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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Finnlands Befreiung

ständige Losreißung von dem ihm fremden russischen Staatskörper beständige
Sicherheit gewähren zu können.

Als Lösung des finnländischen Staatsproblemes sind mehrere Alternativen
denkbar. Schließt sich Finnland unmittelbar an Deutschland an, so leidet
Schweden unter einem übermächtigen deutschen Nachbarn, der auf unsere ganze
Süd-, Ost- und Nordgrenze drücken wird. Ein deutscher Reichskörper mit Finn¬
land als Bestandteil würde allerdings Deutschland selbst zu unförmlich in seiner
schlangenhaften Ausdehnung erscheinen. Da wäre es denn sowohl für uns wie
auch für Deutschland besser, wenn Schweden dadurch unmittelbar an der neuen
Existenz Finnlands interessiert wäre, daß ein Band der Einheit sämtliche drei
Staaten und, wenn möglich auch Dänemark und Norwegen, miteinander ver¬
knüpfte. Ein mitteleuropäischer Staatenbund ist die beste, ja die allen
Kontrahenten allein Gewinn bringende Lösung des Existenzproblemes Finnlands
und Polens, Skandinaviens, Deutschlands und Österreich-Ungarns. Damit träte
der Gedanke eines dauernden Friedens auf den Boden der Wirklichkeit, und die
Furcht vor einem neuen Blutbade innerhalb Europas wäre durch Organisation
beseitigt.

Isolierte Völker sind lebensfeindliche Zeichen, die die Auffassung der
Menschheit als einem im Werden begriffenen Organismus widersprechen. Natio¬
nales Leben ist, wie alles andere Leben, Bewegung, aber keine Rückwärts-,
sondern eine Vorwärtsbewegung. Und die Weltgeschichte kennt im Grunde
keinen anderen Fortschritt als den von den einzelnen Teilen zum Ganzen
gehenden. Innerhalb eines großen, durch freiwillige Beteiligung gegründeten
Staatenbundes wird der Wettstreit zwischen den Nationen sich ohne Blut, Tränen
und Haß abspielen und ebenso frei wie edel sein.

In einem Punkte sind wir Schweden uns, im großen gesehen, einig: wir
müssen den Moralgesetzen der Weltgeschichte darin gehorchen, daß wir ein
nationales Leben führen, das andere Völker nicht vergewaltigt. Daher ist unsere
auswärtige Politik eine nach allen Seiten hin korrekte Neutralitätspolitik. Wir
haben Rußland nicht angreifen wollen, um in Verbindung mit der Offensive
der Mittelmächte im Osten Finnland zu befreien. Solange es nur auf uns
ankommt, wollen wir hinsichtlich des Neutralbleibens unser einmal gegebenes
Wort halten. Doch wenn die Weltgeschichte durch den Weltkrieg eine Ent¬
scheidung im großen geben will -- und das ist nur zu wahrscheinlich --, so
wird vielleicht an der Ostfront des Krieges eine Lage entstehen, in welcher
Schweden zwischen Leben durch Handeln oder Sterben durch Untätigkeit wählen
muß. Wenn wir uns jeglichen politischen Zusammenwirkens mit den Mittel¬
mächten und Finnland zum Zurücktreiben der russischen Gewaltherrschaft ent¬
halten, so sind wir vielleicht in den Allgen der Geschichte nutzlos geworden.
Dann wäre unser Untergang so unausbleiblich vorherzusehen und vorauszusagen,
daß wir uns zum Handeln aufraffen und ein Wort nach Osten hin sprechen
müssen. Vielleicht -- und wir wollen es so lange wie möglich hoffen --


Finnlands Befreiung

ständige Losreißung von dem ihm fremden russischen Staatskörper beständige
Sicherheit gewähren zu können.

Als Lösung des finnländischen Staatsproblemes sind mehrere Alternativen
denkbar. Schließt sich Finnland unmittelbar an Deutschland an, so leidet
Schweden unter einem übermächtigen deutschen Nachbarn, der auf unsere ganze
Süd-, Ost- und Nordgrenze drücken wird. Ein deutscher Reichskörper mit Finn¬
land als Bestandteil würde allerdings Deutschland selbst zu unförmlich in seiner
schlangenhaften Ausdehnung erscheinen. Da wäre es denn sowohl für uns wie
auch für Deutschland besser, wenn Schweden dadurch unmittelbar an der neuen
Existenz Finnlands interessiert wäre, daß ein Band der Einheit sämtliche drei
Staaten und, wenn möglich auch Dänemark und Norwegen, miteinander ver¬
knüpfte. Ein mitteleuropäischer Staatenbund ist die beste, ja die allen
Kontrahenten allein Gewinn bringende Lösung des Existenzproblemes Finnlands
und Polens, Skandinaviens, Deutschlands und Österreich-Ungarns. Damit träte
der Gedanke eines dauernden Friedens auf den Boden der Wirklichkeit, und die
Furcht vor einem neuen Blutbade innerhalb Europas wäre durch Organisation
beseitigt.

Isolierte Völker sind lebensfeindliche Zeichen, die die Auffassung der
Menschheit als einem im Werden begriffenen Organismus widersprechen. Natio¬
nales Leben ist, wie alles andere Leben, Bewegung, aber keine Rückwärts-,
sondern eine Vorwärtsbewegung. Und die Weltgeschichte kennt im Grunde
keinen anderen Fortschritt als den von den einzelnen Teilen zum Ganzen
gehenden. Innerhalb eines großen, durch freiwillige Beteiligung gegründeten
Staatenbundes wird der Wettstreit zwischen den Nationen sich ohne Blut, Tränen
und Haß abspielen und ebenso frei wie edel sein.

