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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Die Deutsche Theologie

aber wer mochte es gerne eingestehen, von einem Buch Eindruck empfangen zu
haben, das gerade nur noch in den Kreisen kleiner Leute sein Leben fristete?
Dies wollte man um so weniger wahr haben, als ja die "Deutsche Theologie" als
die Blüte und der Schlußstein deutscher Mystik galt, und das nicht mit Unrecht.
Mystik aber, "das Gefühl, mit Gott eins zu sein", war allmählich in einen so
schlechten Ruf gekommen, daß es auch jetzt noch Leute gibt, die unter "Mystik"
schlechthin "ungereimtes und sinnloses Zeug" verstehen.

Wir glauben insbesondere nicht fehlzugreifen, wenn wir Kants An¬
schauungen in ihren wesentlichen Grundlagen hierher zurückführen. Denn so
oft und so entschieden Kant es auch abgelehnt hat, mit Mystik irgendetwas zu
tun zu haben, so ist er doch ohne diese Grundlage nicht zu begreifen. Kant
stammte aus einer pietistischen, entschieden gläubigen Familie, und es ist mehr
als unwahrscheinlich, daß ein damals noch in solchen Kreisen so verbreitetes Buch,
wie es die "Deutsche Theologie" war, dort nicht gelesen worden sein sollte.
Allerdings haben wir keine Beweise dafür, da Kant es stets abgelehnt hat, über
die Anschauungen der Kreise zu sprechen, in denen er aufgewachsen ist, und nur
das eine betonte, daß der Einfluß seiner wahrhaft frommen Mutter auf ihn
sehr groß gewesen sei. Aber seine Forderung -- die ganze Grundlage seines
kategorischen Imperativs -- das Gute nur um des Guten willen zu tun,
Erwartung von Lohn aber und Furcht vor Strafe völlig hintanzusetzen, stimmt
so völlig mit dem überein, was die "Deutsche Theologie" will, daß es ein Wunder
wäre, wenn Kants Sittengesetz einen anderen Ursprung hätte, als dieses Buch,
Es ist darum auch Kant der "Vorwurf", Mystiker zu sein, nicht erspart geblieben,
ja er kommt schließlich in seinem letzten Werke, dem "Streit der Fakultäten",
selber dazu, den an ihn gerichteten Brief eines Verehrers ohne Widerspruch
abzudrucken, der Kants Lehren in den Kreisen der Mystiker in die Wirklichkeit
übersetzt gefunden hatte.

Und in der Tat, wie kann aus einem logischen System auch ein Sitten¬
gesetz folgen? Beide Dinge haben nichts miteinander zu tun, und die
ganze philosophische Begründung, die Kant seinem kategorischen Imperativ
unterschiebt, hätte schließlich ebensogut auch zu irgendeiner anderen Lebens¬
weisheit führen können, wenn eben diese Begründung -- nicht aber die schein¬
bar darauf aufgebauten Schlüsse -- für Kant das Ursprüngliche gewesen wäre.
Der beste Beweis dafür sind jene vermeintlichen Anhänger Kants, die, von
Kants logischem Ausgangspunkt beginnend, zu der so unkantischen Annahme
gelangen, Gott und sein Sittengesetz seien nur eine logische Hilfskonstruktion --
so wie man sich zu jedem Kreis einen Mittelpunkt denkt.

Wir können dann weiter noch Fichte nennen. Man hat sich gelegentlich
darüber gewundert, daß man nicht wisse, wie die spekulative Mystik über
Fichte gekommen sei. Fichte selbst sagt es auch nicht, aber die "Deutsche Theo-
logie" darf auch hier wohl als Quelle gelten. Indessen müßte Fichte nicht er
selbst gewesen sein, wenn er die "Deutsche Theologie" wirklich hätte verstehen


Die Deutsche Theologie

aber wer mochte es gerne eingestehen, von einem Buch Eindruck empfangen zu
haben, das gerade nur noch in den Kreisen kleiner Leute sein Leben fristete?
Dies wollte man um so weniger wahr haben, als ja die „Deutsche Theologie" als
die Blüte und der Schlußstein deutscher Mystik galt, und das nicht mit Unrecht.
Mystik aber, „das Gefühl, mit Gott eins zu sein", war allmählich in einen so
schlechten Ruf gekommen, daß es auch jetzt noch Leute gibt, die unter „Mystik"
schlechthin „ungereimtes und sinnloses Zeug" verstehen.

Wir glauben insbesondere nicht fehlzugreifen, wenn wir Kants An¬
schauungen in ihren wesentlichen Grundlagen hierher zurückführen. Denn so
oft und so entschieden Kant es auch abgelehnt hat, mit Mystik irgendetwas zu
tun zu haben, so ist er doch ohne diese Grundlage nicht zu begreifen. Kant
stammte aus einer pietistischen, entschieden gläubigen Familie, und es ist mehr
als unwahrscheinlich, daß ein damals noch in solchen Kreisen so verbreitetes Buch,
wie es die „Deutsche Theologie" war, dort nicht gelesen worden sein sollte.
Allerdings haben wir keine Beweise dafür, da Kant es stets abgelehnt hat, über
die Anschauungen der Kreise zu sprechen, in denen er aufgewachsen ist, und nur
das eine betonte, daß der Einfluß seiner wahrhaft frommen Mutter auf ihn
sehr groß gewesen sei. Aber seine Forderung — die ganze Grundlage seines
kategorischen Imperativs — das Gute nur um des Guten willen zu tun,
Erwartung von Lohn aber und Furcht vor Strafe völlig hintanzusetzen, stimmt
so völlig mit dem überein, was die „Deutsche Theologie" will, daß es ein Wunder
wäre, wenn Kants Sittengesetz einen anderen Ursprung hätte, als dieses Buch,
Es ist darum auch Kant der „Vorwurf", Mystiker zu sein, nicht erspart geblieben,
ja er kommt schließlich in seinem letzten Werke, dem „Streit der Fakultäten",
selber dazu, den an ihn gerichteten Brief eines Verehrers ohne Widerspruch
abzudrucken, der Kants Lehren in den Kreisen der Mystiker in die Wirklichkeit
übersetzt gefunden hatte.

