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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Finnlands Problem

Gefahr. Man machte gegen die altfinnische Nachgiebigkeitspartei Front, und
durch dieses Zusammengehen wurde die Sprachenfrage in den Hintergrund
geschoben. Doch jedesmal, wenn der äußere Druck Rußlands ein wenig nach¬
gelassen hat, ist der sprachliche Nationalitätenkampf in Finnland wieder entfacht
worden. Einige finnische Zeitungen begannen 1905 einen heftigen Angriff mit
der Losung "Weg mit den Schweden bis zu den äußersten Strandklippen!"
Die unteren Schichten wußten nicht, was sie denken sollten und in wem sie
ihre Unterdrücker zu sehen hatten, -- in den Russen oder in den Schweden.
Der sprachlich motivierte Schwedenhaß der altfinnischen Partei hing mit ihrer
Nachgiebigkeit gegen die russische Gewaltpolitik zusammen, und mit dieser Partei
konnte die Schwedenpartei sich auf keine andere Weise als durch reine Selbst-
nernichtung versöhnen.

Unter dem Drucke dieser aggressiven Haltung der Finnen bildete sich im
Frühling 1906 die Schwedische Volkspartei, und von diesem Zeitpunkte datiert
die neue zielbewußte Bewegung des Schwedentums in Finnland. Im Jahre
darauf trat der erste Einkammerlandlag mit gründlicher Parteiverschiebung zu¬
sammen. Während der Landtage der neunziger Jahre des vorigen Jahr¬
hunderts hatten die Schweden in zweien der vier Stände die Überzahl. Jetzt
nach der Volksvertretungsreform gab es unter den 200 Landtagsabgeordneten
nur noch 26 Schweden -- ein gehöriger Erdrutsch.

In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts machten die Schweden
14.3 Prozent der Bevölkerung Finnlands aus, 1890 betrugen sie 13,5 Prozent,
1900 aber nur noch 12,9 Prozent und 1910 sogar bloß 11.8 Prozent; es
hatte in den 40 Jahren also eine Verschiebung zuungunsten des Schweden¬
tums stattgefunden. Die Ursache liegt zum großen Teile an den Schweden
selber. Sie nahmen sich von vornherein der Volksbildungsarbeit unter den
Finnen mit schöner liberaler Weitherzigkeit an, ließen aber leider oft ihre eigenen
Kinder in finnische Schulen gehen und beschleunigten dadurch den Rückgang des
Schwedentums. Jetzt haben die Finnen ihre eigene führende Oberklasse, und
die Schweden finden hinreichend große Aufgaben bei den rein schwedischen Leuten
des Volkes zu erfüllen. Es gibt dort auf dem Lande außer den 14 Volks¬
hochschulen noch 200 Jugendvereine mit 18 000 Mitgliedern, wie uns Einar
Pontans in seinem Berichte ("schwedisch in Finnland") mitteilt. Neuerdings
find größere Schenkungen als je zuvor zu rein schwedischen Zwecken gemacht
worden, Schweden sind aus zweisprachigen Vereinen ausgetreten, um ihre Kraft
ganz auf das nationale Gebiet zu konzentrieren, und am schärfsten wird der
Unterschied zwischen Schwedentum und Finnentüm jetzt von den schwedischen
Studenten Finnlands betont. An der Helfingforser Universität, der einzigen
unseres Landes, ist die nyländische Abteilung rein schwedisch geworden, während
die aus Nyland stammenden Finnen sich zur südfinnischen Abteilung vereinigt
haben, und ebenso haben sich die westfinnische und die österbottnische Abteilung
aus sprachlichen Gründen in zwei Teile 'gespalten. Es sind auch Vorschläge
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Finnlands Problem

Gefahr. Man machte gegen die altfinnische Nachgiebigkeitspartei Front, und
durch dieses Zusammengehen wurde die Sprachenfrage in den Hintergrund
geschoben. Doch jedesmal, wenn der äußere Druck Rußlands ein wenig nach¬
gelassen hat, ist der sprachliche Nationalitätenkampf in Finnland wieder entfacht
worden. Einige finnische Zeitungen begannen 1905 einen heftigen Angriff mit
der Losung „Weg mit den Schweden bis zu den äußersten Strandklippen!"
Die unteren Schichten wußten nicht, was sie denken sollten und in wem sie
ihre Unterdrücker zu sehen hatten, — in den Russen oder in den Schweden.
Der sprachlich motivierte Schwedenhaß der altfinnischen Partei hing mit ihrer
Nachgiebigkeit gegen die russische Gewaltpolitik zusammen, und mit dieser Partei
konnte die Schwedenpartei sich auf keine andere Weise als durch reine Selbst-
nernichtung versöhnen.

Unter dem Drucke dieser aggressiven Haltung der Finnen bildete sich im
Frühling 1906 die Schwedische Volkspartei, und von diesem Zeitpunkte datiert
die neue zielbewußte Bewegung des Schwedentums in Finnland. Im Jahre
darauf trat der erste Einkammerlandlag mit gründlicher Parteiverschiebung zu¬
sammen. Während der Landtage der neunziger Jahre des vorigen Jahr¬
hunderts hatten die Schweden in zweien der vier Stände die Überzahl. Jetzt
nach der Volksvertretungsreform gab es unter den 200 Landtagsabgeordneten
nur noch 26 Schweden — ein gehöriger Erdrutsch.

