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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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zeichnen Verträge über seine Unabhängigkeit, Unversehrtheit, Unantastbarkeit,
formieren persische Truppen (die später gegen Rußland kämpfen),*) versehen
Persien mit Geldmitteln usw. Persien hätte indessen längst zwischen Rusland
und England geteilt werden müssen. Jedenfalls hätte mit der doppelsinnigen
Haltung dieses in Zersetzung übergehenden Staates, der keineswegs ein un¬
abhängiges Dasein verdient, ein Ende gemacht werden müßen, und England
müßte dabei die Initiative übernehmen, denn es ist an der jetzigen anormalen
Lage der persischen Angelegenheiten mehr schuld als Rußland, da es auf der
Entthronung Schäds Mohamed Ali und auf der Bestätigung einer deutsch¬
freundlichen Regierung bestand.

Über eine zukünftige Gewaltherrschaft Englands, insbesondere über eine
Verwandlung Rußlands in eine englische Kolonie zu reden, ist schon aus dem
Grunde lächerlich, weil England einer solchen Aufgabe nicht gewachsen ist.
England kann im Gegenteil Rußland behilflich sein, sich von der wirtschaftlichen
deutschen Knechtschaft zu befreien, die selbst nach dem glücklichsten Kriege er¬
neuert werden könnte.

Die bei England anläßlich des Krieges gemachten Schulden müssen natürlich
berichtigt werden. Rußland ist nicht imstande, sie zu bezahlen und sie werden
selbstverständlich in dieser oder jener Form dem besiegten Deutschland auferlegt
werden. Jedenfalls erscheint es seltsam (!) von einer Enteignung russischer
Naturreichtümer zugunsten Englands zur Tilgung der Schulden zu reden.
Wird Rußland denn nach einem siegreichen Kriege eine Kriegsentschädigung an
England zahlen?

Überhaupt ist ein größeres gegenseitiges Vertrauen und weniger Hinter¬
gedanken notwendig. Der Feind ist noch sehr stark, und man kann noch an
keine Erbschaft denken. Man muß viribuZ unitis bis zu Ende kämpfen und
sich nicht gegenseitig verdächtigen, Ränke zu schmieden. Rußland und England
ergänzen sich gegenseitig und jede dieser Mächte würde einzeln von Deutschland
ohne Zweifel besiegt werden. Diesen Gedanken muß man festhalten. Beide
Mächte können gegenseitig auf vieles verzichten, wenn nur mit dem Feinde ein
Ende gemacht wird, dessen Kraft unvorsichtigerweise von Rußland selbst ge¬
schaffen wurde."

Ich möchte den Lesern der "Grenzboten" überlassen, selbst ihr Urteil zu
fällen. Die Migulinschen Ausführungen über Persien, Mesopotamien, Syrien
sind zu naiv, als daß sie ein Engländer ohne ein heimliches Lächeln lesen wird.
Inzwischen geht das "englisch-russische Zusammenarbeiten" weiter. "Und Ru߬
land?" fragte der amerikanische Interviewer Herrn Lloyd George. "Rußland
wird bis zum Tode (I) kämpfen", erwiderte der englische Minister.


Venae? Ku88le, venae? vns!



*) Man erkennt daraus, wie wenig das Abkommen Rußland befriedigt hat.
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zeichnen Verträge über seine Unabhängigkeit, Unversehrtheit, Unantastbarkeit,
formieren persische Truppen (die später gegen Rußland kämpfen),*) versehen
Persien mit Geldmitteln usw. Persien hätte indessen längst zwischen Rusland
und England geteilt werden müssen. Jedenfalls hätte mit der doppelsinnigen
Haltung dieses in Zersetzung übergehenden Staates, der keineswegs ein un¬
abhängiges Dasein verdient, ein Ende gemacht werden müßen, und England
müßte dabei die Initiative übernehmen, denn es ist an der jetzigen anormalen
Lage der persischen Angelegenheiten mehr schuld als Rußland, da es auf der
Entthronung Schäds Mohamed Ali und auf der Bestätigung einer deutsch¬
freundlichen Regierung bestand.

Über eine zukünftige Gewaltherrschaft Englands, insbesondere über eine
Verwandlung Rußlands in eine englische Kolonie zu reden, ist schon aus dem
Grunde lächerlich, weil England einer solchen Aufgabe nicht gewachsen ist.
England kann im Gegenteil Rußland behilflich sein, sich von der wirtschaftlichen
deutschen Knechtschaft zu befreien, die selbst nach dem glücklichsten Kriege er¬
neuert werden könnte.

Die bei England anläßlich des Krieges gemachten Schulden müssen natürlich
berichtigt werden. Rußland ist nicht imstande, sie zu bezahlen und sie werden
selbstverständlich in dieser oder jener Form dem besiegten Deutschland auferlegt
werden. Jedenfalls erscheint es seltsam (!) von einer Enteignung russischer
Naturreichtümer zugunsten Englands zur Tilgung der Schulden zu reden.
Wird Rußland denn nach einem siegreichen Kriege eine Kriegsentschädigung an
England zahlen?

