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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Von der Times, der Diktatur und andern Dingen

Wir stehen hier vor einem Geheimnis der Volkspsychologie. Und alles Tadeln,
Bemäkeln, Kritisieren wäre zwecklos. L'est 5 prenäre on Ä lais8er.

Als ich diesen Aufsatz begann, wollte ich eigentlich nicht von der "Times"
reden, sondern von der "Lebensmitteldiktatur". Der übermäßige Papierver¬
brauch ist ja schließlich eine Kleinigkeit. Wenn im Lande die Notwendigkeit
äußerster Sparsamkeit gepredigt wird, handelt es sich um Millionen von
Tonnen, nicht um Tausende. Aber Kleinigkeiten sind bezeichnend, besonders
in diesem Falle. Es handelt sich doch um Zeitungen, die die eigentlichen
Führer jener Bewegung sind, die Fortführung des Krieges bis zum vollen
Siege verlangen, gleichviel was für Opfer das auch kosten möge. Die Ein¬
schränkung des Umfangs ist für eine Zeitung entschieden vorteilhafter, als die
Erhöhung des Bezugsgeldes; es geht also in keinem Falle an, von "Geschäfts¬
interessen" zu reden. Wir haben einfach ein Beispiel jener organischen Ab¬
neigung gegen alles Neue vor uns, die das Tempo der englischen Mobil¬
machung der nationalen Kräfte und damit auch das Tempo des ganzen Krieges
in so hohem Maße bedingt. Das nämliche wird auch bei der "Diktatur" zu¬
tage treten. Schwieriger als der Kampf gegen die U-Boote und gegen die
Machenschaften der Spekulanten wird dem Lebensmitteldiktator der Kampf
gegen die geschichtlichen Eigentümlichkeiten werden -- vor allem gegen jene,
die sich in den Satz fassen läßt: Klappe den Regenschirm nicht eher auf, als
bis du ganz naß geworden bist.

Die Idee der Diktatur selbst ist um rund zwei Jahre zu spät gekommen.
Vom ersten Tage des Krieges an war es klar, daß der Erfolg ebenso sehr von
der Handelsflotte abhängt, wie von der Kriegsflotte, und daß der Verbrauch
auf das Allernotwendigste beschränkt bleiben müsse. Ja, das war eigentlich
schon vor dem Kriege klar, -- war es immer. Das Gespenst der Lebens¬
mittelnot hat England immer gepeinigt; als die ersten, noch sehr unvoll¬
kommenen Tauchboote aufkamen, brachte man hier die neue Erfindung sofort
mit der Verpflegungsfrage in Verbindung. Statt daß man nach deutschem
Muster Bestandsaufnahmen vorgenommen und Lebensmittelkarten eingeführt
hätte, begnügte man sich -- Sparsamkeit zu predigen. Auf diese Propaganda
ist so viel Zeitungs- und Plakatpapier verschwendet worden, daß es ein Leichtes
gewesen wäre, an dessen statt einen großen Teil der besten australischen Ernte
herüberzuschaffen. Daß die Propaganda keinen Erfolg haben würde, war
vorauszusehen. Der Krieg wirkt erregend auf die Nerven; die Atmosphäre,
die er schafft, treibt ebenso wohl -- ja vielleicht noch mehr -- zum Ver¬
schwenden an, wie zum Sparen. Besonders in einem Lande, das geographisch
durch den Krieg nicht berührt ist. Dagegen mit Predigten und Plataeer an¬
zukämpfen, ist zwecklos.

Und wenn es nun zur behördlich vorgeschriebenen Regelung des Ver¬
brauches kommen sollte, so wird wieder -- wie später noch tausendmal -- die
angeborene Abneigung gegen jeden Zwang, jede Registrierung, jede unmittelbare


Von der Times, der Diktatur und andern Dingen

Wir stehen hier vor einem Geheimnis der Volkspsychologie. Und alles Tadeln,
Bemäkeln, Kritisieren wäre zwecklos. L'est 5 prenäre on Ä lais8er.

Als ich diesen Aufsatz begann, wollte ich eigentlich nicht von der „Times"
reden, sondern von der „Lebensmitteldiktatur". Der übermäßige Papierver¬
brauch ist ja schließlich eine Kleinigkeit. Wenn im Lande die Notwendigkeit
äußerster Sparsamkeit gepredigt wird, handelt es sich um Millionen von
Tonnen, nicht um Tausende. Aber Kleinigkeiten sind bezeichnend, besonders
in diesem Falle. Es handelt sich doch um Zeitungen, die die eigentlichen
Führer jener Bewegung sind, die Fortführung des Krieges bis zum vollen
Siege verlangen, gleichviel was für Opfer das auch kosten möge. Die Ein¬
schränkung des Umfangs ist für eine Zeitung entschieden vorteilhafter, als die
Erhöhung des Bezugsgeldes; es geht also in keinem Falle an, von „Geschäfts¬
interessen" zu reden. Wir haben einfach ein Beispiel jener organischen Ab¬
neigung gegen alles Neue vor uns, die das Tempo der englischen Mobil¬
machung der nationalen Kräfte und damit auch das Tempo des ganzen Krieges
in so hohem Maße bedingt. Das nämliche wird auch bei der „Diktatur" zu¬
tage treten. Schwieriger als der Kampf gegen die U-Boote und gegen die
Machenschaften der Spekulanten wird dem Lebensmitteldiktator der Kampf
gegen die geschichtlichen Eigentümlichkeiten werden — vor allem gegen jene,
die sich in den Satz fassen läßt: Klappe den Regenschirm nicht eher auf, als
bis du ganz naß geworden bist.

