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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Zum Burgfrieden unter den Weltanschauungen

zwar mit Politik im engeren Sinne nichts zu tun haben, aber doch als
Symptome der Annäherung katholischer und protestantischer Wissenschaft nicht
ohne allgemein kulturpolitische Bedeutung sind. Das erste ist schon mehrere
Jahre vor dem Kriege erschienen und heißt "Der geschichtliche Christus und die
moderne Philosophie" (Mainz, Kirchheim u. Co., 1911, geh. 3,80 Mark, geb.
4,60 Mark). Das Buch ist hervorgerufen durch die seinerzeit von Arthur Drews
neuentfachte Christusdebatte. Wir dürfen die Tatsache nicht verschleiern, daß
Kiefl sich hier im scharfen Gegensatz nicht etwa bloß zu Drews stellt, sondern
daß er seine Kritik an der ganzen Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts
übt und sowohl die Kantische wie die Hegelsche Lehre mit allen ihren Aus¬
läufern als unvereinbar mit den: Christentum, wenn man dieses in seiner
historischen Wirklichkeit und nicht nach irgendeiner Konstruktion erfassen wolle,
ablehnt. Höchst bemerkenswert ist aber, daß er dabei der liberalen protestan¬
tischen Theologie eine Art Bündnis anbietet, indem er erkennt, daß diese Theo¬
logie eines Harnack, Troeltsch und ihrer Gesinnungsverwandten jedenfalls das
Verdienst habe, mit unwandelbarer Treue an der Gestalt des historischen Er¬
lösers festzuhalten, und daß sie fortdauernd bemüht sei, der Persönlichkeit des
wirklichen Jesus zu religiöser Macht über die Geister zu verhelfen. Auch die
liberale protestantische Theologie, meint Kiefl, sei sich bewußt, daß es gelte, die
religiös-ethische Souveränität des Christentums gegen den überwuchernden
philosophischen theoretischen Idealismus zu behaupten, und in diesem Bewußt¬
sein bewahre sie ein solches Stück echt christlicher Gesinnung, daß der Katholik
ein gut Teil Weges mit ihr zusammengehen könne. Diesen Hinweis auf einen
gemeinsamen Boden katholischer und protestantischer Theologie in Welianschauungs
fragen kann man vom Standpunkte nationaler Kulturpolitik nur kräftig unter¬
streichen und dem Buche von Kiefl in beiden Konfessionen recht viele ver¬
ständnisvolle Leser wünschen. Kiefl hat die protestantische Philosophie und
Theologie gründlich studiert. Man darf hoffen, daß andere Katholiken ihm
darin nacheifern und daß umgekehrt auch protestantische Gelehrte der katholischen
Weltanschauung immer mehr liebevolle Beachtung schenken werden. Jedenfalls
brauchen Protestanten, wenn sie das Buch von Kiefl zur Hand nehmen, nicht
zu fürchten, auf vermeintlich unverdauliche thomistische Scholastik zu stoßen,
sondern sie werden eine allerdings kritische, aber höchst scharfsinnige und ver¬
ständnisvolle Auseinandersetzung auf dem Boden modernster Wissenschaft kennen
lernen.

Im Kriege selbst und unter dem Eindruck der Burgfriedensbestrebungen
ist das andere Buch von Kiefl geschrieben: "Die Theorien des modernen
Sozialismus über den Ursprung des Christentums" (Kösel, Kempten und
München 1915. geb. 3 Mary. Galt das erste Werk der Kritik des philo-
sophischen Idealismus und gipfelte es in der Anerkennung des christlichen
Charakters auch der protestantischen Theologie gegenüber diesem Idealismus,
so berührt das zweite nun enger die Sphäre der eigentlichen Politik und grenzt


Zum Burgfrieden unter den Weltanschauungen

zwar mit Politik im engeren Sinne nichts zu tun haben, aber doch als
Symptome der Annäherung katholischer und protestantischer Wissenschaft nicht
ohne allgemein kulturpolitische Bedeutung sind. Das erste ist schon mehrere
Jahre vor dem Kriege erschienen und heißt „Der geschichtliche Christus und die
moderne Philosophie" (Mainz, Kirchheim u. Co., 1911, geh. 3,80 Mark, geb.
4,60 Mark). Das Buch ist hervorgerufen durch die seinerzeit von Arthur Drews
neuentfachte Christusdebatte. Wir dürfen die Tatsache nicht verschleiern, daß
Kiefl sich hier im scharfen Gegensatz nicht etwa bloß zu Drews stellt, sondern
daß er seine Kritik an der ganzen Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts
übt und sowohl die Kantische wie die Hegelsche Lehre mit allen ihren Aus¬
läufern als unvereinbar mit den: Christentum, wenn man dieses in seiner
historischen Wirklichkeit und nicht nach irgendeiner Konstruktion erfassen wolle,
ablehnt. Höchst bemerkenswert ist aber, daß er dabei der liberalen protestan¬
tischen Theologie eine Art Bündnis anbietet, indem er erkennt, daß diese Theo¬
logie eines Harnack, Troeltsch und ihrer Gesinnungsverwandten jedenfalls das
Verdienst habe, mit unwandelbarer Treue an der Gestalt des historischen Er¬
lösers festzuhalten, und daß sie fortdauernd bemüht sei, der Persönlichkeit des
wirklichen Jesus zu religiöser Macht über die Geister zu verhelfen. Auch die
liberale protestantische Theologie, meint Kiefl, sei sich bewußt, daß es gelte, die
religiös-ethische Souveränität des Christentums gegen den überwuchernden
philosophischen theoretischen Idealismus zu behaupten, und in diesem Bewußt¬
sein bewahre sie ein solches Stück echt christlicher Gesinnung, daß der Katholik
ein gut Teil Weges mit ihr zusammengehen könne. Diesen Hinweis auf einen
gemeinsamen Boden katholischer und protestantischer Theologie in Welianschauungs
fragen kann man vom Standpunkte nationaler Kulturpolitik nur kräftig unter¬
streichen und dem Buche von Kiefl in beiden Konfessionen recht viele ver¬
ständnisvolle Leser wünschen. Kiefl hat die protestantische Philosophie und
Theologie gründlich studiert. Man darf hoffen, daß andere Katholiken ihm
darin nacheifern und daß umgekehrt auch protestantische Gelehrte der katholischen
Weltanschauung immer mehr liebevolle Beachtung schenken werden. Jedenfalls
brauchen Protestanten, wenn sie das Buch von Kiefl zur Hand nehmen, nicht
zu fürchten, auf vermeintlich unverdauliche thomistische Scholastik zu stoßen,
sondern sie werden eine allerdings kritische, aber höchst scharfsinnige und ver¬
ständnisvolle Auseinandersetzung auf dem Boden modernster Wissenschaft kennen
lernen.

