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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Aus Litauens Vergangenheit zu Litauens Zukunft

Reichsversammlung zusammen. Der litauische Adel wurde dabei dem polnischem
gleichgestellt und in dessen Gemeinschaft aufgenommen, die griechisch-katholischen
Russen dagegen, die im heidnischen Litauerstaate Gleichberechtigung genossen
hatten, von allen Ämtern und sonstigen öffentlichen Rechten ausgeschlossen-
Damit beginnt die allmähliche Aufsaugung Litauens durch Polen, indem der
herrschende Adel Litauens, von Polens höherer Kultur überwältigt, sich mehr
und mehr als polnisch fühlte.

Nachdem Witold 1430 achtzigjährig gestorben war, wählten die litauischen
und russischen Herren den Bruder Jagiellos, Switrigail, zu ihrem Großfürsten
und Jagiello mußte ihn bestätigen. Doch schon zwei Jahre später erlag er
einer Verschwörung der katholischen litauischen Bojaren und wurde durch
Witolds Sohn Sigismund ersetzt, den Jagiello wiederum belehnte. Es war
ein neuer entschiedener Sieg des Polentums über die Selbständigkeit Litauens.
Denn Sigismund, der Litauen nur auf Lebenszeit als Lehen empfing, mußte
sich dafür gegenüber dem polnischen Könige nicht nur zur beständigen Heeres¬
folge, sondern auch zur Abtretung von Podolien und der Hälfte Wolhyniens
an Polen verpflichten. Klein-Polen, das polnische Gebiet östlich der Pilica,
bisher in der Tat der kleinere Teil des polnischen Reiches, dehnte sich damit
über die weiten, bisher litauischen Gebiete des Südostens aus und wurde
größer wie Groß-Polen. Bald darauf, 1433, wurde auch die Moldau polnisches
Lehen, nachdem Polen durch die litauischen Abtretungen den Zugang dazu
erlangt hatte.

Im Jahre 1434 starb Wladislaw Jagiello sechsundachtzigjährig nach acht-
undvierzigjährigsr Regierung. Er hatte an sein Geschlecht, das nun als das
der Jagellonen bezeichnet wurde, die polnische Krone gebracht, aber dafür sein
bis dahin aufstrebendes litauisches Vaterland als Untertanenland an Polen
gekettet.

Erst von seiner vierten Gemahlin hatte Wladislaw Jagiello zwei b:i seinem
Tode noch minderjährige Söhne, denen er den Bischof von Krakau, Zbigniew
Olesnicki, zum Vormunde gesetzt hatte. Der älteste folgte ihm durch Wahl des
Adels als Wladislaw der Fünfte und wurde sechzehnjährig (1440) auch zum
Könige von Ungarn gewählt, verlor aber schon 1444 in der Schlacht bei Varna
beide Kronen und das Leben im Kampfe gegen die Türken.

Inzwischen hatte Sigismunds Herrlichkeit in Litauen nicht lange gedauert.
Im Jahre 1440 wurde er von dem Fürsten Czartoryiski ermordet. An seine
Stelle trat der zweite Sohn Jagiellos, Kasimir. Da dieser nach dem Tode
seines Bruders Wladislaw auch auf den polnischen Thron erhoben wurde,
waren Polen und Litauen wieder unter einem Herrscher vereinigt. Bald darauf
leistete ihm auch der Woiwode Peter von der Moldau den Vasalleneid. Nun
konnte sich die vereinigte polnisch-litauische Macht noch einmal gegen den Deutschen
Orden wenden. Jetzt gelang die endgültige Zertrümmerung der Ordeusmacht
im Bunde mit den aufsässigen preußischen Ständen. Im ewigen Frieden von


Aus Litauens Vergangenheit zu Litauens Zukunft

Reichsversammlung zusammen. Der litauische Adel wurde dabei dem polnischem
gleichgestellt und in dessen Gemeinschaft aufgenommen, die griechisch-katholischen
Russen dagegen, die im heidnischen Litauerstaate Gleichberechtigung genossen
hatten, von allen Ämtern und sonstigen öffentlichen Rechten ausgeschlossen-
Damit beginnt die allmähliche Aufsaugung Litauens durch Polen, indem der
herrschende Adel Litauens, von Polens höherer Kultur überwältigt, sich mehr
und mehr als polnisch fühlte.

Nachdem Witold 1430 achtzigjährig gestorben war, wählten die litauischen
und russischen Herren den Bruder Jagiellos, Switrigail, zu ihrem Großfürsten
und Jagiello mußte ihn bestätigen. Doch schon zwei Jahre später erlag er
einer Verschwörung der katholischen litauischen Bojaren und wurde durch
Witolds Sohn Sigismund ersetzt, den Jagiello wiederum belehnte. Es war
ein neuer entschiedener Sieg des Polentums über die Selbständigkeit Litauens.
Denn Sigismund, der Litauen nur auf Lebenszeit als Lehen empfing, mußte
sich dafür gegenüber dem polnischen Könige nicht nur zur beständigen Heeres¬
folge, sondern auch zur Abtretung von Podolien und der Hälfte Wolhyniens
an Polen verpflichten. Klein-Polen, das polnische Gebiet östlich der Pilica,
bisher in der Tat der kleinere Teil des polnischen Reiches, dehnte sich damit
über die weiten, bisher litauischen Gebiete des Südostens aus und wurde
größer wie Groß-Polen. Bald darauf, 1433, wurde auch die Moldau polnisches
Lehen, nachdem Polen durch die litauischen Abtretungen den Zugang dazu
erlangt hatte.