Die Idee der Diktatur selbst ist um rund zwei Jahre zu spät gekommen.
Vom ersten Tage des Krieges an war es klar, daß der Erfolg ebenso sehr von
der Handelsflotte abhängt, wie von der Kriegsflotte, und daß der Verbrauch
auf das Allernotwendigste beschränkt bleiben müsse. Ja, das war eigentlich
schon vor dem Kriege klar, — war es immer. Das Gespenst der Lebens¬
mittelnot hat England immer gepeinigt; als die ersten, noch sehr unvoll¬
kommenen Tauchboote aufkamen, brachte man hier die neue Erfindung sofort
mit der Verpflegungsfrage in Verbindung. Statt daß man nach deutschem
Muster Bestandsaufnahmen vorgenommen und Lebensmittelkarten eingeführt
hätte, begnügte man sich — Sparsamkeit zu predigen. Auf diese Propaganda
ist so viel Zeitungs- und Plakatpapier verschwendet worden, daß es ein Leichtes
gewesen wäre, an dessen statt einen großen Teil der besten australischen Ernte
herüberzuschaffen. Daß die Propaganda keinen Erfolg haben würde, war
vorauszusehen. Der Krieg wirkt erregend auf die Nerven; die Atmosphäre,
die er schafft, treibt ebenso wohl — ja vielleicht noch mehr — zum Ver¬
schwenden an, wie zum Sparen. Besonders in einem Lande, das geographisch
durch den Krieg nicht berührt ist. Dagegen mit Predigten und Plataeer an¬
zukämpfen, ist zwecklos.

Und wenn es nun zur behördlich vorgeschriebenen Regelung des Ver¬
brauches kommen sollte, so wird wieder — wie später noch tausendmal — die
angeborene Abneigung gegen jeden Zwang, jede Registrierung, jede unmittelbare


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[0164] Von der Times, der Diktatur und andern Dingen Wir stehen hier vor einem Geheimnis der Volkspsychologie. Und alles Tadeln, Bemäkeln, Kritisieren wäre zwecklos. L'est 5 prenäre on Ä lais8er. Als ich diesen Aufsatz begann, wollte ich eigentlich nicht von der „Times" reden, sondern von der „Lebensmitteldiktatur". Der übermäßige Papierver¬ brauch ist ja schließlich eine Kleinigkeit. Wenn im Lande die Notwendigkeit äußerster Sparsamkeit gepredigt wird, handelt es sich um Millionen von Tonnen, nicht um Tausende. Aber Kleinigkeiten sind bezeichnend, besonders in diesem Falle. Es handelt sich doch um Zeitungen, die die eigentlichen Führer jener Bewegung sind, die Fortführung des Krieges bis zum vollen Siege verlangen, gleichviel was für Opfer das auch kosten möge. Die Ein¬ schränkung des Umfangs ist für eine Zeitung entschieden vorteilhafter, als die Erhöhung des Bezugsgeldes; es geht also in keinem Falle an, von „Geschäfts¬ interessen" zu reden. Wir haben einfach ein Beispiel jener organischen Ab¬ neigung gegen alles Neue vor uns, die das Tempo der englischen Mobil¬ machung der nationalen Kräfte und damit auch das Tempo des ganzen Krieges in so hohem Maße bedingt. Das nämliche wird auch bei der „Diktatur" zu¬ tage treten. Schwieriger als der Kampf gegen die U-Boote und gegen die Machenschaften der Spekulanten wird dem Lebensmitteldiktator der Kampf gegen die geschichtlichen Eigentümlichkeiten werden — vor allem gegen jene, die sich in den Satz fassen läßt: Klappe den Regenschirm nicht eher auf, als bis du ganz naß geworden bist. Die Idee der Diktatur selbst ist um rund zwei Jahre zu spät gekommen. Vom ersten Tage des Krieges an war es klar, daß der Erfolg ebenso sehr von der Handelsflotte abhängt, wie von der Kriegsflotte, und daß der Verbrauch auf das Allernotwendigste beschränkt bleiben müsse. Ja, das war eigentlich schon vor dem Kriege klar, — war es immer. Das Gespenst der Lebens¬ mittelnot hat England immer gepeinigt; als die ersten, noch sehr unvoll¬ kommenen Tauchboote aufkamen, brachte man hier die neue Erfindung sofort mit der Verpflegungsfrage in Verbindung. Statt daß man nach deutschem Muster Bestandsaufnahmen vorgenommen und Lebensmittelkarten eingeführt hätte, begnügte man sich — Sparsamkeit zu predigen. Auf diese Propaganda ist so viel Zeitungs- und Plakatpapier verschwendet worden, daß es ein Leichtes gewesen wäre, an dessen statt einen großen Teil der besten australischen Ernte herüberzuschaffen. Daß die Propaganda keinen Erfolg haben würde, war vorauszusehen. Der Krieg wirkt erregend auf die Nerven; die Atmosphäre, die er schafft, treibt ebenso wohl — ja vielleicht noch mehr — zum Ver¬ schwenden an, wie zum Sparen. Besonders in einem Lande, das geographisch durch den Krieg nicht berührt ist. Dagegen mit Predigten und Plataeer an¬ zukämpfen, ist zwecklos. Und wenn es nun zur behördlich vorgeschriebenen Regelung des Ver¬ brauches kommen sollte, so wird wieder — wie später noch tausendmal — die angeborene Abneigung gegen jeden Zwang, jede Registrierung, jede unmittelbare

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/164>, abgerufen am 23.07.2024.