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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Englischer Postraub

Die Praxis des Vierverbandes soll deshalb mit diesem Abkommen nicht im
Widerspruche stehen, weil der Schutz sich nur auf die wirkliche Korrespondenz,
nicht auch auf den sonstigen Inhalt der Briefe beziehe; daher müsse eine
Durchsuchung auch der Briefe zulässig sein, und diese könne bei den gegen¬
wärtigen Formen des Seekrieges nicht auf hoher See, sondern nur in einem
eigenen Hafen erfolgen. Damit wird aber die ganze praktische Bedeutung
dieses Abkommens beseitigt. Was man auf der Haager Konferenz erreichen
wollte, ist ganz klar. Man konnte sich, u. z. gerade auf Betreiben Englands,
nicht dazu verstehen, die ganzen Postdampfer für unverletzlich zu erklären, da
diese selbst auch zu Kriegszwecken Verwendung finden und auch abgesehen
von Briefen in größeren Mengen Waren mit sich führen können, die als
Bannware für die Kriegführung Bedeutung haben. Aber man wollte solche
Sendungen von jeder Belästigung befreien, die einen rein postalischen Charakter
haben, wie es bei Briefen der Fall ist. Alles, was als "Brief" mit der Post
versandt wird, soll vor Durchsuchung und Wegnahme geschützt sein.

Und wenn die feindlichen Kriegsschiffe aus Angst vor deutschen Tauch¬
booten eine Durchsuchung nicht auf hoher See vornehmen wollen, sondern die
Postdampfer zwingen, in feindliche Häfen zu fahren, um sich dort untersuchen
zu lassen, so zeugt dieses Verfahren sicherlich von der bedeutenden Macht
unserer Tauchboote auch gegenüber der "die See beherrschenden" britischen Flotte.
Aber diese vielleicht berechtigte Angst der großen englischen Flotte gewährt ihr
doch keineswegs ein Recht, im Hafen mit Briefpostsendungen anders zu ver¬
fahren, als sie auf hoher See hätte verfahren dürfen. Es gehört schon die
ganze Sophistik englischer Rechtsauslegung und -anwendung dazu, um zu dem
Schlüsse zu kommen, daß hinsichtlich der auf diese Weise in die britischen
Häfen verschleppten Postdampfer der Schutz des Haager Abkommens versage
und englisches Landrecht zur Anwendung komme I

Wenn der deutsche Vertreter auf der zweiten Haager Konferenz erklärt
hat, das wirksamste Mittel des Schutzes für die Korrespondenz bestehe in der
Befreiung der Postdampfer von jeder Kontrolle, so hat ihm der jetzige Krieg in
jeder Weise Recht gegeben. Daß das getroffene Abkommen den Bedürfnissen
im Handel und Verkehr nicht genügt, lehrt nicht nur die Tatsache, daß unsere
Gegner sich kühn über die Bestimmungen des Abkommens hinwegsetzen, sondern
vor allem der Umstand, daß sie ihr Verhalten als im Einklang mit diesen Be¬
stimmungen stehend hinstellen. Ist auch ihre Begründung dieses Standpunkts,
wie gesagt, durchaus hinfällig, fo wird sie doch ernstlich vertreten. Daraus
folgt aber ohne weiteres, daß das Abkommen in der Praxis versagt hat.
Heute ist der Schutz der überseeischen Korrespondenz sehr viel geringer als er
je in einem Kriege zuvor gewesen ist.

Unsere Gegner tragen die Hauptschuld an diesem bedauerns¬
werten Zustand. Aber auch die Neutralen sind von einer Mitschuld nicht
freizusprechen. Sie haben die in ihre Hand gegebene Verteidigung der Rechte


Englischer Postraub

Die Praxis des Vierverbandes soll deshalb mit diesem Abkommen nicht im
Widerspruche stehen, weil der Schutz sich nur auf die wirkliche Korrespondenz,
nicht auch auf den sonstigen Inhalt der Briefe beziehe; daher müsse eine
Durchsuchung auch der Briefe zulässig sein, und diese könne bei den gegen¬
wärtigen Formen des Seekrieges nicht auf hoher See, sondern nur in einem
eigenen Hafen erfolgen. Damit wird aber die ganze praktische Bedeutung
dieses Abkommens beseitigt. Was man auf der Haager Konferenz erreichen
wollte, ist ganz klar. Man konnte sich, u. z. gerade auf Betreiben Englands,
nicht dazu verstehen, die ganzen Postdampfer für unverletzlich zu erklären, da
diese selbst auch zu Kriegszwecken Verwendung finden und auch abgesehen
von Briefen in größeren Mengen Waren mit sich führen können, die als
Bannware für die Kriegführung Bedeutung haben. Aber man wollte solche
Sendungen von jeder Belästigung befreien, die einen rein postalischen Charakter
haben, wie es bei Briefen der Fall ist. Alles, was als „Brief" mit der Post
versandt wird, soll vor Durchsuchung und Wegnahme geschützt sein.

Und wenn die feindlichen Kriegsschiffe aus Angst vor deutschen Tauch¬
booten eine Durchsuchung nicht auf hoher See vornehmen wollen, sondern die
Postdampfer zwingen, in feindliche Häfen zu fahren, um sich dort untersuchen
zu lassen, so zeugt dieses Verfahren sicherlich von der bedeutenden Macht
unserer Tauchboote auch gegenüber der „die See beherrschenden" britischen Flotte.
Aber diese vielleicht berechtigte Angst der großen englischen Flotte gewährt ihr
doch keineswegs ein Recht, im Hafen mit Briefpostsendungen anders zu ver¬
fahren, als sie auf hoher See hätte verfahren dürfen. Es gehört schon die
ganze Sophistik englischer Rechtsauslegung und -anwendung dazu, um zu dem
Schlüsse zu kommen, daß hinsichtlich der auf diese Weise in die britischen
Häfen verschleppten Postdampfer der Schutz des Haager Abkommens versage
und englisches Landrecht zur Anwendung komme I

Wenn der deutsche Vertreter auf der zweiten Haager Konferenz erklärt
hat, das wirksamste Mittel des Schutzes für die Korrespondenz bestehe in der
Befreiung der Postdampfer von jeder Kontrolle, so hat ihm der jetzige Krieg in
jeder Weise Recht gegeben. Daß das getroffene Abkommen den Bedürfnissen
im Handel und Verkehr nicht genügt, lehrt nicht nur die Tatsache, daß unsere
Gegner sich kühn über die Bestimmungen des Abkommens hinwegsetzen, sondern
vor allem der Umstand, daß sie ihr Verhalten als im Einklang mit diesen Be¬
stimmungen stehend hinstellen. Ist auch ihre Begründung dieses Standpunkts,
wie gesagt, durchaus hinfällig, fo wird sie doch ernstlich vertreten. Daraus
folgt aber ohne weiteres, daß das Abkommen in der Praxis versagt hat.
Heute ist der Schutz der überseeischen Korrespondenz sehr viel geringer als er
je in einem Kriege zuvor gewesen ist.

Unsere Gegner tragen die Hauptschuld an diesem bedauerns¬
werten Zustand. Aber auch die Neutralen sind von einer Mitschuld nicht
freizusprechen. Sie haben die in ihre Hand gegebene Verteidigung der Rechte


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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/40>, abgerufen am 23.07.2024.