In einem Punkte sind wir Schweden uns, im großen gesehen, einig: wir
müssen den Moralgesetzen der Weltgeschichte darin gehorchen, daß wir ein
nationales Leben führen, das andere Völker nicht vergewaltigt. Daher ist unsere
auswärtige Politik eine nach allen Seiten hin korrekte Neutralitätspolitik. Wir
haben Rußland nicht angreifen wollen, um in Verbindung mit der Offensive
der Mittelmächte im Osten Finnland zu befreien. Solange es nur auf uns
ankommt, wollen wir hinsichtlich des Neutralbleibens unser einmal gegebenes
Wort halten. Doch wenn die Weltgeschichte durch den Weltkrieg eine Ent¬
scheidung im großen geben will — und das ist nur zu wahrscheinlich —, so
wird vielleicht an der Ostfront des Krieges eine Lage entstehen, in welcher
Schweden zwischen Leben durch Handeln oder Sterben durch Untätigkeit wählen
muß. Wenn wir uns jeglichen politischen Zusammenwirkens mit den Mittel¬
mächten und Finnland zum Zurücktreiben der russischen Gewaltherrschaft ent¬
halten, so sind wir vielleicht in den Allgen der Geschichte nutzlos geworden.
Dann wäre unser Untergang so unausbleiblich vorherzusehen und vorauszusagen,
daß wir uns zum Handeln aufraffen und ein Wort nach Osten hin sprechen
müssen. Vielleicht — und wir wollen es so lange wie möglich hoffen —


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[0188] Finnlands Befreiung ständige Losreißung von dem ihm fremden russischen Staatskörper beständige Sicherheit gewähren zu können. Als Lösung des finnländischen Staatsproblemes sind mehrere Alternativen denkbar. Schließt sich Finnland unmittelbar an Deutschland an, so leidet Schweden unter einem übermächtigen deutschen Nachbarn, der auf unsere ganze Süd-, Ost- und Nordgrenze drücken wird. Ein deutscher Reichskörper mit Finn¬ land als Bestandteil würde allerdings Deutschland selbst zu unförmlich in seiner schlangenhaften Ausdehnung erscheinen. Da wäre es denn sowohl für uns wie auch für Deutschland besser, wenn Schweden dadurch unmittelbar an der neuen Existenz Finnlands interessiert wäre, daß ein Band der Einheit sämtliche drei Staaten und, wenn möglich auch Dänemark und Norwegen, miteinander ver¬ knüpfte. Ein mitteleuropäischer Staatenbund ist die beste, ja die allen Kontrahenten allein Gewinn bringende Lösung des Existenzproblemes Finnlands und Polens, Skandinaviens, Deutschlands und Österreich-Ungarns. Damit träte der Gedanke eines dauernden Friedens auf den Boden der Wirklichkeit, und die Furcht vor einem neuen Blutbade innerhalb Europas wäre durch Organisation beseitigt. Isolierte Völker sind lebensfeindliche Zeichen, die die Auffassung der Menschheit als einem im Werden begriffenen Organismus widersprechen. Natio¬ nales Leben ist, wie alles andere Leben, Bewegung, aber keine Rückwärts-, sondern eine Vorwärtsbewegung. Und die Weltgeschichte kennt im Grunde keinen anderen Fortschritt als den von den einzelnen Teilen zum Ganzen gehenden. Innerhalb eines großen, durch freiwillige Beteiligung gegründeten Staatenbundes wird der Wettstreit zwischen den Nationen sich ohne Blut, Tränen und Haß abspielen und ebenso frei wie edel sein. In einem Punkte sind wir Schweden uns, im großen gesehen, einig: wir müssen den Moralgesetzen der Weltgeschichte darin gehorchen, daß wir ein nationales Leben führen, das andere Völker nicht vergewaltigt. Daher ist unsere auswärtige Politik eine nach allen Seiten hin korrekte Neutralitätspolitik. Wir haben Rußland nicht angreifen wollen, um in Verbindung mit der Offensive der Mittelmächte im Osten Finnland zu befreien. Solange es nur auf uns ankommt, wollen wir hinsichtlich des Neutralbleibens unser einmal gegebenes Wort halten. Doch wenn die Weltgeschichte durch den Weltkrieg eine Ent¬ scheidung im großen geben will — und das ist nur zu wahrscheinlich —, so wird vielleicht an der Ostfront des Krieges eine Lage entstehen, in welcher Schweden zwischen Leben durch Handeln oder Sterben durch Untätigkeit wählen muß. Wenn wir uns jeglichen politischen Zusammenwirkens mit den Mittel¬ mächten und Finnland zum Zurücktreiben der russischen Gewaltherrschaft ent¬ halten, so sind wir vielleicht in den Allgen der Geschichte nutzlos geworden. Dann wäre unser Untergang so unausbleiblich vorherzusehen und vorauszusagen, daß wir uns zum Handeln aufraffen und ein Wort nach Osten hin sprechen müssen. Vielleicht — und wir wollen es so lange wie möglich hoffen —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/188>, abgerufen am 23.07.2024.