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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Erdkunde in den höheren Schulen

in: erdkundlichen Unterricht ein Verweilen bei der Frage des gegenwärtigen
Bodenbesitzes in unserm Vaterlande etwas so Unerhörtes? --

Die Zahl derer mehrt sich, die selbst dem gebildeten Deutschen eine kaum
noch entschuldbare Interesselosigkeit in Sachen der äußeren Politik vorwerfen.
Wie mir scheint, wird diese Anschuldigung fast ebenso oft erhoben, wie eine
Besserung -- an der unrichtigen Stelle gesucht. Man übersieht nämlich
meistens die eine folgenschwere und unbestreitbare Tatsache, daß der bloße Begriff
"äußere Politik" heutzutage wesentlich umfangreicher und noch dazu sehr viel
verwickelter geworden ist, als er es noch -- jedenfalls für den Deutschen --
etwa vor einem Menschenalter war. Vergleichen wir beispielsweise die rein
kontinentale Politik der auf den Krieg von 1870/71 folgenden anderthalb Jahr¬
zehnte mit den weltbewegenden Fragen, die in den letztverflossenen Zeitläufen
in: Vordergrund des außerpolitischen Interesses standen! Zwei Dinge find es
da vor allen anderen, die dem letztgenannten Zeitraume ihr ganz besonderes
Gepräge geben: der gegen früher fast sprungartig erweiterte Schauplatz politi¬
schen Geschehens bezw. politischer Probleme, sodann die unlösbare Verkettung
der wirtschaftlichen mit den (im engeren Sinne sogenannten) politischen sowie
mit militärischen Fragen. -- Die wirtschaftliche und nationale Bedeutung dieses
oder jenes gerade in Betracht kommenden Erdraumes nicht (oder doch nicht
genügend) verstehen, ist im Zeitalter der Weltpolitik und Kolonialpolitik
nahezu gleichbedeutend mit dem Verzicht auf eine auch nur im bescheidendsten
Maße selbständige politische Stellungnahme zu den Fragen der großen Politik
überhaupt. Über diese brutale Tatsache hilft uns keine fromme Selbsttäuschung
hinweg; und selbst die an sich durchaus berechtigte Forderung eines vertieften
Geschichtsunterrichts im Sinne der Erweckung staatsbürgerlichen Denkens und
Urteilens ist doch keineswegs das Allheilmittel, als welches es heute oft etwas
überschwänglich angepriesen wird. Erst Geschichte und Erdkunde -- um von
anderen Wissensgebieten zu schweigen -- aber auch nur unter der Vor¬
aussetzung reinlicher Scheidung ihrer besonderen Aufgaben, geben dem gebildeten
Staatsbürger den dringend zu wünschenden Weitblick, ja, überhaupt erst das
nötige Interesse ein den Grundfragen der neueren wie der zukünftigen äußeren
Politik.

Welches sind die Hauptkornkammern der Erde? Welche Länder erzeugen
bezw. verarbeiten am meisten Kohle und Eisen? Welche Länder sind vor¬
wiegend Ackerbau', welche mehr Industriestaaten? Welche Weltverkehrswege
verfolgen die großen Vaumwoll- (Woll-, Getreide-) frachten? In welchem
Herrschaftsbereich werden diese Güter erzeugt? -- Diese und zahllose verwandte
Fragen sind doch zugleich ebensoviele Vorfragen der äußeren Politik, und zwar
in einem Maße, daß das Wissen um sie durchaus nicht nur Sache des Politikers
von Fach ist.

Neben dem ernstlichen Betriebe der Wirtschaftsgeographie auf höheren
Schulen täte ein sachgemäßes Eingehen auf die Hanpttatsachen der Völkerkunde,


Erdkunde in den höheren Schulen

in: erdkundlichen Unterricht ein Verweilen bei der Frage des gegenwärtigen
Bodenbesitzes in unserm Vaterlande etwas so Unerhörtes? —

Die Zahl derer mehrt sich, die selbst dem gebildeten Deutschen eine kaum
noch entschuldbare Interesselosigkeit in Sachen der äußeren Politik vorwerfen.
Wie mir scheint, wird diese Anschuldigung fast ebenso oft erhoben, wie eine
Besserung — an der unrichtigen Stelle gesucht. Man übersieht nämlich
meistens die eine folgenschwere und unbestreitbare Tatsache, daß der bloße Begriff
„äußere Politik" heutzutage wesentlich umfangreicher und noch dazu sehr viel
verwickelter geworden ist, als er es noch — jedenfalls für den Deutschen —
etwa vor einem Menschenalter war. Vergleichen wir beispielsweise die rein
kontinentale Politik der auf den Krieg von 1870/71 folgenden anderthalb Jahr¬
zehnte mit den weltbewegenden Fragen, die in den letztverflossenen Zeitläufen
in: Vordergrund des außerpolitischen Interesses standen! Zwei Dinge find es
da vor allen anderen, die dem letztgenannten Zeitraume ihr ganz besonderes
Gepräge geben: der gegen früher fast sprungartig erweiterte Schauplatz politi¬
schen Geschehens bezw. politischer Probleme, sodann die unlösbare Verkettung
der wirtschaftlichen mit den (im engeren Sinne sogenannten) politischen sowie
mit militärischen Fragen. — Die wirtschaftliche und nationale Bedeutung dieses
oder jenes gerade in Betracht kommenden Erdraumes nicht (oder doch nicht
genügend) verstehen, ist im Zeitalter der Weltpolitik und Kolonialpolitik
nahezu gleichbedeutend mit dem Verzicht auf eine auch nur im bescheidendsten
Maße selbständige politische Stellungnahme zu den Fragen der großen Politik
überhaupt. Über diese brutale Tatsache hilft uns keine fromme Selbsttäuschung
hinweg; und selbst die an sich durchaus berechtigte Forderung eines vertieften
Geschichtsunterrichts im Sinne der Erweckung staatsbürgerlichen Denkens und
Urteilens ist doch keineswegs das Allheilmittel, als welches es heute oft etwas
überschwänglich angepriesen wird. Erst Geschichte und Erdkunde — um von
anderen Wissensgebieten zu schweigen — aber auch nur unter der Vor¬
aussetzung reinlicher Scheidung ihrer besonderen Aufgaben, geben dem gebildeten
Staatsbürger den dringend zu wünschenden Weitblick, ja, überhaupt erst das
nötige Interesse ein den Grundfragen der neueren wie der zukünftigen äußeren
Politik.

