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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Das Vermächtnis Brucks

ein politisches Ideal gewesen wäre. Dieser Mitarbeiter war sein Handels¬
minister Karl Ludwig von Brück.

Brück glaubte an den deutschen Beruf eines deutsch geleiteten Österreich.
Die im preußischen Geiste schreibende kleindeutsche Publizistik hat solchen Glauben,
von ihrem Standpunkte aus mit Recht, mehr oder weniger zu einer politischen
Torheit gestempelt. Wir aber werden ihm im Hinblick auf die Zukunfts¬
aufgaben unserer europäischen Politik heute wieder leichter gerecht werden
können. Auch wir müssen wieder, wenn schon unter vielfach veränderten Um¬
ständen, an den Beruf eines deutsch beeinflußten Osterreich glauben, wenn wir
wollen, daß die im Krieg vereinten Zentralmächte auch im künftigen Frieden
gemeinsamen politisch-kulturellen Zielen dienen. Und wer sollte das nicht
wollen, nachdem uns soviel Blut aneinander gekittet hat! Wir müssen heute
beweisen, daß Brucks politische Arbeit nicht eine historische Fata morgana war,
sondern ein Vermächtnis an die künftigen Generationen, von dem die Geschichte
zunächst keinen Gebrauch machen konnte, das uns aber aufbewahrt blieb, damit
wir seine Gedanken und Erfahrungen in unsere eigenen politischen Aufgaben
verweben könnten.

Brucks Ziel war die Zolleiniguug ganz Deutschlands und Österreichs.
Sie sollte zur Grundlage einer Gesamtreform des Deutschen Bundes und
damit der politischen Einigung Mitteleuropas werden. Das großdeutsche
Ideal des Siebzig-Millionenreiches im Herzen Europas und des einheitlichen
Wirtschaftsgebietes von der Nordsee bis zur Adria schwebte ihm vor. Man
muß diese Pläne auf dem Hintergrunde ihrer Zeit würdigen. Eben hatte in
den Frühlingstagen seiner Revolution das deutsche Volk "von der Etsch bis
an den Belt" seine Boten nach Frankreich gesandt, und eh.en hatte man das
stolze Werk der Nationalversammlung scheitern sehen. Dann hatte Preußen
durch Abschluß der "Union" von 1849 das Einigungswerk zu seiner Sache
gemacht. Sollte das eben neu erstarkende Österreich da zurückbleiben? Man
fühlte doch allgemein, daß man das Jahr 1848 nicht umsonst erlebt hatte, daß
man an irgendeinem Zipfel die Arbeit weiter wirken müßte, die in Frankfurt
unvollendet geblieben war. Welches politische Ziel aber konnte Osterreich dem
deutschen Volke weisen? Da war es Brück, der die Gunst des Augenblicks
erfaßte. Jetzt muß Österreich, sagte er, die eignen Rosse vor den deutschen
Wagen spannen, dann wird Deutschland niemandem lieber als ihm die Krone
des neuen Bundes aufs Haupt setzen. Er proklamierte zum erstenmal von
einem Regierungssessel aus den genialen Gedanken Friedrichs Lifts, die nationalen
Wirtschaftsinteressen zur Grundlage des politischen Ideals zu machen, wie nach
ihm auch Bismarck den vorher unpolitischen Zollverein zu einem Instrument
preußischer Nationalpolitik ausgenutzt hat. Man muß sich gegenwärtig halten,
wie neu nach den politischen Utopien der Revolution Brucks Gedanke war, eine
deutsche Zolleinigung zur Grundlage der Gesamteinigung zu machen. Nur
dann wird man der staatsmännischen Bedeutung des Ministers gerecht.


Das Vermächtnis Brucks

ein politisches Ideal gewesen wäre. Dieser Mitarbeiter war sein Handels¬
minister Karl Ludwig von Brück.

Brück glaubte an den deutschen Beruf eines deutsch geleiteten Österreich.
Die im preußischen Geiste schreibende kleindeutsche Publizistik hat solchen Glauben,
von ihrem Standpunkte aus mit Recht, mehr oder weniger zu einer politischen
Torheit gestempelt. Wir aber werden ihm im Hinblick auf die Zukunfts¬
aufgaben unserer europäischen Politik heute wieder leichter gerecht werden
können. Auch wir müssen wieder, wenn schon unter vielfach veränderten Um¬
ständen, an den Beruf eines deutsch beeinflußten Osterreich glauben, wenn wir
wollen, daß die im Krieg vereinten Zentralmächte auch im künftigen Frieden
gemeinsamen politisch-kulturellen Zielen dienen. Und wer sollte das nicht
wollen, nachdem uns soviel Blut aneinander gekittet hat! Wir müssen heute
beweisen, daß Brucks politische Arbeit nicht eine historische Fata morgana war,
sondern ein Vermächtnis an die künftigen Generationen, von dem die Geschichte
zunächst keinen Gebrauch machen konnte, das uns aber aufbewahrt blieb, damit
wir seine Gedanken und Erfahrungen in unsere eigenen politischen Aufgaben
verweben könnten.