Überhaupt ist ein größeres gegenseitiges Vertrauen und weniger Hinter¬
gedanken notwendig. Der Feind ist noch sehr stark, und man kann noch an
keine Erbschaft denken. Man muß viribuZ unitis bis zu Ende kämpfen und
sich nicht gegenseitig verdächtigen, Ränke zu schmieden. Rußland und England
ergänzen sich gegenseitig und jede dieser Mächte würde einzeln von Deutschland
ohne Zweifel besiegt werden. Diesen Gedanken muß man festhalten. Beide
Mächte können gegenseitig auf vieles verzichten, wenn nur mit dem Feinde ein
Ende gemacht wird, dessen Kraft unvorsichtigerweise von Rußland selbst ge¬
schaffen wurde."

Ich möchte den Lesern der „Grenzboten" überlassen, selbst ihr Urteil zu
fällen. Die Migulinschen Ausführungen über Persien, Mesopotamien, Syrien
sind zu naiv, als daß sie ein Engländer ohne ein heimliches Lächeln lesen wird.
Inzwischen geht das „englisch-russische Zusammenarbeiten" weiter. „Und Ru߬
land?" fragte der amerikanische Interviewer Herrn Lloyd George. „Rußland
wird bis zum Tode (I) kämpfen", erwiderte der englische Minister.


Venae? Ku88le, venae? vns!



*) Man erkennt daraus, wie wenig das Abkommen Rußland befriedigt hat.
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[0052] Venae? Kussie, venas? vitel zeichnen Verträge über seine Unabhängigkeit, Unversehrtheit, Unantastbarkeit, formieren persische Truppen (die später gegen Rußland kämpfen),*) versehen Persien mit Geldmitteln usw. Persien hätte indessen längst zwischen Rusland und England geteilt werden müssen. Jedenfalls hätte mit der doppelsinnigen Haltung dieses in Zersetzung übergehenden Staates, der keineswegs ein un¬ abhängiges Dasein verdient, ein Ende gemacht werden müßen, und England müßte dabei die Initiative übernehmen, denn es ist an der jetzigen anormalen Lage der persischen Angelegenheiten mehr schuld als Rußland, da es auf der Entthronung Schäds Mohamed Ali und auf der Bestätigung einer deutsch¬ freundlichen Regierung bestand. Über eine zukünftige Gewaltherrschaft Englands, insbesondere über eine Verwandlung Rußlands in eine englische Kolonie zu reden, ist schon aus dem Grunde lächerlich, weil England einer solchen Aufgabe nicht gewachsen ist. England kann im Gegenteil Rußland behilflich sein, sich von der wirtschaftlichen deutschen Knechtschaft zu befreien, die selbst nach dem glücklichsten Kriege er¬ neuert werden könnte. Die bei England anläßlich des Krieges gemachten Schulden müssen natürlich berichtigt werden. Rußland ist nicht imstande, sie zu bezahlen und sie werden selbstverständlich in dieser oder jener Form dem besiegten Deutschland auferlegt werden. Jedenfalls erscheint es seltsam (!) von einer Enteignung russischer Naturreichtümer zugunsten Englands zur Tilgung der Schulden zu reden. Wird Rußland denn nach einem siegreichen Kriege eine Kriegsentschädigung an England zahlen? Überhaupt ist ein größeres gegenseitiges Vertrauen und weniger Hinter¬ gedanken notwendig. Der Feind ist noch sehr stark, und man kann noch an keine Erbschaft denken. Man muß viribuZ unitis bis zu Ende kämpfen und sich nicht gegenseitig verdächtigen, Ränke zu schmieden. Rußland und England ergänzen sich gegenseitig und jede dieser Mächte würde einzeln von Deutschland ohne Zweifel besiegt werden. Diesen Gedanken muß man festhalten. Beide Mächte können gegenseitig auf vieles verzichten, wenn nur mit dem Feinde ein Ende gemacht wird, dessen Kraft unvorsichtigerweise von Rußland selbst ge¬ schaffen wurde." Ich möchte den Lesern der „Grenzboten" überlassen, selbst ihr Urteil zu fällen. Die Migulinschen Ausführungen über Persien, Mesopotamien, Syrien sind zu naiv, als daß sie ein Engländer ohne ein heimliches Lächeln lesen wird. Inzwischen geht das „englisch-russische Zusammenarbeiten" weiter. „Und Ru߬ land?" fragte der amerikanische Interviewer Herrn Lloyd George. „Rußland wird bis zum Tode (I) kämpfen", erwiderte der englische Minister. Venae? Ku88le, venae? vns! *) Man erkennt daraus, wie wenig das Abkommen Rußland befriedigt hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/52>, abgerufen am 23.07.2024.