Im Kriege selbst und unter dem Eindruck der Burgfriedensbestrebungen
ist das andere Buch von Kiefl geschrieben: „Die Theorien des modernen
Sozialismus über den Ursprung des Christentums" (Kösel, Kempten und
München 1915. geb. 3 Mary. Galt das erste Werk der Kritik des philo-
sophischen Idealismus und gipfelte es in der Anerkennung des christlichen
Charakters auch der protestantischen Theologie gegenüber diesem Idealismus,
so berührt das zweite nun enger die Sphäre der eigentlichen Politik und grenzt


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[0426] Zum Burgfrieden unter den Weltanschauungen zwar mit Politik im engeren Sinne nichts zu tun haben, aber doch als Symptome der Annäherung katholischer und protestantischer Wissenschaft nicht ohne allgemein kulturpolitische Bedeutung sind. Das erste ist schon mehrere Jahre vor dem Kriege erschienen und heißt „Der geschichtliche Christus und die moderne Philosophie" (Mainz, Kirchheim u. Co., 1911, geh. 3,80 Mark, geb. 4,60 Mark). Das Buch ist hervorgerufen durch die seinerzeit von Arthur Drews neuentfachte Christusdebatte. Wir dürfen die Tatsache nicht verschleiern, daß Kiefl sich hier im scharfen Gegensatz nicht etwa bloß zu Drews stellt, sondern daß er seine Kritik an der ganzen Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts übt und sowohl die Kantische wie die Hegelsche Lehre mit allen ihren Aus¬ läufern als unvereinbar mit den: Christentum, wenn man dieses in seiner historischen Wirklichkeit und nicht nach irgendeiner Konstruktion erfassen wolle, ablehnt. Höchst bemerkenswert ist aber, daß er dabei der liberalen protestan¬ tischen Theologie eine Art Bündnis anbietet, indem er erkennt, daß diese Theo¬ logie eines Harnack, Troeltsch und ihrer Gesinnungsverwandten jedenfalls das Verdienst habe, mit unwandelbarer Treue an der Gestalt des historischen Er¬ lösers festzuhalten, und daß sie fortdauernd bemüht sei, der Persönlichkeit des wirklichen Jesus zu religiöser Macht über die Geister zu verhelfen. Auch die liberale protestantische Theologie, meint Kiefl, sei sich bewußt, daß es gelte, die religiös-ethische Souveränität des Christentums gegen den überwuchernden philosophischen theoretischen Idealismus zu behaupten, und in diesem Bewußt¬ sein bewahre sie ein solches Stück echt christlicher Gesinnung, daß der Katholik ein gut Teil Weges mit ihr zusammengehen könne. Diesen Hinweis auf einen gemeinsamen Boden katholischer und protestantischer Theologie in Welianschauungs fragen kann man vom Standpunkte nationaler Kulturpolitik nur kräftig unter¬ streichen und dem Buche von Kiefl in beiden Konfessionen recht viele ver¬ ständnisvolle Leser wünschen. Kiefl hat die protestantische Philosophie und Theologie gründlich studiert. Man darf hoffen, daß andere Katholiken ihm darin nacheifern und daß umgekehrt auch protestantische Gelehrte der katholischen Weltanschauung immer mehr liebevolle Beachtung schenken werden. Jedenfalls brauchen Protestanten, wenn sie das Buch von Kiefl zur Hand nehmen, nicht zu fürchten, auf vermeintlich unverdauliche thomistische Scholastik zu stoßen, sondern sie werden eine allerdings kritische, aber höchst scharfsinnige und ver¬ ständnisvolle Auseinandersetzung auf dem Boden modernster Wissenschaft kennen lernen. Im Kriege selbst und unter dem Eindruck der Burgfriedensbestrebungen ist das andere Buch von Kiefl geschrieben: „Die Theorien des modernen Sozialismus über den Ursprung des Christentums" (Kösel, Kempten und München 1915. geb. 3 Mary. Galt das erste Werk der Kritik des philo- sophischen Idealismus und gipfelte es in der Anerkennung des christlichen Charakters auch der protestantischen Theologie gegenüber diesem Idealismus, so berührt das zweite nun enger die Sphäre der eigentlichen Politik und grenzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/426>, abgerufen am 23.07.2024.