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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Delli Omer

sei, für Aische Harum auf den Tscharschi zu gehen. Er hatte wiederholt zu
ihrem Fenster hinausgeschaut, aber es blieb geschlossen, die weißen Gardinen
davor bewegten sich nicht. Nun war es Abend geworden, und sie hatte
ihn nicht irr Garten aufgesucht. Wußte sie denn nicht, daß er wieder im
Mi war?

"Nur Geduld!" dachte er bei sich, "wenn du den Joghurt geholt hast,
bringst du ihn zu ihr hinauf, sie wird erstaunt sein, dich zu sehen!"

Mit klopfendem Herzen machte er sich auf den Weg und war nach kurzer
Zeit von seinem Ausgang zurück. Unten an der Haustür stand er zögernd
einen Augenblick still. "Soll ich es wagen, die zwei Treppen hinaufzugehen?
Das habe ich noch nie getan!"

Da kam Tachsim Bey ihm entgegen. "Willkommen, Omer!" rief er, "ich
hatte den ganzen Tag in Stambul zu tun. Du bist schon fleißig gewesen;
aber sieh dich vor und arbeite nicht zu viel. Du mußt erst wieder zu Kräften
kommen!"

Jetzt bemerkte er, daß Omer den Joghurt in der Hand hielt.

"Das hier ist für dein Mütterchen, Effendi! Wo Aische Harum wohl bleibt?"

"Sie ist am Tag, nachdem ich dich im Krankenhaus besuchte, schlafen
gegangen, Omer, und ruht draußen am Bosporus unter den Cypressen."

Dem Burschen entglitt die Porzellan schale; klirrend fiel sie zu Boden. Er
merkte nichts davon. Starr blieb sein Auge an der Gestalt seines Herrn haften.

"Und du kamst nicht, um es mir zu sagen, Effendi?" Wie ein Schrei
hörten sich diese Worte an.

Tachsim Bey erschrak, als er die von Schmerz verzerrten Züge seines
Dieners sah. "Komm', Omer," sagte er mit erzwungener Ruhe und ergriff
seine Hand, "ich bringe dich in dein Zimmer; du mußt gleich schlafen gehen,
du bist noch krank!"

Willenlos ließ er sich wegführen, legte gehorsam die Kleider ab und streckte
sich ruhig auf sein Lager hin. Nach geraumer Zeit verließ Tachsim Bey leise
die Stube. Es wurde totenstill im Haus.

Der Kranke horchte. Auf der Straße bellte ein Hund, in den Bäumen
des Gartens schlugen die Nachtigallen.

Er stand auf, zog sich wieder an, entriegelte die Haustür und schritt ins
Dunkel der Nacht hinaus.

In der Frühe des nächsten Morgens stand Tachsim Bey vor der Tür
seines Dieners und lauschte. Schlief Omer noch? Behutsam öffnete er und
steckte den Kopf durch den Spalt; das Zimmer war leer. Sofort rief er die
Dienerschaft zusammen. "Hat keiner von euch Omer gesehen?" Jeder schüttelte
den Kopf. "Es ist gut, geht an eure Arbeit!"

Mit hastigen Schritten verließ er das Haus und suchte Hassan, den Hauat--
baschi, auf. "War Omer heute Nacht nicht bei euch?"

"Nein, Effendi, ich wußte gar nicht, daß er wieder im Dorf ist."


Delli Omer

sei, für Aische Harum auf den Tscharschi zu gehen. Er hatte wiederholt zu
ihrem Fenster hinausgeschaut, aber es blieb geschlossen, die weißen Gardinen
davor bewegten sich nicht. Nun war es Abend geworden, und sie hatte
ihn nicht irr Garten aufgesucht. Wußte sie denn nicht, daß er wieder im
Mi war?

„Nur Geduld!" dachte er bei sich, „wenn du den Joghurt geholt hast,
bringst du ihn zu ihr hinauf, sie wird erstaunt sein, dich zu sehen!"

Mit klopfendem Herzen machte er sich auf den Weg und war nach kurzer
Zeit von seinem Ausgang zurück. Unten an der Haustür stand er zögernd
einen Augenblick still. „Soll ich es wagen, die zwei Treppen hinaufzugehen?
Das habe ich noch nie getan!"

Da kam Tachsim Bey ihm entgegen. „Willkommen, Omer!" rief er, „ich
hatte den ganzen Tag in Stambul zu tun. Du bist schon fleißig gewesen;
aber sieh dich vor und arbeite nicht zu viel. Du mußt erst wieder zu Kräften
kommen!"

Jetzt bemerkte er, daß Omer den Joghurt in der Hand hielt.

„Das hier ist für dein Mütterchen, Effendi! Wo Aische Harum wohl bleibt?"

„Sie ist am Tag, nachdem ich dich im Krankenhaus besuchte, schlafen
gegangen, Omer, und ruht draußen am Bosporus unter den Cypressen."

