Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Delli Vnier

Zuerst wollte er von diesem Vorschlag nichts wissen; als Hassan aber
versprach, sich bei Tachsim Bey für ihn zu verwenden, ging er schweren Herzens
zu Schneider Effendi und sagte ihm, daß er seine Stelle verlassen müsse.

Herr Schneider fragte ihn nach allen Einzelheiten gründlich aus. "Ich
konnte mir gar nicht erklären, Omer. woher dein trauriges Gesicht auf einmal
kam", sagte er, "wenn's aber so steht, muß ich dich wohl ziehen lassen. Es
tut mir wirklich leid, mein braver Bursche! Doch mach' dir keine Sorgen, du
findest bald wieder den Boden unter den Füßen!"

Tachsim Bey war der reichste Türke in Bebel. Sein Haus stand in einem
großen Garten, dessen Terrassen sich bis zum Bosporus hinunterzogen. Zweimal
war er im Ausland gewesen und hatte von seinen Reisen große bronzene
Nachbildungen von einem Löwen, zwei Pferden und anderem Getier mitgebracht,
die er im Garten unter den Bäumen aufstellen ließ. Diese blanken Ungeheuer
beeinträchtigten stark die Schönheit der herrlichen Anlagen, aber ihr Eigentümer
war fest davon überzeugt, daß nun erst seine Besitzung zu den größten Sehens¬
würdigkeiten Stambuls zählte.

Seine stummen Freunde mußten zweimal in der Woche nach allen Regeln
der Kunst mit Putzpulver bearbeitet werden. Wehe dem Diener, der nicht pünktlich
seine Pflicht tat, er wurde ohne Gnade entlassen! Hassan hatte schon wiederholt
junge Burschen zu Tachsim Bey gebracht, aber keiner war geblieben. Omer
lobte er in den höchsten Tönen. "Sei versichert, Effendi", sprach er, "über den
Jsniker wirst du dich nicht ärgern müssen, er hat bei den "Franken" arbeiten
gelernt und ist so pünktlich wie der Muezzin auf dem Minarete."

Omer durfte sofort bei seinem neuen Herrn eintreten. Wieder bewohnte
er ein sauberes kleines Zimmer, auch hier war er Bekdschi und mußte zugleich
den Garten hüten.

Tachsim Bey zeigte ihm, wie man die Tiere putzte und beobachtete ihn
drei Wochen lang auf das schärfste. Nach dieser Probezeit war er mit seinem
neuen Diener so zufrieden, daß er ihn bat, seine Arbeit als Hauat aufzugeben
und ganz in den Aali (Schloß) zu ziehen.

Omer zögerte keinen Augenblick, dieses Anerbieten anzunehmen, denn so
wurde er von seinen neidischen Kameraden getrennt und brauchte sich nicht mehr
von ihnen herumstoßen zu lassen. Schnell fand er seinen Lebensmut wieder;
jedermann im Dall hatte ihn gern.

Mit seinen bronzenen Tieren verband ihn ein förmliches Freundschafts¬
verhältnis. Er setzte seinen ganzen Stolz daran, sie stets blitzblank seinem
Herrn zeigen zu können. Ganz besonders schmeichelte es seiner Eitelkeit, wenn
müßige Zaungäste von der Straße herüber bewundernd in den Garten schauten
und einer dem andern zurief: "Hast du je ähnliches in Stambul gesehen?"
Dann stellte er sich mit verschränkten Armen vor den Löwen auf, und ein
selbstzufriedenes Lächeln ging über sein breites ehrliches Gesicht. In den frühen
Morgenstunden, wenn im Haus noch alles schlief und niemand auf der Straße


Delli Vnier

Zuerst wollte er von diesem Vorschlag nichts wissen; als Hassan aber
versprach, sich bei Tachsim Bey für ihn zu verwenden, ging er schweren Herzens
zu Schneider Effendi und sagte ihm, daß er seine Stelle verlassen müsse.

Herr Schneider fragte ihn nach allen Einzelheiten gründlich aus. „Ich
konnte mir gar nicht erklären, Omer. woher dein trauriges Gesicht auf einmal
kam", sagte er, „wenn's aber so steht, muß ich dich wohl ziehen lassen. Es
tut mir wirklich leid, mein braver Bursche! Doch mach' dir keine Sorgen, du
findest bald wieder den Boden unter den Füßen!"

Tachsim Bey war der reichste Türke in Bebel. Sein Haus stand in einem
großen Garten, dessen Terrassen sich bis zum Bosporus hinunterzogen. Zweimal
war er im Ausland gewesen und hatte von seinen Reisen große bronzene
Nachbildungen von einem Löwen, zwei Pferden und anderem Getier mitgebracht,
die er im Garten unter den Bäumen aufstellen ließ. Diese blanken Ungeheuer
beeinträchtigten stark die Schönheit der herrlichen Anlagen, aber ihr Eigentümer
war fest davon überzeugt, daß nun erst seine Besitzung zu den größten Sehens¬
würdigkeiten Stambuls zählte.

