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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Die Krisis der russischen Innenpolitik

ferner aber weil das breite Land offenbar mehr an seine täglichen Brot- und
Nahrungssorgen dachte, als seine ganze Spannung für den persönlichen Kampf
Miljukow-Stürmer hinzugeben.

Trotzdem war die Aufregung im Lande natürlich groß, denn es waren
Worte von der Dumatribüne gefallen, die man dort früher nicht gehört hatte.
Protopopow war es trotz aller Zensuroerfügungen nicht gelungen, die Kenntnis
der Reden dem Lande zu verheimlichen. Für Stürmer war es unmöglich, zu
bleiben. Er hatte die falsche Taktik gewählt, die Duma zu boykottieren, und
er hatte sich dabei selbst seiner besten Waffen beraubt.

Trepow schlug einen anderen Weg ein. Schon die ersten Schritte, die er
ergriff, zeigten dies. Er versuchte, in der Dumakommision zu sprechen. Es
gelang ihm, die Obstruktion der Sozialdemokraten, der Arbeitsgruppen und der
Progressisten, die die Absetzung des ministeriellen Berichts von der Tagesordnung
verlangten, zu brechen. Er besuchte Rodsjanko. Man sagt, daß er ein Memoire
an den Zaren gerichtet hat, in dem die Rede davon war, daß sich "die scharfen
Deklarationen des Blockes nicht gegen die Regierung überhaupt, sondern gegen
einige ihrer Vertreter ausschließlich richteten". Das erste Auftreten Trepows in
der Duma war sicherlich von dem Wunsche getragen, eine Zusammenarbeit zu
versuchen, die Duma vielleicht auch durch die Ablenkung aus die äußeren Kriegs¬
ziele (Konstantinopel, Polen) von den inneren Fragen abzulenken und ihr ein
glänzendes Ziel zu zeigen. Beides mißlang. Für glänzende Ziele war das
Volk nicht mehr zu haben, man war müde, und die Ereignisse des Tages
straften die Trepowschen Zukunftsbilder allzusehr Lügen. Graf Olsufiew erklärte
im Reichsrat wörtlich: "In dieser Kriegszeit wird das Bewußtsein immer stärker-
daß nicht die Worte wichtig sind, sondern die Taten, daß besser der Sperling
in der Hand ist als die Taube auf dem Dache. Für mich sind die beiden Nach¬
richten, die ich gleichzeitig erhalten habe, nämlich die Räumung Bukarests durch
unsere Truppen und die diplomatische Einnahme Konstantinopels, in ihrem
Eindruck recht ungleichwertig".

Was die Zusammenarbeit mit der Duma anbelangt, so hatte man dieselbe
Melodie nur allzuoft vorher gehört. Im Grunde genommen war das dasselbe,
was Stürmer und die anderen auch gesagt hatten. Die späteren Ereignisse
straften denn auch Trepow Lügen. Das Vorgehen der Regierung (oder gab es
keine einheitliche Regierung mehr in Rußland?) gegen die Moskaner Verbände
ist bekannt. Sie unterstützte die ablehnende Haltung, die der Block gegen die
Bestrebungen Trepows ans ein Zusammenarbeiten einnahm. Der Wunsch
Protopopows, der an den Dumapräsidenten selbst gerichtet wurde und die Bitte
aussprach, eine Jnterpellation über die Moskaner Ereignisse nur bei geschlossenen
Türen stattfinden zu lassen, wurde umgangen. Man behandelte eine andere
Frage und besprach dabei die Moskaner Ereignisse. Es kam zu der bekannten
Erklärung Miljukows "von der Atmosphäre, die von Elektrizität geladen ist, von
dem Herannahen des Gewitters, dessen erster Schlag in jedem Augenblick ertönen


Die Krisis der russischen Innenpolitik

ferner aber weil das breite Land offenbar mehr an seine täglichen Brot- und
Nahrungssorgen dachte, als seine ganze Spannung für den persönlichen Kampf
Miljukow-Stürmer hinzugeben.

Trotzdem war die Aufregung im Lande natürlich groß, denn es waren
Worte von der Dumatribüne gefallen, die man dort früher nicht gehört hatte.
Protopopow war es trotz aller Zensuroerfügungen nicht gelungen, die Kenntnis
der Reden dem Lande zu verheimlichen. Für Stürmer war es unmöglich, zu
bleiben. Er hatte die falsche Taktik gewählt, die Duma zu boykottieren, und
er hatte sich dabei selbst seiner besten Waffen beraubt.

Trepow schlug einen anderen Weg ein. Schon die ersten Schritte, die er
ergriff, zeigten dies. Er versuchte, in der Dumakommision zu sprechen. Es
gelang ihm, die Obstruktion der Sozialdemokraten, der Arbeitsgruppen und der
Progressisten, die die Absetzung des ministeriellen Berichts von der Tagesordnung
verlangten, zu brechen. Er besuchte Rodsjanko. Man sagt, daß er ein Memoire
an den Zaren gerichtet hat, in dem die Rede davon war, daß sich „die scharfen
Deklarationen des Blockes nicht gegen die Regierung überhaupt, sondern gegen
einige ihrer Vertreter ausschließlich richteten". Das erste Auftreten Trepows in
der Duma war sicherlich von dem Wunsche getragen, eine Zusammenarbeit zu
versuchen, die Duma vielleicht auch durch die Ablenkung aus die äußeren Kriegs¬
ziele (Konstantinopel, Polen) von den inneren Fragen abzulenken und ihr ein
glänzendes Ziel zu zeigen. Beides mißlang. Für glänzende Ziele war das
Volk nicht mehr zu haben, man war müde, und die Ereignisse des Tages
straften die Trepowschen Zukunftsbilder allzusehr Lügen. Graf Olsufiew erklärte
im Reichsrat wörtlich: „In dieser Kriegszeit wird das Bewußtsein immer stärker-
daß nicht die Worte wichtig sind, sondern die Taten, daß besser der Sperling
in der Hand ist als die Taube auf dem Dache. Für mich sind die beiden Nach¬
richten, die ich gleichzeitig erhalten habe, nämlich die Räumung Bukarests durch
unsere Truppen und die diplomatische Einnahme Konstantinopels, in ihrem
Eindruck recht ungleichwertig".

