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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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von der Times, der Diktatur und andern Dingen

Das übrige Material ist rechts und links von diesem Zentrum verteilt. Linkst
d. h. zur Titelseite hin, befinden sich die übrigen Depeschen und Zuschriften,
militärische und politische Aufsätze, Verlustlisten, Ordensauszeichnungen, Biogra¬
phien aller gefallenen Offiziere und Berichte über die Gerichtsverhandlungen.
Rechts kommen zwei bis drei Spalten mit Hofnachrichten. Parlamentsberichte,
zwei bis drei Aufsätze leichterer Art (darunter wöchentlich ein Pariser Modebries)
und wieder Zuschriften an die Redaktion; den Schluß macht die City-
Chronik, die zwei oder mehr Seiten umfaßt. Endlich die Anzeigen, an denen aber
die "Times" durchaus nicht sehr reich ist; ihre Hoheit, die stellensuchende Köchin,
dieser Eck- und Grundstein jeder soliden Zeitungsexistenz, zieht die "Morning
Post" und den "Daily Telegraph" der "Times" bei weitem vor.

Das also wäre die "Times". Natürlich handelt es sich hier nicht um
eine bloße Verteilung des Stoffes. Alles das fußt auf uralter Tradition.
Die Gepflogenheit, diese oder jene Nachrichten gerade an dieser Stelle zu
bringen, hat sich in dem und dem Jahre ausgebildet, und diese oder jene
Rubrik ist dann und dann eingeführt worden. Mit solchen Dingen scherzt
man nicht. Als es sich herausstellte, daß infolge der stark gestiegenen Papier¬
preise die Zeitung wöchentlich gegen tausend Pfund Verlust hatte, sah sich die
Schriftleitung vor die große Frage gestellt: Soll sie sich von jetzt ab wirklich
kürzer fassen? In Abhandlungen von der Art der oben erwähnten wurde diese
Frage auch den Lesern vorgelegt. Die allumfassende Fülle der "Times" --
hieß es dort -- sei eine uralte Institution. Die Hofnachrichten, die Auf¬
zählung der Ordensauszeichnungen und Beförderungen in allen Ressorts, die
Zuschriften an die Redaktion -- das alles seien "geschichtliche Eigentümlich¬
keiten" der Zeitung. Durfte man die so ohne weiteres fallen lassen? Wäre
es nicht richtiger, daß jeder Leser einen halben Penny mehr opferte? Die
Abhandlungen schlössen mit der Behauptung, das letztere wäre vorzuziehen.
Hoffen wir, daß auch die Leser ihre Zustimmung dazu geben.

Aber die Sache hat noch einen Haken. Die "historischen Eigentümlich¬
keiten" der "Times" werden auf Papier gedruckt. Das Papier aber wird in
England eingeführt -- und zwar zum Teil in Gestalt von Rohmaterialien,
zum Teil schon fertig hergestellt. Sehr bescheiden gerechnet, verbraucht die
"Times" gegen 500 Tonnen Papier wöchentlich. Das macht 25 bis 30 000
Tonnen jährlich. Diese Tonnen kommen aber nicht durch die Luft geflogen,
sondern werden auf Dampfschiffen nach England gebracht. Würde nun die
"Times" ihren Umfang um die Hälfte verringern, so könnten jährlich 15 000
Tonnen Getreide oder was weiß ich noch alles nach England geschafft werden.
Ferner: die "Times" gibt den Ton an. Dieser Tage erhöhen auch alle
übrigen Zeitungen den Bezugspreis. Hätte die "Times" das entgegengesetzte
Beispiel gegeben, so hätten alle großen Blätter sich ihr angeschlossen. Im
Jahre 1914 wurden für 7 Millionen Pfund Sterling Papier und für sechs
Millionen Zellulose und sonstiges Rüstzeug der siebenten Großmacht ein-


von der Times, der Diktatur und andern Dingen

Das übrige Material ist rechts und links von diesem Zentrum verteilt. Linkst
d. h. zur Titelseite hin, befinden sich die übrigen Depeschen und Zuschriften,
militärische und politische Aufsätze, Verlustlisten, Ordensauszeichnungen, Biogra¬
phien aller gefallenen Offiziere und Berichte über die Gerichtsverhandlungen.
Rechts kommen zwei bis drei Spalten mit Hofnachrichten. Parlamentsberichte,
zwei bis drei Aufsätze leichterer Art (darunter wöchentlich ein Pariser Modebries)
und wieder Zuschriften an die Redaktion; den Schluß macht die City-
Chronik, die zwei oder mehr Seiten umfaßt. Endlich die Anzeigen, an denen aber
die „Times" durchaus nicht sehr reich ist; ihre Hoheit, die stellensuchende Köchin,
dieser Eck- und Grundstein jeder soliden Zeitungsexistenz, zieht die „Morning
Post" und den „Daily Telegraph" der „Times" bei weitem vor.

Das also wäre die „Times". Natürlich handelt es sich hier nicht um
eine bloße Verteilung des Stoffes. Alles das fußt auf uralter Tradition.
Die Gepflogenheit, diese oder jene Nachrichten gerade an dieser Stelle zu
bringen, hat sich in dem und dem Jahre ausgebildet, und diese oder jene
Rubrik ist dann und dann eingeführt worden. Mit solchen Dingen scherzt
man nicht. Als es sich herausstellte, daß infolge der stark gestiegenen Papier¬
preise die Zeitung wöchentlich gegen tausend Pfund Verlust hatte, sah sich die
Schriftleitung vor die große Frage gestellt: Soll sie sich von jetzt ab wirklich
kürzer fassen? In Abhandlungen von der Art der oben erwähnten wurde diese
Frage auch den Lesern vorgelegt. Die allumfassende Fülle der „Times" —
hieß es dort — sei eine uralte Institution. Die Hofnachrichten, die Auf¬
zählung der Ordensauszeichnungen und Beförderungen in allen Ressorts, die
Zuschriften an die Redaktion — das alles seien „geschichtliche Eigentümlich¬
keiten" der Zeitung. Durfte man die so ohne weiteres fallen lassen? Wäre
es nicht richtiger, daß jeder Leser einen halben Penny mehr opferte? Die
Abhandlungen schlössen mit der Behauptung, das letztere wäre vorzuziehen.
Hoffen wir, daß auch die Leser ihre Zustimmung dazu geben.