Seine stummen Freunde mußten zweimal in der Woche nach allen Regeln
der Kunst mit Putzpulver bearbeitet werden. Wehe dem Diener, der nicht pünktlich
seine Pflicht tat, er wurde ohne Gnade entlassen! Hassan hatte schon wiederholt
junge Burschen zu Tachsim Bey gebracht, aber keiner war geblieben. Omer
lobte er in den höchsten Tönen. „Sei versichert, Effendi", sprach er, „über den
Jsniker wirst du dich nicht ärgern müssen, er hat bei den „Franken" arbeiten
gelernt und ist so pünktlich wie der Muezzin auf dem Minarete."

Omer durfte sofort bei seinem neuen Herrn eintreten. Wieder bewohnte
er ein sauberes kleines Zimmer, auch hier war er Bekdschi und mußte zugleich
den Garten hüten.

Tachsim Bey zeigte ihm, wie man die Tiere putzte und beobachtete ihn
drei Wochen lang auf das schärfste. Nach dieser Probezeit war er mit seinem
neuen Diener so zufrieden, daß er ihn bat, seine Arbeit als Hauat aufzugeben
und ganz in den Aali (Schloß) zu ziehen.

Omer zögerte keinen Augenblick, dieses Anerbieten anzunehmen, denn so
wurde er von seinen neidischen Kameraden getrennt und brauchte sich nicht mehr
von ihnen herumstoßen zu lassen. Schnell fand er seinen Lebensmut wieder;
jedermann im Dall hatte ihn gern.

Mit seinen bronzenen Tieren verband ihn ein förmliches Freundschafts¬
verhältnis. Er setzte seinen ganzen Stolz daran, sie stets blitzblank seinem
Herrn zeigen zu können. Ganz besonders schmeichelte es seiner Eitelkeit, wenn
müßige Zaungäste von der Straße herüber bewundernd in den Garten schauten
und einer dem andern zurief: „Hast du je ähnliches in Stambul gesehen?"
Dann stellte er sich mit verschränkten Armen vor den Löwen auf, und ein
selbstzufriedenes Lächeln ging über sein breites ehrliches Gesicht. In den frühen
Morgenstunden, wenn im Haus noch alles schlief und niemand auf der Straße