Was die Zusammenarbeit mit der Duma anbelangt, so hatte man dieselbe
Melodie nur allzuoft vorher gehört. Im Grunde genommen war das dasselbe,
was Stürmer und die anderen auch gesagt hatten. Die späteren Ereignisse
straften denn auch Trepow Lügen. Das Vorgehen der Regierung (oder gab es
keine einheitliche Regierung mehr in Rußland?) gegen die Moskaner Verbände
ist bekannt. Sie unterstützte die ablehnende Haltung, die der Block gegen die
Bestrebungen Trepows ans ein Zusammenarbeiten einnahm. Der Wunsch
Protopopows, der an den Dumapräsidenten selbst gerichtet wurde und die Bitte
aussprach, eine Jnterpellation über die Moskaner Ereignisse nur bei geschlossenen
Türen stattfinden zu lassen, wurde umgangen. Man behandelte eine andere
Frage und besprach dabei die Moskaner Ereignisse. Es kam zu der bekannten
Erklärung Miljukows „von der Atmosphäre, die von Elektrizität geladen ist, von
dem Herannahen des Gewitters, dessen erster Schlag in jedem Augenblick ertönen


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[0238] Die Krisis der russischen Innenpolitik ferner aber weil das breite Land offenbar mehr an seine täglichen Brot- und Nahrungssorgen dachte, als seine ganze Spannung für den persönlichen Kampf Miljukow-Stürmer hinzugeben. Trotzdem war die Aufregung im Lande natürlich groß, denn es waren Worte von der Dumatribüne gefallen, die man dort früher nicht gehört hatte. Protopopow war es trotz aller Zensuroerfügungen nicht gelungen, die Kenntnis der Reden dem Lande zu verheimlichen. Für Stürmer war es unmöglich, zu bleiben. Er hatte die falsche Taktik gewählt, die Duma zu boykottieren, und er hatte sich dabei selbst seiner besten Waffen beraubt. Trepow schlug einen anderen Weg ein. Schon die ersten Schritte, die er ergriff, zeigten dies. Er versuchte, in der Dumakommision zu sprechen. Es gelang ihm, die Obstruktion der Sozialdemokraten, der Arbeitsgruppen und der Progressisten, die die Absetzung des ministeriellen Berichts von der Tagesordnung verlangten, zu brechen. Er besuchte Rodsjanko. Man sagt, daß er ein Memoire an den Zaren gerichtet hat, in dem die Rede davon war, daß sich „die scharfen Deklarationen des Blockes nicht gegen die Regierung überhaupt, sondern gegen einige ihrer Vertreter ausschließlich richteten". Das erste Auftreten Trepows in der Duma war sicherlich von dem Wunsche getragen, eine Zusammenarbeit zu versuchen, die Duma vielleicht auch durch die Ablenkung aus die äußeren Kriegs¬ ziele (Konstantinopel, Polen) von den inneren Fragen abzulenken und ihr ein glänzendes Ziel zu zeigen. Beides mißlang. Für glänzende Ziele war das Volk nicht mehr zu haben, man war müde, und die Ereignisse des Tages straften die Trepowschen Zukunftsbilder allzusehr Lügen. Graf Olsufiew erklärte im Reichsrat wörtlich: „In dieser Kriegszeit wird das Bewußtsein immer stärker- daß nicht die Worte wichtig sind, sondern die Taten, daß besser der Sperling in der Hand ist als die Taube auf dem Dache. Für mich sind die beiden Nach¬ richten, die ich gleichzeitig erhalten habe, nämlich die Räumung Bukarests durch unsere Truppen und die diplomatische Einnahme Konstantinopels, in ihrem Eindruck recht ungleichwertig". Was die Zusammenarbeit mit der Duma anbelangt, so hatte man dieselbe Melodie nur allzuoft vorher gehört. Im Grunde genommen war das dasselbe, was Stürmer und die anderen auch gesagt hatten. Die späteren Ereignisse straften denn auch Trepow Lügen. Das Vorgehen der Regierung (oder gab es keine einheitliche Regierung mehr in Rußland?) gegen die Moskaner Verbände ist bekannt. Sie unterstützte die ablehnende Haltung, die der Block gegen die Bestrebungen Trepows ans ein Zusammenarbeiten einnahm. Der Wunsch Protopopows, der an den Dumapräsidenten selbst gerichtet wurde und die Bitte aussprach, eine Jnterpellation über die Moskaner Ereignisse nur bei geschlossenen Türen stattfinden zu lassen, wurde umgangen. Man behandelte eine andere Frage und besprach dabei die Moskaner Ereignisse. Es kam zu der bekannten Erklärung Miljukows „von der Atmosphäre, die von Elektrizität geladen ist, von dem Herannahen des Gewitters, dessen erster Schlag in jedem Augenblick ertönen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/238>, abgerufen am 25.08.2024.