Aber die Sache hat noch einen Haken. Die „historischen Eigentümlich¬
keiten" der „Times" werden auf Papier gedruckt. Das Papier aber wird in
England eingeführt — und zwar zum Teil in Gestalt von Rohmaterialien,
zum Teil schon fertig hergestellt. Sehr bescheiden gerechnet, verbraucht die
„Times" gegen 500 Tonnen Papier wöchentlich. Das macht 25 bis 30 000
Tonnen jährlich. Diese Tonnen kommen aber nicht durch die Luft geflogen,
sondern werden auf Dampfschiffen nach England gebracht. Würde nun die
„Times" ihren Umfang um die Hälfte verringern, so könnten jährlich 15 000
Tonnen Getreide oder was weiß ich noch alles nach England geschafft werden.
Ferner: die „Times" gibt den Ton an. Dieser Tage erhöhen auch alle
übrigen Zeitungen den Bezugspreis. Hätte die „Times" das entgegengesetzte
Beispiel gegeben, so hätten alle großen Blätter sich ihr angeschlossen. Im
Jahre 1914 wurden für 7 Millionen Pfund Sterling Papier und für sechs
Millionen Zellulose und sonstiges Rüstzeug der siebenten Großmacht ein-


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[0162] von der Times, der Diktatur und andern Dingen Das übrige Material ist rechts und links von diesem Zentrum verteilt. Linkst d. h. zur Titelseite hin, befinden sich die übrigen Depeschen und Zuschriften, militärische und politische Aufsätze, Verlustlisten, Ordensauszeichnungen, Biogra¬ phien aller gefallenen Offiziere und Berichte über die Gerichtsverhandlungen. Rechts kommen zwei bis drei Spalten mit Hofnachrichten. Parlamentsberichte, zwei bis drei Aufsätze leichterer Art (darunter wöchentlich ein Pariser Modebries) und wieder Zuschriften an die Redaktion; den Schluß macht die City- Chronik, die zwei oder mehr Seiten umfaßt. Endlich die Anzeigen, an denen aber die „Times" durchaus nicht sehr reich ist; ihre Hoheit, die stellensuchende Köchin, dieser Eck- und Grundstein jeder soliden Zeitungsexistenz, zieht die „Morning Post" und den „Daily Telegraph" der „Times" bei weitem vor. Das also wäre die „Times". Natürlich handelt es sich hier nicht um eine bloße Verteilung des Stoffes. Alles das fußt auf uralter Tradition. Die Gepflogenheit, diese oder jene Nachrichten gerade an dieser Stelle zu bringen, hat sich in dem und dem Jahre ausgebildet, und diese oder jene Rubrik ist dann und dann eingeführt worden. Mit solchen Dingen scherzt man nicht. Als es sich herausstellte, daß infolge der stark gestiegenen Papier¬ preise die Zeitung wöchentlich gegen tausend Pfund Verlust hatte, sah sich die Schriftleitung vor die große Frage gestellt: Soll sie sich von jetzt ab wirklich kürzer fassen? In Abhandlungen von der Art der oben erwähnten wurde diese Frage auch den Lesern vorgelegt. Die allumfassende Fülle der „Times" — hieß es dort — sei eine uralte Institution. Die Hofnachrichten, die Auf¬ zählung der Ordensauszeichnungen und Beförderungen in allen Ressorts, die Zuschriften an die Redaktion — das alles seien „geschichtliche Eigentümlich¬ keiten" der Zeitung. Durfte man die so ohne weiteres fallen lassen? Wäre es nicht richtiger, daß jeder Leser einen halben Penny mehr opferte? Die Abhandlungen schlössen mit der Behauptung, das letztere wäre vorzuziehen. Hoffen wir, daß auch die Leser ihre Zustimmung dazu geben. Aber die Sache hat noch einen Haken. Die „historischen Eigentümlich¬ keiten" der „Times" werden auf Papier gedruckt. Das Papier aber wird in England eingeführt — und zwar zum Teil in Gestalt von Rohmaterialien, zum Teil schon fertig hergestellt. Sehr bescheiden gerechnet, verbraucht die „Times" gegen 500 Tonnen Papier wöchentlich. Das macht 25 bis 30 000 Tonnen jährlich. Diese Tonnen kommen aber nicht durch die Luft geflogen, sondern werden auf Dampfschiffen nach England gebracht. Würde nun die „Times" ihren Umfang um die Hälfte verringern, so könnten jährlich 15 000 Tonnen Getreide oder was weiß ich noch alles nach England geschafft werden. Ferner: die „Times" gibt den Ton an. Dieser Tage erhöhen auch alle übrigen Zeitungen den Bezugspreis. Hätte die „Times" das entgegengesetzte Beispiel gegeben, so hätten alle großen Blätter sich ihr angeschlossen. Im Jahre 1914 wurden für 7 Millionen Pfund Sterling Papier und für sechs Millionen Zellulose und sonstiges Rüstzeug der siebenten Großmacht ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/162>, abgerufen am 23.07.2024.