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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Konservativismus und Neuorientierung

ein verelendeter Proletarier, ist bei uns ein in seinem Lebensausmaß gesicherter
Kleinbürger mit Sparbuch und fester Aussicht auf Jnvaliditäts- und Alters¬
versorgung. Von unten her steigt er zum Bürgertum auf. Es gibt keinen
Kampf weniger großer Klassen, wie etliche theoretische Starrköpfe bis zum
heutigen Tage behaupten, sondern es gibt einen wirtschaftlichen Wettbewerb un¬
zähliger, in ihren Interessen teils solidarischer, teils auseinanderstrebender Erwerbs¬
gruppen, deren oft gegeneinander gerichtete Kräfte sich doch in diesem Kriege
zu einer geschlossenen wuchtigen Schlagkraft nach außen zusammengeballt haben,
vor der die ganze Welt staunt. Dabei stehen diese Berufsgruppen in kaum
noch gehemmtem Austausch ihrer Individuen. Wenn auch natürlicherweise der
Aufstieg noch beschwerlicher ist als der Abstieg: es kann immerhin der Sohn
des Fabrikarbeiters auf den Posten eines hohen Beamten gelangen, und mancher
Träger eines altadligen Namens ist auf die Stufe des Kleinbürgers herabgesunken.

All dies find weltgeschichtliche Umwaudlungsvorgänge, die in ihrer Rich¬
tung festliegen. Nicht diese abzubiegen kann das Ziel ernsthaften politischen
Wollens sein, so nahe dem verzagenden Willen das Versinken in einer Romantik
liegt, die schwächlich die Vergangenheit lobt, statt die neuen Formen zu suchen,
in denen der alte Geist auch allen Wandlungen zum Trotz eine zeitgemäße
Gestalt finden kann. Auch der Konservativismus nimmt an dieser Aufgabe
teil, und nur dies ist aus seinem irreführender, die tiefsten Antriebe ver¬
schweigenden Namen zu schließen, daß er sich darüber hinaus noch das durchaus
sinnvolle Ziel setzt, den Rhythmus der Entwicklung zu bestimmen. Nach Art
des organischen Wachstums geht in einer konservativen Politik das gute Neue
aus dem bewährten Alten hervor. Aber Erstarrung ist der Tod alles leben¬
digen Wachstums, und positiv weiterführende Ziele kennt deshalb der Konser¬
vativismus so gut, ja vielleicht noch besser als jede andere Partei, und es ist
seine stolze Überlegenheit in seinen besten Zeiten immer gewesen, gegenüber
rationalistisch-utopischen, gewissermaßen überzukünftigen Programmen mit zu¬
künftigen, d. h. greifbaren und zuuächsiliegenden Vorschlägen der Regierung
wirksam beizuspringen und so den wahren Fortschritt machtvoll zu lenken.

Konservativer Geist von solcher Art wird seine wirksame Stütze immer
in solchen Lebenskreisen finden, deren Leben in innigem Zusammenhang mit
dem geheimnisvollen Werden der Natur verläuft: bei den Landbewohnern.
Aber es wäre traurig um die Zukunft des Konservativismus in einem so
wesentlich verstadtlichtm Volke wie dem unseren bestellt, wenn er einzig auf
diese Kreise angewiesen wäre. Niemand wird leugnen können, daß die be¬
währte Schicht des preußischen Beamtentumes eine Heimstätte echt konservativen
Geistes gewesen ist, und auch an den Universitäten war jene Haltung immer
heimisch, die freilich zum rechten Flügel des Liberalismus hinüberneigte, aber
der linksliberalen Demokratie mit ihrem Antimilitarismus und ihrer Bewun¬
derung parlamentarischer Verfassungsformen ungleich fremder und ablehnender
gegenüberstand als den Extremen konservativen Geistes. Allerdings übte der


Konservativismus und Neuorientierung

ein verelendeter Proletarier, ist bei uns ein in seinem Lebensausmaß gesicherter
Kleinbürger mit Sparbuch und fester Aussicht auf Jnvaliditäts- und Alters¬
versorgung. Von unten her steigt er zum Bürgertum auf. Es gibt keinen
Kampf weniger großer Klassen, wie etliche theoretische Starrköpfe bis zum
heutigen Tage behaupten, sondern es gibt einen wirtschaftlichen Wettbewerb un¬
zähliger, in ihren Interessen teils solidarischer, teils auseinanderstrebender Erwerbs¬
gruppen, deren oft gegeneinander gerichtete Kräfte sich doch in diesem Kriege
zu einer geschlossenen wuchtigen Schlagkraft nach außen zusammengeballt haben,
vor der die ganze Welt staunt. Dabei stehen diese Berufsgruppen in kaum
noch gehemmtem Austausch ihrer Individuen. Wenn auch natürlicherweise der
Aufstieg noch beschwerlicher ist als der Abstieg: es kann immerhin der Sohn
des Fabrikarbeiters auf den Posten eines hohen Beamten gelangen, und mancher
Träger eines altadligen Namens ist auf die Stufe des Kleinbürgers herabgesunken.

All dies find weltgeschichtliche Umwaudlungsvorgänge, die in ihrer Rich¬
tung festliegen. Nicht diese abzubiegen kann das Ziel ernsthaften politischen
Wollens sein, so nahe dem verzagenden Willen das Versinken in einer Romantik
liegt, die schwächlich die Vergangenheit lobt, statt die neuen Formen zu suchen,
in denen der alte Geist auch allen Wandlungen zum Trotz eine zeitgemäße
Gestalt finden kann. Auch der Konservativismus nimmt an dieser Aufgabe
teil, und nur dies ist aus seinem irreführender, die tiefsten Antriebe ver¬
schweigenden Namen zu schließen, daß er sich darüber hinaus noch das durchaus
sinnvolle Ziel setzt, den Rhythmus der Entwicklung zu bestimmen. Nach Art
des organischen Wachstums geht in einer konservativen Politik das gute Neue
aus dem bewährten Alten hervor. Aber Erstarrung ist der Tod alles leben¬
digen Wachstums, und positiv weiterführende Ziele kennt deshalb der Konser¬
vativismus so gut, ja vielleicht noch besser als jede andere Partei, und es ist
seine stolze Überlegenheit in seinen besten Zeiten immer gewesen, gegenüber
rationalistisch-utopischen, gewissermaßen überzukünftigen Programmen mit zu¬
künftigen, d. h. greifbaren und zuuächsiliegenden Vorschlägen der Regierung
wirksam beizuspringen und so den wahren Fortschritt machtvoll zu lenken.

Konservativer Geist von solcher Art wird seine wirksame Stütze immer
in solchen Lebenskreisen finden, deren Leben in innigem Zusammenhang mit
dem geheimnisvollen Werden der Natur verläuft: bei den Landbewohnern.
Aber es wäre traurig um die Zukunft des Konservativismus in einem so
wesentlich verstadtlichtm Volke wie dem unseren bestellt, wenn er einzig auf
diese Kreise angewiesen wäre. Niemand wird leugnen können, daß die be¬
währte Schicht des preußischen Beamtentumes eine Heimstätte echt konservativen
Geistes gewesen ist, und auch an den Universitäten war jene Haltung immer
heimisch, die freilich zum rechten Flügel des Liberalismus hinüberneigte, aber
der linksliberalen Demokratie mit ihrem Antimilitarismus und ihrer Bewun¬
derung parlamentarischer Verfassungsformen ungleich fremder und ablehnender
gegenüberstand als den Extremen konservativen Geistes. Allerdings übte der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/174>, abgerufen am 23.07.2024.