Im Jahre 1434 starb Wladislaw Jagiello sechsundachtzigjährig nach acht-
undvierzigjährigsr Regierung. Er hatte an sein Geschlecht, das nun als das
der Jagellonen bezeichnet wurde, die polnische Krone gebracht, aber dafür sein
bis dahin aufstrebendes litauisches Vaterland als Untertanenland an Polen
gekettet.

Erst von seiner vierten Gemahlin hatte Wladislaw Jagiello zwei b:i seinem
Tode noch minderjährige Söhne, denen er den Bischof von Krakau, Zbigniew
Olesnicki, zum Vormunde gesetzt hatte. Der älteste folgte ihm durch Wahl des
Adels als Wladislaw der Fünfte und wurde sechzehnjährig (1440) auch zum
Könige von Ungarn gewählt, verlor aber schon 1444 in der Schlacht bei Varna
beide Kronen und das Leben im Kampfe gegen die Türken.

Inzwischen hatte Sigismunds Herrlichkeit in Litauen nicht lange gedauert.
Im Jahre 1440 wurde er von dem Fürsten Czartoryiski ermordet. An seine
Stelle trat der zweite Sohn Jagiellos, Kasimir. Da dieser nach dem Tode
seines Bruders Wladislaw auch auf den polnischen Thron erhoben wurde,
waren Polen und Litauen wieder unter einem Herrscher vereinigt. Bald darauf
leistete ihm auch der Woiwode Peter von der Moldau den Vasalleneid. Nun
konnte sich die vereinigte polnisch-litauische Macht noch einmal gegen den Deutschen
Orden wenden. Jetzt gelang die endgültige Zertrümmerung der Ordeusmacht
im Bunde mit den aufsässigen preußischen Ständen. Im ewigen Frieden von


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[0129] Aus Litauens Vergangenheit zu Litauens Zukunft Reichsversammlung zusammen. Der litauische Adel wurde dabei dem polnischem gleichgestellt und in dessen Gemeinschaft aufgenommen, die griechisch-katholischen Russen dagegen, die im heidnischen Litauerstaate Gleichberechtigung genossen hatten, von allen Ämtern und sonstigen öffentlichen Rechten ausgeschlossen- Damit beginnt die allmähliche Aufsaugung Litauens durch Polen, indem der herrschende Adel Litauens, von Polens höherer Kultur überwältigt, sich mehr und mehr als polnisch fühlte. Nachdem Witold 1430 achtzigjährig gestorben war, wählten die litauischen und russischen Herren den Bruder Jagiellos, Switrigail, zu ihrem Großfürsten und Jagiello mußte ihn bestätigen. Doch schon zwei Jahre später erlag er einer Verschwörung der katholischen litauischen Bojaren und wurde durch Witolds Sohn Sigismund ersetzt, den Jagiello wiederum belehnte. Es war ein neuer entschiedener Sieg des Polentums über die Selbständigkeit Litauens. Denn Sigismund, der Litauen nur auf Lebenszeit als Lehen empfing, mußte sich dafür gegenüber dem polnischen Könige nicht nur zur beständigen Heeres¬ folge, sondern auch zur Abtretung von Podolien und der Hälfte Wolhyniens an Polen verpflichten. Klein-Polen, das polnische Gebiet östlich der Pilica, bisher in der Tat der kleinere Teil des polnischen Reiches, dehnte sich damit über die weiten, bisher litauischen Gebiete des Südostens aus und wurde größer wie Groß-Polen. Bald darauf, 1433, wurde auch die Moldau polnisches Lehen, nachdem Polen durch die litauischen Abtretungen den Zugang dazu erlangt hatte. Im Jahre 1434 starb Wladislaw Jagiello sechsundachtzigjährig nach acht- undvierzigjährigsr Regierung. Er hatte an sein Geschlecht, das nun als das der Jagellonen bezeichnet wurde, die polnische Krone gebracht, aber dafür sein bis dahin aufstrebendes litauisches Vaterland als Untertanenland an Polen gekettet. Erst von seiner vierten Gemahlin hatte Wladislaw Jagiello zwei b:i seinem Tode noch minderjährige Söhne, denen er den Bischof von Krakau, Zbigniew Olesnicki, zum Vormunde gesetzt hatte. Der älteste folgte ihm durch Wahl des Adels als Wladislaw der Fünfte und wurde sechzehnjährig (1440) auch zum Könige von Ungarn gewählt, verlor aber schon 1444 in der Schlacht bei Varna beide Kronen und das Leben im Kampfe gegen die Türken. Inzwischen hatte Sigismunds Herrlichkeit in Litauen nicht lange gedauert. Im Jahre 1440 wurde er von dem Fürsten Czartoryiski ermordet. An seine Stelle trat der zweite Sohn Jagiellos, Kasimir. Da dieser nach dem Tode seines Bruders Wladislaw auch auf den polnischen Thron erhoben wurde, waren Polen und Litauen wieder unter einem Herrscher vereinigt. Bald darauf leistete ihm auch der Woiwode Peter von der Moldau den Vasalleneid. Nun konnte sich die vereinigte polnisch-litauische Macht noch einmal gegen den Deutschen Orden wenden. Jetzt gelang die endgültige Zertrümmerung der Ordeusmacht im Bunde mit den aufsässigen preußischen Ständen. Im ewigen Frieden von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/129>, abgerufen am 25.08.2024.