Und in der Tat, wie kann aus einem logischen System auch ein Sitten¬
gesetz folgen? Beide Dinge haben nichts miteinander zu tun, und die
ganze philosophische Begründung, die Kant seinem kategorischen Imperativ
unterschiebt, hätte schließlich ebensogut auch zu irgendeiner anderen Lebens¬
weisheit führen können, wenn eben diese Begründung — nicht aber die schein¬
bar darauf aufgebauten Schlüsse — für Kant das Ursprüngliche gewesen wäre.
Der beste Beweis dafür sind jene vermeintlichen Anhänger Kants, die, von
Kants logischem Ausgangspunkt beginnend, zu der so unkantischen Annahme
gelangen, Gott und sein Sittengesetz seien nur eine logische Hilfskonstruktion —
so wie man sich zu jedem Kreis einen Mittelpunkt denkt.

Wir können dann weiter noch Fichte nennen. Man hat sich gelegentlich
darüber gewundert, daß man nicht wisse, wie die spekulative Mystik über
Fichte gekommen sei. Fichte selbst sagt es auch nicht, aber die „Deutsche Theo-
logie" darf auch hier wohl als Quelle gelten. Indessen müßte Fichte nicht er
selbst gewesen sein, wenn er die „Deutsche Theologie" wirklich hätte verstehen


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[0101] Die Deutsche Theologie aber wer mochte es gerne eingestehen, von einem Buch Eindruck empfangen zu haben, das gerade nur noch in den Kreisen kleiner Leute sein Leben fristete? Dies wollte man um so weniger wahr haben, als ja die „Deutsche Theologie" als die Blüte und der Schlußstein deutscher Mystik galt, und das nicht mit Unrecht. Mystik aber, „das Gefühl, mit Gott eins zu sein", war allmählich in einen so schlechten Ruf gekommen, daß es auch jetzt noch Leute gibt, die unter „Mystik" schlechthin „ungereimtes und sinnloses Zeug" verstehen. Wir glauben insbesondere nicht fehlzugreifen, wenn wir Kants An¬ schauungen in ihren wesentlichen Grundlagen hierher zurückführen. Denn so oft und so entschieden Kant es auch abgelehnt hat, mit Mystik irgendetwas zu tun zu haben, so ist er doch ohne diese Grundlage nicht zu begreifen. Kant stammte aus einer pietistischen, entschieden gläubigen Familie, und es ist mehr als unwahrscheinlich, daß ein damals noch in solchen Kreisen so verbreitetes Buch, wie es die „Deutsche Theologie" war, dort nicht gelesen worden sein sollte. Allerdings haben wir keine Beweise dafür, da Kant es stets abgelehnt hat, über die Anschauungen der Kreise zu sprechen, in denen er aufgewachsen ist, und nur das eine betonte, daß der Einfluß seiner wahrhaft frommen Mutter auf ihn sehr groß gewesen sei. Aber seine Forderung — die ganze Grundlage seines kategorischen Imperativs — das Gute nur um des Guten willen zu tun, Erwartung von Lohn aber und Furcht vor Strafe völlig hintanzusetzen, stimmt so völlig mit dem überein, was die „Deutsche Theologie" will, daß es ein Wunder wäre, wenn Kants Sittengesetz einen anderen Ursprung hätte, als dieses Buch, Es ist darum auch Kant der „Vorwurf", Mystiker zu sein, nicht erspart geblieben, ja er kommt schließlich in seinem letzten Werke, dem „Streit der Fakultäten", selber dazu, den an ihn gerichteten Brief eines Verehrers ohne Widerspruch abzudrucken, der Kants Lehren in den Kreisen der Mystiker in die Wirklichkeit übersetzt gefunden hatte. Und in der Tat, wie kann aus einem logischen System auch ein Sitten¬ gesetz folgen? Beide Dinge haben nichts miteinander zu tun, und die ganze philosophische Begründung, die Kant seinem kategorischen Imperativ unterschiebt, hätte schließlich ebensogut auch zu irgendeiner anderen Lebens¬ weisheit führen können, wenn eben diese Begründung — nicht aber die schein¬ bar darauf aufgebauten Schlüsse — für Kant das Ursprüngliche gewesen wäre. Der beste Beweis dafür sind jene vermeintlichen Anhänger Kants, die, von Kants logischem Ausgangspunkt beginnend, zu der so unkantischen Annahme gelangen, Gott und sein Sittengesetz seien nur eine logische Hilfskonstruktion — so wie man sich zu jedem Kreis einen Mittelpunkt denkt. Wir können dann weiter noch Fichte nennen. Man hat sich gelegentlich darüber gewundert, daß man nicht wisse, wie die spekulative Mystik über Fichte gekommen sei. Fichte selbst sagt es auch nicht, aber die „Deutsche Theo- logie" darf auch hier wohl als Quelle gelten. Indessen müßte Fichte nicht er selbst gewesen sein, wenn er die „Deutsche Theologie" wirklich hätte verstehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/101>, abgerufen am 25.08.2024.