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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Neue Ziele, neue Wege

Hinsicht alles beim Alten bleiben wird -- und vielleicht wäre es auch nicht
das schlimmste, wenn dem so wäre. Denn wenn uns auch die Sentimentalität
in politischen Dingen in mancher Hinsicht geschadet hat. so ist sie schließlich
doch nur der Schatten gewisser unleugbarer Vorzüge des deutschen Wesens,
denen wir unsere bisherigen Erfolge in der Welt verdanken und die mit ver¬
loren gehen würden, wenn wir die Sentimentalität tatsächlich abstreiften --
wohlbemerkt, sofern dies möglich wäre. Denn diese so feierlich abgeschworene
Sentimentalität ist im Grunde nur der Ausfluß des weit umfassenden univer¬
sellen Charakters des deutschen Geistes, ohne den wir weder auf wirtschaftlichem
noch aus geistigem Gebiete das geworden wären, was wir heute sind und dem
wir letzten Endes die Kraft verdanken, einer Welt von Feinden nicht nur zu
widerstehen, sondern sogar zu hoffen, sie niederwerfen zu können. Auch in
anderer Hinsicht hat eine derartige grundlegende Charakteränderung, sofern sie
möglich ist, ihre großen Bedenken, weil sie nur zu leicht zu dem Verlust des
überkommenen Charakters führt, ohne etwas neues Tatsächliches an seine Stelle
zu setzen, also zur Charakterlosigkeit und somit zur schlimmsten Entartung.
Vielleicht ist die Rückständigkeit bei einem Teil unserer Feinde, besonders bei
den Franzosen und Russen, auf eine derartige Entartung zurückzuführen.

Diese Erkenntnis, nicht aus unserer Haut heraus zu können, darf aber
natürlich nicht dazu führen, aus der Vergangenheit nichts zu lernen und alle
gemachten Fehler einfach zu wiederholen. Können und wollen wir vielleicht
die deutsche Sentimentalität, die auf der Fähigkeit, mit anderen mitzu¬
fühlen und uns in andere einzufühlen, beruht, auch nicht von Grund aus ab¬
legen, so können wir doch danach streben, sie verstandesmäßig auf Grund der
gemachten Erfahrungen zu beherrschen, statt uns von ihr beherrschen zu lassen.
Sie völlig zu verneinen, würde der größte Fehler sein, weil sie doch immer
wieder durchbrechen und uns gerade dort einen Streich spielen würde, wo wir
am wenigsten darauf gefaßt find. Bisäßen wir diese Sentimentalität nicht,
sondern an ihrer Stelle die Rücksichtslosigkeit des englischen und russischen Er¬
oberungsgeistes, so würden zweifellos auch unsere Kriegsziele wesentlich andere
sein und uns in Aufgaben verstricken, denen wir mit dem uns überkommenen
Charakter nicht gerecht werden könnten.

Immerhin wäre diese Abschwörung der Sentimentalität in politischen
Dingen auf dem Gebiete der auswärtigen Politik noch begreiflich, da sie uns
dort zweifellos manche Nachteile gebracht hat und die nicht von Sentimenta¬
lität angekränkelten diplomatischen Mittel unserer Feinde sich den unseren über¬
legen gezeigt haben. Wie tief uns dagegen die Fremdtümelei im Blute steckt,
zeigt wohl am besten der Umstand, daß wir auch auf dem Gebiete der inneren
Politik noch immer fortfahren, nach dem Auslande zu blicken und viele Kreise
nach wie vor in der Nachahmung der politischen Demokratie unserer Feinde
das Allheilmittel für gewisse iunerpolitische Sorgen und auch für den Haß,
mit dem uns die Welt beehrt, erblicken, obwohl doch gerade die deutsche Wider"


Neue Ziele, neue Wege

Hinsicht alles beim Alten bleiben wird — und vielleicht wäre es auch nicht
das schlimmste, wenn dem so wäre. Denn wenn uns auch die Sentimentalität
in politischen Dingen in mancher Hinsicht geschadet hat. so ist sie schließlich
doch nur der Schatten gewisser unleugbarer Vorzüge des deutschen Wesens,
denen wir unsere bisherigen Erfolge in der Welt verdanken und die mit ver¬
loren gehen würden, wenn wir die Sentimentalität tatsächlich abstreiften —
wohlbemerkt, sofern dies möglich wäre. Denn diese so feierlich abgeschworene
Sentimentalität ist im Grunde nur der Ausfluß des weit umfassenden univer¬
sellen Charakters des deutschen Geistes, ohne den wir weder auf wirtschaftlichem
noch aus geistigem Gebiete das geworden wären, was wir heute sind und dem
wir letzten Endes die Kraft verdanken, einer Welt von Feinden nicht nur zu
widerstehen, sondern sogar zu hoffen, sie niederwerfen zu können. Auch in
anderer Hinsicht hat eine derartige grundlegende Charakteränderung, sofern sie
möglich ist, ihre großen Bedenken, weil sie nur zu leicht zu dem Verlust des
überkommenen Charakters führt, ohne etwas neues Tatsächliches an seine Stelle
zu setzen, also zur Charakterlosigkeit und somit zur schlimmsten Entartung.
Vielleicht ist die Rückständigkeit bei einem Teil unserer Feinde, besonders bei
den Franzosen und Russen, auf eine derartige Entartung zurückzuführen.