In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts machten die Schweden
14.3 Prozent der Bevölkerung Finnlands aus, 1890 betrugen sie 13,5 Prozent,
1900 aber nur noch 12,9 Prozent und 1910 sogar bloß 11.8 Prozent; es
hatte in den 40 Jahren also eine Verschiebung zuungunsten des Schweden¬
tums stattgefunden. Die Ursache liegt zum großen Teile an den Schweden
selber. Sie nahmen sich von vornherein der Volksbildungsarbeit unter den
Finnen mit schöner liberaler Weitherzigkeit an, ließen aber leider oft ihre eigenen
Kinder in finnische Schulen gehen und beschleunigten dadurch den Rückgang des
Schwedentums. Jetzt haben die Finnen ihre eigene führende Oberklasse, und
die Schweden finden hinreichend große Aufgaben bei den rein schwedischen Leuten
des Volkes zu erfüllen. Es gibt dort auf dem Lande außer den 14 Volks¬
hochschulen noch 200 Jugendvereine mit 18 000 Mitgliedern, wie uns Einar
Pontans in seinem Berichte („schwedisch in Finnland") mitteilt. Neuerdings
find größere Schenkungen als je zuvor zu rein schwedischen Zwecken gemacht
worden, Schweden sind aus zweisprachigen Vereinen ausgetreten, um ihre Kraft
ganz auf das nationale Gebiet zu konzentrieren, und am schärfsten wird der
Unterschied zwischen Schwedentum und Finnentüm jetzt von den schwedischen
Studenten Finnlands betont. An der Helfingforser Universität, der einzigen
unseres Landes, ist die nyländische Abteilung rein schwedisch geworden, während
die aus Nyland stammenden Finnen sich zur südfinnischen Abteilung vereinigt
haben, und ebenso haben sich die westfinnische und die österbottnische Abteilung
aus sprachlichen Gründen in zwei Teile 'gespalten. Es sind auch Vorschläge
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[0159] Finnlands Problem Gefahr. Man machte gegen die altfinnische Nachgiebigkeitspartei Front, und durch dieses Zusammengehen wurde die Sprachenfrage in den Hintergrund geschoben. Doch jedesmal, wenn der äußere Druck Rußlands ein wenig nach¬ gelassen hat, ist der sprachliche Nationalitätenkampf in Finnland wieder entfacht worden. Einige finnische Zeitungen begannen 1905 einen heftigen Angriff mit der Losung „Weg mit den Schweden bis zu den äußersten Strandklippen!" Die unteren Schichten wußten nicht, was sie denken sollten und in wem sie ihre Unterdrücker zu sehen hatten, — in den Russen oder in den Schweden. Der sprachlich motivierte Schwedenhaß der altfinnischen Partei hing mit ihrer Nachgiebigkeit gegen die russische Gewaltpolitik zusammen, und mit dieser Partei konnte die Schwedenpartei sich auf keine andere Weise als durch reine Selbst- nernichtung versöhnen. Unter dem Drucke dieser aggressiven Haltung der Finnen bildete sich im Frühling 1906 die Schwedische Volkspartei, und von diesem Zeitpunkte datiert die neue zielbewußte Bewegung des Schwedentums in Finnland. Im Jahre darauf trat der erste Einkammerlandlag mit gründlicher Parteiverschiebung zu¬ sammen. Während der Landtage der neunziger Jahre des vorigen Jahr¬ hunderts hatten die Schweden in zweien der vier Stände die Überzahl. Jetzt nach der Volksvertretungsreform gab es unter den 200 Landtagsabgeordneten nur noch 26 Schweden — ein gehöriger Erdrutsch. In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts machten die Schweden 14.3 Prozent der Bevölkerung Finnlands aus, 1890 betrugen sie 13,5 Prozent, 1900 aber nur noch 12,9 Prozent und 1910 sogar bloß 11.8 Prozent; es hatte in den 40 Jahren also eine Verschiebung zuungunsten des Schweden¬ tums stattgefunden. Die Ursache liegt zum großen Teile an den Schweden selber. Sie nahmen sich von vornherein der Volksbildungsarbeit unter den Finnen mit schöner liberaler Weitherzigkeit an, ließen aber leider oft ihre eigenen Kinder in finnische Schulen gehen und beschleunigten dadurch den Rückgang des Schwedentums. Jetzt haben die Finnen ihre eigene führende Oberklasse, und die Schweden finden hinreichend große Aufgaben bei den rein schwedischen Leuten des Volkes zu erfüllen. Es gibt dort auf dem Lande außer den 14 Volks¬ hochschulen noch 200 Jugendvereine mit 18 000 Mitgliedern, wie uns Einar Pontans in seinem Berichte („schwedisch in Finnland") mitteilt. Neuerdings find größere Schenkungen als je zuvor zu rein schwedischen Zwecken gemacht worden, Schweden sind aus zweisprachigen Vereinen ausgetreten, um ihre Kraft ganz auf das nationale Gebiet zu konzentrieren, und am schärfsten wird der Unterschied zwischen Schwedentum und Finnentüm jetzt von den schwedischen Studenten Finnlands betont. An der Helfingforser Universität, der einzigen unseres Landes, ist die nyländische Abteilung rein schwedisch geworden, während die aus Nyland stammenden Finnen sich zur südfinnischen Abteilung vereinigt haben, und ebenso haben sich die westfinnische und die österbottnische Abteilung aus sprachlichen Gründen in zwei Teile 'gespalten. Es sind auch Vorschläge * 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/159>, abgerufen am 23.07.2024.