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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Grundgedanken des Wirtschaftskrieges

kaufen und von dort beziehen, wo er die Waren am billigsten und mit den
geringsten Transportkosten verknüpft, erhält. Die Länder der Erde sind ja
von der Natur lange nicht gleichmäßig mit Rohstoffen begabt, ebensowenig wie
mit einer auf gleicher Höhe stehenden Industrie, mit einem gleichgearteten wissen-'
schaftlichen Geist und organisatorischen! Sinn. Eine Abschließung der Vierverbands-
mcukte von Erzeugnissen des Vierbundes würde also ohne Zweifel bei der
unvermeidlichen Zuspitzung der dann notwendigen Zollkriege eine gesicherte
friedliche Entwicklung, ein Zurücklenken in die Bahn des allgemeinen mensch¬
lichen Fortschrittes, zur Unmöglichkeit machen. Es ist nicht ohne pikanten
Beigeschmack, daran zu erinnern, daß das auf Grund eines überzeugten
Bekenntnisses zum Freihandel gewählte englische Parlament und Kabinett sich
heute unter dem Zwang der Lage damit beschäftigt, das Prinzip einer inter¬
nationalen Handelsfreiheit abzuhauen, das allein dort Berechtigung hat, wo eine
Konföderation aller Nationen auf gleicher politischer und wirtschaftlicher Basis den
ewigen Frieden garantieren könnte. Und noch an eins sei in diesem Zusammen¬
hang der Gegenwirkungen erinnert, das uns das Recht gibt, dem Anschlag der
Alliierten auf unser Wirtschaftsleben mit Ruhe entgegenzusehen: wir meinen, die
deutsche wissenschaftliche Schulung und unsere technische Organisation. Ein Blick
auf die Entwicklung dieser Dinge zeigt, daß es in Preußen 1871 erst 36 Patente
gab, daß wir in unseren Reichsgrenzen 1877 nicht weniger als 29 verschiedene
Patentgesetze zählten, während in England bereits 1852 ein weitsichtiges Patent¬
gesetz erlassen worden war. Von diesem letztgenannten Jahre an datiert recht
eigentlich erst die Weltmarktbeherrschung der Engländer. Es war hierzulande
dem einzelnen Erfinder nicht möglich, in allen Staaten Patentgelder zu
zahlen, er wanderte aus nach England, wo er für seinen Geistesblitz
reichliche Verwendung finden konnte. In der Tat war ja seinerzeit Eng¬
land das Hauptauswanderungsland, aber nicht wie heute Amerika für niedrig¬
stehende, halbunkultivierte Völker, sondern gerade für die besseren Schichten.
Wir wissen, daß um diese Jahrzehnte durch die Erfindung der Dampf¬
maschine und vor allem der langen Reihe neuer Arbeitsmaschinen, besonders
in der Textil- und Eisenindustrie, die ersten großen Erfolge neuzeit¬
licher Technik errungen worden sind, daß der Kapitalismus mit zielbewußter
Rücksichtslosigkeit in England den Typus des Fabrikbetriebes herausgebildet
hat. Also nicht aus eigener Kraft allein, sondern zusammenwirkend mit natür¬
lichen Begünstigungen und fremden Einflüssen ist England so zum "xvork8top
ok worlä" geworden und hat als solcher nicht nur die anderen Länder, vor
allem Deutschland, mit seinen Erzeugnissen versorgt, sondern ihnen auch als
große Musterwerkstätte gedient. Seit es uns auf Grund der endlich errungenen
nationalen Existenz gelungen ist, ein großes eigenes Wirtschaftsgebiet zu kulti¬
vieren, seit wir begonnen haben, eine neuzeitliche Industrie zu entwickeln, ist
England den Krebsgang gegangen. Es hub die so auffällig plötzlich einsetzende
Zeit des Versiegens des englischen Ersindungsgeistes an und die Jahre kamen,


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Die Grundgedanken des Wirtschaftskrieges

kaufen und von dort beziehen, wo er die Waren am billigsten und mit den
geringsten Transportkosten verknüpft, erhält. Die Länder der Erde sind ja
von der Natur lange nicht gleichmäßig mit Rohstoffen begabt, ebensowenig wie
mit einer auf gleicher Höhe stehenden Industrie, mit einem gleichgearteten wissen-'
schaftlichen Geist und organisatorischen! Sinn. Eine Abschließung der Vierverbands-
mcukte von Erzeugnissen des Vierbundes würde also ohne Zweifel bei der
unvermeidlichen Zuspitzung der dann notwendigen Zollkriege eine gesicherte
friedliche Entwicklung, ein Zurücklenken in die Bahn des allgemeinen mensch¬
lichen Fortschrittes, zur Unmöglichkeit machen. Es ist nicht ohne pikanten
Beigeschmack, daran zu erinnern, daß das auf Grund eines überzeugten
Bekenntnisses zum Freihandel gewählte englische Parlament und Kabinett sich
heute unter dem Zwang der Lage damit beschäftigt, das Prinzip einer inter¬
nationalen Handelsfreiheit abzuhauen, das allein dort Berechtigung hat, wo eine
Konföderation aller Nationen auf gleicher politischer und wirtschaftlicher Basis den
ewigen Frieden garantieren könnte. Und noch an eins sei in diesem Zusammen¬
hang der Gegenwirkungen erinnert, das uns das Recht gibt, dem Anschlag der
Alliierten auf unser Wirtschaftsleben mit Ruhe entgegenzusehen: wir meinen, die
deutsche wissenschaftliche Schulung und unsere technische Organisation. Ein Blick
auf die Entwicklung dieser Dinge zeigt, daß es in Preußen 1871 erst 36 Patente
gab, daß wir in unseren Reichsgrenzen 1877 nicht weniger als 29 verschiedene
Patentgesetze zählten, während in England bereits 1852 ein weitsichtiges Patent¬
gesetz erlassen worden war. Von diesem letztgenannten Jahre an datiert recht
eigentlich erst die Weltmarktbeherrschung der Engländer. Es war hierzulande
dem einzelnen Erfinder nicht möglich, in allen Staaten Patentgelder zu
zahlen, er wanderte aus nach England, wo er für seinen Geistesblitz
reichliche Verwendung finden konnte. In der Tat war ja seinerzeit Eng¬
land das Hauptauswanderungsland, aber nicht wie heute Amerika für niedrig¬
stehende, halbunkultivierte Völker, sondern gerade für die besseren Schichten.
Wir wissen, daß um diese Jahrzehnte durch die Erfindung der Dampf¬
maschine und vor allem der langen Reihe neuer Arbeitsmaschinen, besonders
in der Textil- und Eisenindustrie, die ersten großen Erfolge neuzeit¬
licher Technik errungen worden sind, daß der Kapitalismus mit zielbewußter
Rücksichtslosigkeit in England den Typus des Fabrikbetriebes herausgebildet
hat. Also nicht aus eigener Kraft allein, sondern zusammenwirkend mit natür¬
lichen Begünstigungen und fremden Einflüssen ist England so zum „xvork8top
ok worlä« geworden und hat als solcher nicht nur die anderen Länder, vor
allem Deutschland, mit seinen Erzeugnissen versorgt, sondern ihnen auch als
große Musterwerkstätte gedient. Seit es uns auf Grund der endlich errungenen
nationalen Existenz gelungen ist, ein großes eigenes Wirtschaftsgebiet zu kulti¬
vieren, seit wir begonnen haben, eine neuzeitliche Industrie zu entwickeln, ist
England den Krebsgang gegangen. Es hub die so auffällig plötzlich einsetzende
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/91>, abgerufen am 23.07.2024.