Diese Erkenntnis, nicht aus unserer Haut heraus zu können, darf aber
natürlich nicht dazu führen, aus der Vergangenheit nichts zu lernen und alle
gemachten Fehler einfach zu wiederholen. Können und wollen wir vielleicht
die deutsche Sentimentalität, die auf der Fähigkeit, mit anderen mitzu¬
fühlen und uns in andere einzufühlen, beruht, auch nicht von Grund aus ab¬
legen, so können wir doch danach streben, sie verstandesmäßig auf Grund der
gemachten Erfahrungen zu beherrschen, statt uns von ihr beherrschen zu lassen.
Sie völlig zu verneinen, würde der größte Fehler sein, weil sie doch immer
wieder durchbrechen und uns gerade dort einen Streich spielen würde, wo wir
am wenigsten darauf gefaßt find. Bisäßen wir diese Sentimentalität nicht,
sondern an ihrer Stelle die Rücksichtslosigkeit des englischen und russischen Er¬
oberungsgeistes, so würden zweifellos auch unsere Kriegsziele wesentlich andere
sein und uns in Aufgaben verstricken, denen wir mit dem uns überkommenen
Charakter nicht gerecht werden könnten.

Immerhin wäre diese Abschwörung der Sentimentalität in politischen
Dingen auf dem Gebiete der auswärtigen Politik noch begreiflich, da sie uns
dort zweifellos manche Nachteile gebracht hat und die nicht von Sentimenta¬
lität angekränkelten diplomatischen Mittel unserer Feinde sich den unseren über¬
legen gezeigt haben. Wie tief uns dagegen die Fremdtümelei im Blute steckt,
zeigt wohl am besten der Umstand, daß wir auch auf dem Gebiete der inneren
Politik noch immer fortfahren, nach dem Auslande zu blicken und viele Kreise
nach wie vor in der Nachahmung der politischen Demokratie unserer Feinde
das Allheilmittel für gewisse iunerpolitische Sorgen und auch für den Haß,
mit dem uns die Welt beehrt, erblicken, obwohl doch gerade die deutsche Wider»


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[0398] Neue Ziele, neue Wege Hinsicht alles beim Alten bleiben wird — und vielleicht wäre es auch nicht das schlimmste, wenn dem so wäre. Denn wenn uns auch die Sentimentalität in politischen Dingen in mancher Hinsicht geschadet hat. so ist sie schließlich doch nur der Schatten gewisser unleugbarer Vorzüge des deutschen Wesens, denen wir unsere bisherigen Erfolge in der Welt verdanken und die mit ver¬ loren gehen würden, wenn wir die Sentimentalität tatsächlich abstreiften — wohlbemerkt, sofern dies möglich wäre. Denn diese so feierlich abgeschworene Sentimentalität ist im Grunde nur der Ausfluß des weit umfassenden univer¬ sellen Charakters des deutschen Geistes, ohne den wir weder auf wirtschaftlichem noch aus geistigem Gebiete das geworden wären, was wir heute sind und dem wir letzten Endes die Kraft verdanken, einer Welt von Feinden nicht nur zu widerstehen, sondern sogar zu hoffen, sie niederwerfen zu können. Auch in anderer Hinsicht hat eine derartige grundlegende Charakteränderung, sofern sie möglich ist, ihre großen Bedenken, weil sie nur zu leicht zu dem Verlust des überkommenen Charakters führt, ohne etwas neues Tatsächliches an seine Stelle zu setzen, also zur Charakterlosigkeit und somit zur schlimmsten Entartung. Vielleicht ist die Rückständigkeit bei einem Teil unserer Feinde, besonders bei den Franzosen und Russen, auf eine derartige Entartung zurückzuführen. Diese Erkenntnis, nicht aus unserer Haut heraus zu können, darf aber natürlich nicht dazu führen, aus der Vergangenheit nichts zu lernen und alle gemachten Fehler einfach zu wiederholen. Können und wollen wir vielleicht die deutsche Sentimentalität, die auf der Fähigkeit, mit anderen mitzu¬ fühlen und uns in andere einzufühlen, beruht, auch nicht von Grund aus ab¬ legen, so können wir doch danach streben, sie verstandesmäßig auf Grund der gemachten Erfahrungen zu beherrschen, statt uns von ihr beherrschen zu lassen. Sie völlig zu verneinen, würde der größte Fehler sein, weil sie doch immer wieder durchbrechen und uns gerade dort einen Streich spielen würde, wo wir am wenigsten darauf gefaßt find. Bisäßen wir diese Sentimentalität nicht, sondern an ihrer Stelle die Rücksichtslosigkeit des englischen und russischen Er¬ oberungsgeistes, so würden zweifellos auch unsere Kriegsziele wesentlich andere sein und uns in Aufgaben verstricken, denen wir mit dem uns überkommenen Charakter nicht gerecht werden könnten. Immerhin wäre diese Abschwörung der Sentimentalität in politischen Dingen auf dem Gebiete der auswärtigen Politik noch begreiflich, da sie uns dort zweifellos manche Nachteile gebracht hat und die nicht von Sentimenta¬ lität angekränkelten diplomatischen Mittel unserer Feinde sich den unseren über¬ legen gezeigt haben. Wie tief uns dagegen die Fremdtümelei im Blute steckt, zeigt wohl am besten der Umstand, daß wir auch auf dem Gebiete der inneren Politik noch immer fortfahren, nach dem Auslande zu blicken und viele Kreise nach wie vor in der Nachahmung der politischen Demokratie unserer Feinde das Allheilmittel für gewisse iunerpolitische Sorgen und auch für den Haß, mit dem uns die Welt beehrt, erblicken, obwohl doch gerade die deutsche Wider»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/398>, abgerufen am 23.07.2024.