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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Mehmet "Lenin als Volkserzieher

dringlich genug zu preisen weiß -- verachtete Vorwürfe für manchen Nur-
Dichter und raffinierter Künstler, und dennoch die Säulen der Wohlfahrt für
ein darniederliegendes Land, ein verelendetes Volk: -- den Landbau und das
Handwerk.

Es gemahnt fast an die Kunst des alten Homer, wenn Mehmet Emin
andachtsvoll die Güte der Mutter Erde preist, die voll reicher Frucht allen
Nahrung beut, die sie erarbeiten wollen. "Wir Türken find ein Bauernvolk",
darum gilt es, den Tag zu nutzen und den Boden mit starken Armen zu
bestellen. "Der schönste Zustand ist für uns der Schweiß auf der Stirn und
die Schwiele in der Hand," so ruft er einem jungen Landmann zu, der sich
der Trägheit hingibt. "Vorwärts I Marsch! Du bist hinter den anderen zurück¬
geblieben. Zieh deinen Schuh an, treibe die Ochsen an!" Besonders schön ist
das Hohe Lied des Landmannberufes, das er so einleitet: "Gold her, Gold!" --
"Nein, Bruder, diesen Gedanken gib auf! Das goldene Zeitalter ist seit langem
vorüber, jetzt ist das eiserne. Torinsk ist der Träge, der das Eisen gering
achtet und dann Tag und Nacht vom Golde phantasiert. Diese bescheidenen
Dinge, die du da stehst, als: Same, Ochse. Hacke, Sichel -- die sind es, welche
wirklich die Besserung des Loses bringen; die brachten und bringen noch immer
Segen jedem Herde. Die halte du heiliger als sonst irgendetwas auf der
Welt. . . . Landmann sein, ist etwas Großes. Die Saat macht das Vaterland
blühend. Der Pflug ist ein edles Werkzeug, der Schweiß des Angesichts ist
eine Wonne. Solche Wonne kannst du sonst in keinem Berufe finden."

Wie kräftiger Geruch der Scholle steigt es aus solchen Zeilen auf. Der
Dichter, selbst ein armer Fischersohn aus Anatolien, kennt die Verwahrlosung
des Landes und des Volkes; er weiß auch, wie dem anatolischen Bauer geholfen
werden kann, und so arbeitet hier der Volkswirtschastler, dessen Herz in Andacht,
Liebe und Ehrfurcht der mütterlichen Erde verbunden ist, an dem Aufbau des
Landes und an der Hebung des Lebensmutes und der Lebenskraft.

Die gleiche Stimmung der Gesundheit und der Kraft, der Arbeitsfreude
und des Schaffensfleißes atmen und pflanzen auch die Gedichte, die den Hand¬
werker bei seinem Schaffen zeigen. Es ist der uns so vertraute Gedanke:

der hier dem ganz anders gearteten Volkscharakter des Orientalen in tausend
wechselvollen Formen und Bildern nahegebracht und eingehämmert wird;
Mehmet Emin arbeitet geradezu an der Lösung eines unendlich schwierigen
soziologischen und psychologischen Grundproblems des Orients, wenn er in seinen
Landsleuten Arbeitsbedürfnis und Arbeitsfreude zu wecken strebt und sie zu den
sittlichen Kräften der Arbeit hinleitet. Und wieder drängt sich ein Vergleich
mit dem ehrenfester Ernst Moritz Arndt auf, wenn wir die Freude an dem


Mehmet «Lenin als Volkserzieher

dringlich genug zu preisen weiß — verachtete Vorwürfe für manchen Nur-
Dichter und raffinierter Künstler, und dennoch die Säulen der Wohlfahrt für
ein darniederliegendes Land, ein verelendetes Volk: — den Landbau und das
Handwerk.

Es gemahnt fast an die Kunst des alten Homer, wenn Mehmet Emin
andachtsvoll die Güte der Mutter Erde preist, die voll reicher Frucht allen
Nahrung beut, die sie erarbeiten wollen. „Wir Türken find ein Bauernvolk",
darum gilt es, den Tag zu nutzen und den Boden mit starken Armen zu
bestellen. „Der schönste Zustand ist für uns der Schweiß auf der Stirn und
die Schwiele in der Hand," so ruft er einem jungen Landmann zu, der sich
der Trägheit hingibt. „Vorwärts I Marsch! Du bist hinter den anderen zurück¬
geblieben. Zieh deinen Schuh an, treibe die Ochsen an!" Besonders schön ist
das Hohe Lied des Landmannberufes, das er so einleitet: „Gold her, Gold!" —
„Nein, Bruder, diesen Gedanken gib auf! Das goldene Zeitalter ist seit langem
vorüber, jetzt ist das eiserne. Torinsk ist der Träge, der das Eisen gering
achtet und dann Tag und Nacht vom Golde phantasiert. Diese bescheidenen
Dinge, die du da stehst, als: Same, Ochse. Hacke, Sichel — die sind es, welche
wirklich die Besserung des Loses bringen; die brachten und bringen noch immer
Segen jedem Herde. Die halte du heiliger als sonst irgendetwas auf der
Welt. . . . Landmann sein, ist etwas Großes. Die Saat macht das Vaterland
blühend. Der Pflug ist ein edles Werkzeug, der Schweiß des Angesichts ist
eine Wonne. Solche Wonne kannst du sonst in keinem Berufe finden."