Welches sind die Hauptkornkammern der Erde? Welche Länder erzeugen
bezw. verarbeiten am meisten Kohle und Eisen? Welche Länder sind vor¬
wiegend Ackerbau', welche mehr Industriestaaten? Welche Weltverkehrswege
verfolgen die großen Vaumwoll- (Woll-, Getreide-) frachten? In welchem
Herrschaftsbereich werden diese Güter erzeugt? — Diese und zahllose verwandte
Fragen sind doch zugleich ebensoviele Vorfragen der äußeren Politik, und zwar
in einem Maße, daß das Wissen um sie durchaus nicht nur Sache des Politikers
von Fach ist.

Neben dem ernstlichen Betriebe der Wirtschaftsgeographie auf höheren
Schulen täte ein sachgemäßes Eingehen auf die Hanpttatsachen der Völkerkunde,


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[0056] Erdkunde in den höheren Schulen in: erdkundlichen Unterricht ein Verweilen bei der Frage des gegenwärtigen Bodenbesitzes in unserm Vaterlande etwas so Unerhörtes? — Die Zahl derer mehrt sich, die selbst dem gebildeten Deutschen eine kaum noch entschuldbare Interesselosigkeit in Sachen der äußeren Politik vorwerfen. Wie mir scheint, wird diese Anschuldigung fast ebenso oft erhoben, wie eine Besserung — an der unrichtigen Stelle gesucht. Man übersieht nämlich meistens die eine folgenschwere und unbestreitbare Tatsache, daß der bloße Begriff „äußere Politik" heutzutage wesentlich umfangreicher und noch dazu sehr viel verwickelter geworden ist, als er es noch — jedenfalls für den Deutschen — etwa vor einem Menschenalter war. Vergleichen wir beispielsweise die rein kontinentale Politik der auf den Krieg von 1870/71 folgenden anderthalb Jahr¬ zehnte mit den weltbewegenden Fragen, die in den letztverflossenen Zeitläufen in: Vordergrund des außerpolitischen Interesses standen! Zwei Dinge find es da vor allen anderen, die dem letztgenannten Zeitraume ihr ganz besonderes Gepräge geben: der gegen früher fast sprungartig erweiterte Schauplatz politi¬ schen Geschehens bezw. politischer Probleme, sodann die unlösbare Verkettung der wirtschaftlichen mit den (im engeren Sinne sogenannten) politischen sowie mit militärischen Fragen. — Die wirtschaftliche und nationale Bedeutung dieses oder jenes gerade in Betracht kommenden Erdraumes nicht (oder doch nicht genügend) verstehen, ist im Zeitalter der Weltpolitik und Kolonialpolitik nahezu gleichbedeutend mit dem Verzicht auf eine auch nur im bescheidendsten Maße selbständige politische Stellungnahme zu den Fragen der großen Politik überhaupt. Über diese brutale Tatsache hilft uns keine fromme Selbsttäuschung hinweg; und selbst die an sich durchaus berechtigte Forderung eines vertieften Geschichtsunterrichts im Sinne der Erweckung staatsbürgerlichen Denkens und Urteilens ist doch keineswegs das Allheilmittel, als welches es heute oft etwas überschwänglich angepriesen wird. Erst Geschichte und Erdkunde — um von anderen Wissensgebieten zu schweigen — aber auch nur unter der Vor¬ aussetzung reinlicher Scheidung ihrer besonderen Aufgaben, geben dem gebildeten Staatsbürger den dringend zu wünschenden Weitblick, ja, überhaupt erst das nötige Interesse ein den Grundfragen der neueren wie der zukünftigen äußeren Politik. Welches sind die Hauptkornkammern der Erde? Welche Länder erzeugen bezw. verarbeiten am meisten Kohle und Eisen? Welche Länder sind vor¬ wiegend Ackerbau', welche mehr Industriestaaten? Welche Weltverkehrswege verfolgen die großen Vaumwoll- (Woll-, Getreide-) frachten? In welchem Herrschaftsbereich werden diese Güter erzeugt? — Diese und zahllose verwandte Fragen sind doch zugleich ebensoviele Vorfragen der äußeren Politik, und zwar in einem Maße, daß das Wissen um sie durchaus nicht nur Sache des Politikers von Fach ist. Neben dem ernstlichen Betriebe der Wirtschaftsgeographie auf höheren Schulen täte ein sachgemäßes Eingehen auf die Hanpttatsachen der Völkerkunde,

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/56>, abgerufen am 23.07.2024.