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0417" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331389"/>
          <fw type="header" place="top"> Delli Vnier</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1611"> Zuerst wollte er von diesem Vorschlag nichts wissen; als Hassan aber<lb/>
versprach, sich bei Tachsim Bey für ihn zu verwenden, ging er schweren Herzens<lb/>
zu Schneider Effendi und sagte ihm, daß er seine Stelle verlassen müsse.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1612"> Herr Schneider fragte ihn nach allen Einzelheiten gründlich aus. &#x201E;Ich<lb/>
konnte mir gar nicht erklären, Omer. woher dein trauriges Gesicht auf einmal<lb/>
kam", sagte er, &#x201E;wenn's aber so steht, muß ich dich wohl ziehen lassen. Es<lb/>
tut mir wirklich leid, mein braver Bursche! Doch mach' dir keine Sorgen, du<lb/>
findest bald wieder den Boden unter den Füßen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1613"> Tachsim Bey war der reichste Türke in Bebel. Sein Haus stand in einem<lb/>
großen Garten, dessen Terrassen sich bis zum Bosporus hinunterzogen. Zweimal<lb/>
war er im Ausland gewesen und hatte von seinen Reisen große bronzene<lb/>
Nachbildungen von einem Löwen, zwei Pferden und anderem Getier mitgebracht,<lb/>
die er im Garten unter den Bäumen aufstellen ließ. Diese blanken Ungeheuer<lb/>
beeinträchtigten stark die Schönheit der herrlichen Anlagen, aber ihr Eigentümer<lb/>
war fest davon überzeugt, daß nun erst seine Besitzung zu den größten Sehens¬<lb/>
würdigkeiten Stambuls zählte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1614"> Seine stummen Freunde mußten zweimal in der Woche nach allen Regeln<lb/>
der Kunst mit Putzpulver bearbeitet werden. Wehe dem Diener, der nicht pünktlich<lb/>
seine Pflicht tat, er wurde ohne Gnade entlassen! Hassan hatte schon wiederholt<lb/>
junge Burschen zu Tachsim Bey gebracht, aber keiner war geblieben. Omer<lb/>
lobte er in den höchsten Tönen. &#x201E;Sei versichert, Effendi", sprach er, &#x201E;über den<lb/>
Jsniker wirst du dich nicht ärgern müssen, er hat bei den &#x201E;Franken" arbeiten<lb/>
gelernt und ist so pünktlich wie der Muezzin auf dem Minarete."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1615"> Omer durfte sofort bei seinem neuen Herrn eintreten. Wieder bewohnte<lb/>
er ein sauberes kleines Zimmer, auch hier war er Bekdschi und mußte zugleich<lb/>
den Garten hüten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1616"> Tachsim Bey zeigte ihm, wie man die Tiere putzte und beobachtete ihn<lb/>
drei Wochen lang auf das schärfste. Nach dieser Probezeit war er mit seinem<lb/>
neuen Diener so zufrieden, daß er ihn bat, seine Arbeit als Hauat aufzugeben<lb/>
und ganz in den Aali (Schloß) zu ziehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1617"> Omer zögerte keinen Augenblick, dieses Anerbieten anzunehmen, denn so<lb/>
wurde er von seinen neidischen Kameraden getrennt und brauchte sich nicht mehr<lb/>
von ihnen herumstoßen zu lassen. Schnell fand er seinen Lebensmut wieder;<lb/>
jedermann im Dall hatte ihn gern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1618" next="#ID_1619"> Mit seinen bronzenen Tieren verband ihn ein förmliches Freundschafts¬<lb/>
verhältnis. Er setzte seinen ganzen Stolz daran, sie stets blitzblank seinem<lb/>
Herrn zeigen zu können. Ganz besonders schmeichelte es seiner Eitelkeit, wenn<lb/>
müßige Zaungäste von der Straße herüber bewundernd in den Garten schauten<lb/>
und einer dem andern zurief: &#x201E;Hast du je ähnliches in Stambul gesehen?"<lb/>
Dann stellte er sich mit verschränkten Armen vor den Löwen auf, und ein<lb/>
selbstzufriedenes Lächeln ging über sein breites ehrliches Gesicht. In den frühen<lb/>
Morgenstunden, wenn im Haus noch alles schlief und niemand auf der Straße</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0417] Delli Vnier Zuerst wollte er von diesem Vorschlag nichts wissen; als Hassan aber versprach, sich bei Tachsim Bey für ihn zu verwenden, ging er schweren Herzens zu Schneider Effendi und sagte ihm, daß er seine Stelle verlassen müsse. Herr Schneider fragte ihn nach allen Einzelheiten gründlich aus. „Ich konnte mir gar nicht erklären, Omer. woher dein trauriges Gesicht auf einmal kam", sagte er, „wenn's aber so steht, muß ich dich wohl ziehen lassen. Es tut mir wirklich leid, mein braver Bursche! Doch mach' dir keine Sorgen, du findest bald wieder den Boden unter den Füßen!" Tachsim Bey war der reichste Türke in Bebel. Sein Haus stand in einem großen Garten, dessen Terrassen sich bis zum Bosporus hinunterzogen. Zweimal war er im Ausland gewesen und hatte von seinen Reisen große bronzene Nachbildungen von einem Löwen, zwei Pferden und anderem Getier mitgebracht, die er im Garten unter den Bäumen aufstellen ließ. Diese blanken Ungeheuer beeinträchtigten stark die Schönheit der herrlichen Anlagen, aber ihr Eigentümer war fest davon überzeugt, daß nun erst seine Besitzung zu den größten Sehens¬ würdigkeiten Stambuls zählte. Seine stummen Freunde mußten zweimal in der Woche nach allen Regeln der Kunst mit Putzpulver bearbeitet werden. Wehe dem Diener, der nicht pünktlich seine Pflicht tat, er wurde ohne Gnade entlassen! Hassan hatte schon wiederholt junge Burschen zu Tachsim Bey gebracht, aber keiner war geblieben. Omer lobte er in den höchsten Tönen. „Sei versichert, Effendi", sprach er, „über den Jsniker wirst du dich nicht ärgern müssen, er hat bei den „Franken" arbeiten gelernt und ist so pünktlich wie der Muezzin auf dem Minarete." Omer durfte sofort bei seinem neuen Herrn eintreten. Wieder bewohnte er ein sauberes kleines Zimmer, auch hier war er Bekdschi und mußte zugleich den Garten hüten. Tachsim Bey zeigte ihm, wie man die Tiere putzte und beobachtete ihn drei Wochen lang auf das schärfste. Nach dieser Probezeit war er mit seinem neuen Diener so zufrieden, daß er ihn bat, seine Arbeit als Hauat aufzugeben und ganz in den Aali (Schloß) zu ziehen. Omer zögerte keinen Augenblick, dieses Anerbieten anzunehmen, denn so wurde er von seinen neidischen Kameraden getrennt und brauchte sich nicht mehr von ihnen herumstoßen zu lassen. Schnell fand er seinen Lebensmut wieder; jedermann im Dall hatte ihn gern. Mit seinen bronzenen Tieren verband ihn ein förmliches Freundschafts¬ verhältnis. Er setzte seinen ganzen Stolz daran, sie stets blitzblank seinem Herrn zeigen zu können. Ganz besonders schmeichelte es seiner Eitelkeit, wenn müßige Zaungäste von der Straße herüber bewundernd in den Garten schauten und einer dem andern zurief: „Hast du je ähnliches in Stambul gesehen?" Dann stellte er sich mit verschränkten Armen vor den Löwen auf, und ein selbstzufriedenes Lächeln ging über sein breites ehrliches Gesicht. In den frühen Morgenstunden, wenn im Haus noch alles schlief und niemand auf der Straße

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/417
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/417>, abgerufen am 23.07.2024.