Brucks Ziel war die Zolleiniguug ganz Deutschlands und Österreichs.
Sie sollte zur Grundlage einer Gesamtreform des Deutschen Bundes und
damit der politischen Einigung Mitteleuropas werden. Das großdeutsche
Ideal des Siebzig-Millionenreiches im Herzen Europas und des einheitlichen
Wirtschaftsgebietes von der Nordsee bis zur Adria schwebte ihm vor. Man
muß diese Pläne auf dem Hintergrunde ihrer Zeit würdigen. Eben hatte in
den Frühlingstagen seiner Revolution das deutsche Volk „von der Etsch bis
an den Belt" seine Boten nach Frankreich gesandt, und eh.en hatte man das
stolze Werk der Nationalversammlung scheitern sehen. Dann hatte Preußen
durch Abschluß der „Union" von 1849 das Einigungswerk zu seiner Sache
gemacht. Sollte das eben neu erstarkende Österreich da zurückbleiben? Man
fühlte doch allgemein, daß man das Jahr 1848 nicht umsonst erlebt hatte, daß
man an irgendeinem Zipfel die Arbeit weiter wirken müßte, die in Frankfurt
unvollendet geblieben war. Welches politische Ziel aber konnte Osterreich dem
deutschen Volke weisen? Da war es Brück, der die Gunst des Augenblicks
erfaßte. Jetzt muß Österreich, sagte er, die eignen Rosse vor den deutschen
Wagen spannen, dann wird Deutschland niemandem lieber als ihm die Krone
des neuen Bundes aufs Haupt setzen. Er proklamierte zum erstenmal von
einem Regierungssessel aus den genialen Gedanken Friedrichs Lifts, die nationalen
Wirtschaftsinteressen zur Grundlage des politischen Ideals zu machen, wie nach
ihm auch Bismarck den vorher unpolitischen Zollverein zu einem Instrument
preußischer Nationalpolitik ausgenutzt hat. Man muß sich gegenwärtig halten,
wie neu nach den politischen Utopien der Revolution Brucks Gedanke war, eine
deutsche Zolleinigung zur Grundlage der Gesamteinigung zu machen. Nur
dann wird man der staatsmännischen Bedeutung des Ministers gerecht.


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[0378] Das Vermächtnis Brucks ein politisches Ideal gewesen wäre. Dieser Mitarbeiter war sein Handels¬ minister Karl Ludwig von Brück. Brück glaubte an den deutschen Beruf eines deutsch geleiteten Österreich. Die im preußischen Geiste schreibende kleindeutsche Publizistik hat solchen Glauben, von ihrem Standpunkte aus mit Recht, mehr oder weniger zu einer politischen Torheit gestempelt. Wir aber werden ihm im Hinblick auf die Zukunfts¬ aufgaben unserer europäischen Politik heute wieder leichter gerecht werden können. Auch wir müssen wieder, wenn schon unter vielfach veränderten Um¬ ständen, an den Beruf eines deutsch beeinflußten Osterreich glauben, wenn wir wollen, daß die im Krieg vereinten Zentralmächte auch im künftigen Frieden gemeinsamen politisch-kulturellen Zielen dienen. Und wer sollte das nicht wollen, nachdem uns soviel Blut aneinander gekittet hat! Wir müssen heute beweisen, daß Brucks politische Arbeit nicht eine historische Fata morgana war, sondern ein Vermächtnis an die künftigen Generationen, von dem die Geschichte zunächst keinen Gebrauch machen konnte, das uns aber aufbewahrt blieb, damit wir seine Gedanken und Erfahrungen in unsere eigenen politischen Aufgaben verweben könnten. Brucks Ziel war die Zolleiniguug ganz Deutschlands und Österreichs. Sie sollte zur Grundlage einer Gesamtreform des Deutschen Bundes und damit der politischen Einigung Mitteleuropas werden. Das großdeutsche Ideal des Siebzig-Millionenreiches im Herzen Europas und des einheitlichen Wirtschaftsgebietes von der Nordsee bis zur Adria schwebte ihm vor. Man muß diese Pläne auf dem Hintergrunde ihrer Zeit würdigen. Eben hatte in den Frühlingstagen seiner Revolution das deutsche Volk „von der Etsch bis an den Belt" seine Boten nach Frankreich gesandt, und eh.en hatte man das stolze Werk der Nationalversammlung scheitern sehen. Dann hatte Preußen durch Abschluß der „Union" von 1849 das Einigungswerk zu seiner Sache gemacht. Sollte das eben neu erstarkende Österreich da zurückbleiben? Man fühlte doch allgemein, daß man das Jahr 1848 nicht umsonst erlebt hatte, daß man an irgendeinem Zipfel die Arbeit weiter wirken müßte, die in Frankfurt unvollendet geblieben war. Welches politische Ziel aber konnte Osterreich dem deutschen Volke weisen? Da war es Brück, der die Gunst des Augenblicks erfaßte. Jetzt muß Österreich, sagte er, die eignen Rosse vor den deutschen Wagen spannen, dann wird Deutschland niemandem lieber als ihm die Krone des neuen Bundes aufs Haupt setzen. Er proklamierte zum erstenmal von einem Regierungssessel aus den genialen Gedanken Friedrichs Lifts, die nationalen Wirtschaftsinteressen zur Grundlage des politischen Ideals zu machen, wie nach ihm auch Bismarck den vorher unpolitischen Zollverein zu einem Instrument preußischer Nationalpolitik ausgenutzt hat. Man muß sich gegenwärtig halten, wie neu nach den politischen Utopien der Revolution Brucks Gedanke war, eine deutsche Zolleinigung zur Grundlage der Gesamteinigung zu machen. Nur dann wird man der staatsmännischen Bedeutung des Ministers gerecht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/378>, abgerufen am 23.07.2024.