Dem Burschen entglitt die Porzellan schale; klirrend fiel sie zu Boden. Er
merkte nichts davon. Starr blieb sein Auge an der Gestalt seines Herrn haften.

„Und du kamst nicht, um es mir zu sagen, Effendi?" Wie ein Schrei
hörten sich diese Worte an.

Tachsim Bey erschrak, als er die von Schmerz verzerrten Züge seines
Dieners sah. „Komm', Omer," sagte er mit erzwungener Ruhe und ergriff
seine Hand, „ich bringe dich in dein Zimmer; du mußt gleich schlafen gehen,
du bist noch krank!"

Willenlos ließ er sich wegführen, legte gehorsam die Kleider ab und streckte
sich ruhig auf sein Lager hin. Nach geraumer Zeit verließ Tachsim Bey leise
die Stube. Es wurde totenstill im Haus.

Der Kranke horchte. Auf der Straße bellte ein Hund, in den Bäumen
des Gartens schlugen die Nachtigallen.

Er stand auf, zog sich wieder an, entriegelte die Haustür und schritt ins
Dunkel der Nacht hinaus.

In der Frühe des nächsten Morgens stand Tachsim Bey vor der Tür
seines Dieners und lauschte. Schlief Omer noch? Behutsam öffnete er und
steckte den Kopf durch den Spalt; das Zimmer war leer. Sofort rief er die
Dienerschaft zusammen. „Hat keiner von euch Omer gesehen?" Jeder schüttelte
den Kopf. „Es ist gut, geht an eure Arbeit!"

Mit hastigen Schritten verließ er das Haus und suchte Hassan, den Hauat--
baschi, auf. „War Omer heute Nacht nicht bei euch?"

„Nein, Effendi, ich wußte gar nicht, daß er wieder im Dorf ist."


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[0421] Delli Omer sei, für Aische Harum auf den Tscharschi zu gehen. Er hatte wiederholt zu ihrem Fenster hinausgeschaut, aber es blieb geschlossen, die weißen Gardinen davor bewegten sich nicht. Nun war es Abend geworden, und sie hatte ihn nicht irr Garten aufgesucht. Wußte sie denn nicht, daß er wieder im Mi war? „Nur Geduld!" dachte er bei sich, „wenn du den Joghurt geholt hast, bringst du ihn zu ihr hinauf, sie wird erstaunt sein, dich zu sehen!" Mit klopfendem Herzen machte er sich auf den Weg und war nach kurzer Zeit von seinem Ausgang zurück. Unten an der Haustür stand er zögernd einen Augenblick still. „Soll ich es wagen, die zwei Treppen hinaufzugehen? Das habe ich noch nie getan!" Da kam Tachsim Bey ihm entgegen. „Willkommen, Omer!" rief er, „ich hatte den ganzen Tag in Stambul zu tun. Du bist schon fleißig gewesen; aber sieh dich vor und arbeite nicht zu viel. Du mußt erst wieder zu Kräften kommen!" Jetzt bemerkte er, daß Omer den Joghurt in der Hand hielt. „Das hier ist für dein Mütterchen, Effendi! Wo Aische Harum wohl bleibt?" „Sie ist am Tag, nachdem ich dich im Krankenhaus besuchte, schlafen gegangen, Omer, und ruht draußen am Bosporus unter den Cypressen." Dem Burschen entglitt die Porzellan schale; klirrend fiel sie zu Boden. Er merkte nichts davon. Starr blieb sein Auge an der Gestalt seines Herrn haften. „Und du kamst nicht, um es mir zu sagen, Effendi?" Wie ein Schrei hörten sich diese Worte an. Tachsim Bey erschrak, als er die von Schmerz verzerrten Züge seines Dieners sah. „Komm', Omer," sagte er mit erzwungener Ruhe und ergriff seine Hand, „ich bringe dich in dein Zimmer; du mußt gleich schlafen gehen, du bist noch krank!" Willenlos ließ er sich wegführen, legte gehorsam die Kleider ab und streckte sich ruhig auf sein Lager hin. Nach geraumer Zeit verließ Tachsim Bey leise die Stube. Es wurde totenstill im Haus. Der Kranke horchte. Auf der Straße bellte ein Hund, in den Bäumen des Gartens schlugen die Nachtigallen. Er stand auf, zog sich wieder an, entriegelte die Haustür und schritt ins Dunkel der Nacht hinaus. In der Frühe des nächsten Morgens stand Tachsim Bey vor der Tür seines Dieners und lauschte. Schlief Omer noch? Behutsam öffnete er und steckte den Kopf durch den Spalt; das Zimmer war leer. Sofort rief er die Dienerschaft zusammen. „Hat keiner von euch Omer gesehen?" Jeder schüttelte den Kopf. „Es ist gut, geht an eure Arbeit!" Mit hastigen Schritten verließ er das Haus und suchte Hassan, den Hauat-- baschi, auf. „War Omer heute Nacht nicht bei euch?" „Nein, Effendi, ich wußte gar nicht, daß er wieder im Dorf ist."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/421>, abgerufen am 23.07.2024.