben; man befürchtete von ihm Änderungen der Agende, des Common Prayer Book, ja Abschaffung der alten Glaubens¬ bekenntnisse. Den Evangelikaien und Breitkirchlern lag wenig an den be¬ sonderen kirchlichen Vorrechten: ihre Verteidigung konnte nur von den Hoch- kirchlern erwartet werden. Diese erfuhren nun in diesen gefahrvollen Zeiten, denen sie aus eigener Kraft nicht gewachsen gewesen wären, eine mächtige Hilfe durch eine anfangs in loser, später in engerer Verbindung stehende Gesellschaft Oxforder Theologen, die es unternahmen, die Kirche vor der drohenden Liberalisierung zu retten. In der veränderten Stellung der Kirche zum Staat sahen sie einen nationalen Abfall gleich dem Abfall Israels, als es sich einen König wählte. Keble, einer dieser Oxforder. hielt am 14. Juli 1833 seine berühmt gewordene Predigt über National ^posta^, die man mit Recht als den Anfang der Oxforder Bewegung, die für die englische Kirche so bedeutungsvoll geworden ist. ansehen kann. Als Führer traten nach dem früh (1836) verstorbenen Fronde neben Keble besonders Newman und Puseu hervor. Sie nahmen den Kampf für die Kirche durch öffentliche Agi¬ tation auf. Sie sahen es aber auch als ihre Aufgabe an, die Kirche neu zu beleben und von innen heraus zu reformieren. Den Schmähunzen gegenüber, die damals und später auf diese Männer gehäuft worden sind, erfordert es die Gerechtigkeit, zu sagen, daß sie ernstlich und nicht ohne Erfolg bemüht waren, dem Verfall des kirchlichen Lebens und der Verweltlichung der Geistlichkeit zu steuern. Um ihre Gedanken zu verbreiten, schufen sie sich ein Organ in den seit 1833 erscheinenden 1>acts lor tke T'unes; daher stammt der Name

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/407>, abgerufen am 25.08.2024.