Wie kräftiger Geruch der Scholle steigt es aus solchen Zeilen auf. Der
Dichter, selbst ein armer Fischersohn aus Anatolien, kennt die Verwahrlosung
des Landes und des Volkes; er weiß auch, wie dem anatolischen Bauer geholfen
werden kann, und so arbeitet hier der Volkswirtschastler, dessen Herz in Andacht,
Liebe und Ehrfurcht der mütterlichen Erde verbunden ist, an dem Aufbau des
Landes und an der Hebung des Lebensmutes und der Lebenskraft.

Die gleiche Stimmung der Gesundheit und der Kraft, der Arbeitsfreude
und des Schaffensfleißes atmen und pflanzen auch die Gedichte, die den Hand¬
werker bei seinem Schaffen zeigen. Es ist der uns so vertraute Gedanke:

der hier dem ganz anders gearteten Volkscharakter des Orientalen in tausend
wechselvollen Formen und Bildern nahegebracht und eingehämmert wird;
Mehmet Emin arbeitet geradezu an der Lösung eines unendlich schwierigen
soziologischen und psychologischen Grundproblems des Orients, wenn er in seinen
Landsleuten Arbeitsbedürfnis und Arbeitsfreude zu wecken strebt und sie zu den
sittlichen Kräften der Arbeit hinleitet. Und wieder drängt sich ein Vergleich
mit dem ehrenfester Ernst Moritz Arndt auf, wenn wir die Freude an dem


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[0265] Mehmet «Lenin als Volkserzieher dringlich genug zu preisen weiß — verachtete Vorwürfe für manchen Nur- Dichter und raffinierter Künstler, und dennoch die Säulen der Wohlfahrt für ein darniederliegendes Land, ein verelendetes Volk: — den Landbau und das Handwerk. Es gemahnt fast an die Kunst des alten Homer, wenn Mehmet Emin andachtsvoll die Güte der Mutter Erde preist, die voll reicher Frucht allen Nahrung beut, die sie erarbeiten wollen. „Wir Türken find ein Bauernvolk", darum gilt es, den Tag zu nutzen und den Boden mit starken Armen zu bestellen. „Der schönste Zustand ist für uns der Schweiß auf der Stirn und die Schwiele in der Hand," so ruft er einem jungen Landmann zu, der sich der Trägheit hingibt. „Vorwärts I Marsch! Du bist hinter den anderen zurück¬ geblieben. Zieh deinen Schuh an, treibe die Ochsen an!" Besonders schön ist das Hohe Lied des Landmannberufes, das er so einleitet: „Gold her, Gold!" — „Nein, Bruder, diesen Gedanken gib auf! Das goldene Zeitalter ist seit langem vorüber, jetzt ist das eiserne. Torinsk ist der Träge, der das Eisen gering achtet und dann Tag und Nacht vom Golde phantasiert. Diese bescheidenen Dinge, die du da stehst, als: Same, Ochse. Hacke, Sichel — die sind es, welche wirklich die Besserung des Loses bringen; die brachten und bringen noch immer Segen jedem Herde. Die halte du heiliger als sonst irgendetwas auf der Welt. . . . Landmann sein, ist etwas Großes. Die Saat macht das Vaterland blühend. Der Pflug ist ein edles Werkzeug, der Schweiß des Angesichts ist eine Wonne. Solche Wonne kannst du sonst in keinem Berufe finden." Wie kräftiger Geruch der Scholle steigt es aus solchen Zeilen auf. Der Dichter, selbst ein armer Fischersohn aus Anatolien, kennt die Verwahrlosung des Landes und des Volkes; er weiß auch, wie dem anatolischen Bauer geholfen werden kann, und so arbeitet hier der Volkswirtschastler, dessen Herz in Andacht, Liebe und Ehrfurcht der mütterlichen Erde verbunden ist, an dem Aufbau des Landes und an der Hebung des Lebensmutes und der Lebenskraft. Die gleiche Stimmung der Gesundheit und der Kraft, der Arbeitsfreude und des Schaffensfleißes atmen und pflanzen auch die Gedichte, die den Hand¬ werker bei seinem Schaffen zeigen. Es ist der uns so vertraute Gedanke: der hier dem ganz anders gearteten Volkscharakter des Orientalen in tausend wechselvollen Formen und Bildern nahegebracht und eingehämmert wird; Mehmet Emin arbeitet geradezu an der Lösung eines unendlich schwierigen soziologischen und psychologischen Grundproblems des Orients, wenn er in seinen Landsleuten Arbeitsbedürfnis und Arbeitsfreude zu wecken strebt und sie zu den sittlichen Kräften der Arbeit hinleitet. Und wieder drängt sich ein Vergleich mit dem ehrenfester Ernst Moritz Arndt auf, wenn wir die Freude an dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/265>, abgerufen am 23.07.2024.