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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Dclli Gener

"He!" rief dann eine rauhe Stimme und schreckte den Träumer auf;
"spuke dich, Bursche, dort kommt frisches Holz von der anatolischen Küste!"
Und ohne Widerstreben folgte Omer dem Hamalbaschi.

Stets war es ein schweres Stück Arbeit, bis die Lastträger alles Holz
vom Segler heruntergeschafft hatten. In hohen Bergen lag es aufgeschichtet
am Ufer und mußte nun gewogen werden. Bald stellten sich zahlreiche Käufer
ein; auch "Franken" waren darunter. Umständlich verhandelte Hassen mit
jedem von ihnen und ließ nicht locker, bis er allen seinen Preis aufgeschwatzt
hatte. Dann kehrte er zu seiner Garde zurück und gab seine Befehle.
"Fünfzehn Tscheki Eichenholz zu Schneider Effendi ins Oberdorf und gleich
kleinhacken und im Keller aufbauen!"

"Schneider Effendi?" die Hamals schauten sich an, und mancher Fluch
wurde gemurmelt. Denn Schneider Effendi wohnte ganz oben auf der Höhe
im großen weißen Haus; es war ein langer Weg bis dahin. Mißmutig
gingen die Burschen an die Arbeit. Einem nach dem andern wurden zwei
oder drei starke Knüppel auf die Trage geschoben, und mit vorsichtigen schweren
Schritten machte sich jeder davon. Während der ersten fünf Minuten war die
Last noch erträglich, aber dann trat der Schweiß in großen Tropfen auf die
Stirn, und bald floß er in kleinen Bächen am Gesicht herunter. Keuchend
ging der Atem, zitternd bewegten sich die sehnigen Beine. Wer oben, am Ziel
war, kauerte vorsichtig am Boden nieder, kippte mit dem Rücken die Trage,
und polternd fielen die Klötze zur Erde.

Wenn alles Holz beisammen war, holten sich die Lastträger ihre langen
Äxte, und der zweite Teil ihrer Arbeit begann. Es dauerte oft Stunden, bis
sie darangehen konnten, die Scheite in große Körbe zu packen und ins Haus
des Käufers zu tragen.

Währenddessen stand Hassan, der Baschi, dabei und rauchte eine Zigarette
nach der andern. Wußte er sich unbeobachtet, so lehnte er sich faul gegen
einen Zaun und überlief die Hamals ihrem Schicksal. Aber wie wichtig tat
er, wenn zufällig der Hausherr dazukam! "Schneller, schneller, meine Kinder",
rief er dann, "ihr schafft wie lahme Pferde!" Und alles grinste gutmütig
dazu, denn sie kannten diese List. Nachher durfte Hassan einen größeren
Bakschisch verlangen.

So lernte auch Omer die Häuser reicher Türken, Griechen und "Franken"
kennen. Wenn er mit seinem großen Korb Holz vor der Türe stand, schüttelte
er sich stets die klobigen Hamalpantoffeln von den Füßen und trat in Strümpfen
ein. Hier gab es große Zimmer mit wunderlichen Tischen und Stühlen zu
sehen; bunte Bilder hingen an den Wänden. In der Küche blitzte alles von
Sauberkeit, und oft ging eine blonde Frau ganz unverschleiert mit in den
Keller hinunter und zeigte ihm, wo er das Holz aufbauen mußte. Wie diese
"Franken" türkisch sprachen!

Und was für blauäugige Kinder sie hatten! Die kleinen Mädchen hockten


Dclli Gener

„He!" rief dann eine rauhe Stimme und schreckte den Träumer auf;
„spuke dich, Bursche, dort kommt frisches Holz von der anatolischen Küste!"
Und ohne Widerstreben folgte Omer dem Hamalbaschi.

Stets war es ein schweres Stück Arbeit, bis die Lastträger alles Holz
vom Segler heruntergeschafft hatten. In hohen Bergen lag es aufgeschichtet
am Ufer und mußte nun gewogen werden. Bald stellten sich zahlreiche Käufer
ein; auch „Franken" waren darunter. Umständlich verhandelte Hassen mit
jedem von ihnen und ließ nicht locker, bis er allen seinen Preis aufgeschwatzt
hatte. Dann kehrte er zu seiner Garde zurück und gab seine Befehle.
„Fünfzehn Tscheki Eichenholz zu Schneider Effendi ins Oberdorf und gleich
kleinhacken und im Keller aufbauen!"

„Schneider Effendi?" die Hamals schauten sich an, und mancher Fluch
wurde gemurmelt. Denn Schneider Effendi wohnte ganz oben auf der Höhe
im großen weißen Haus; es war ein langer Weg bis dahin. Mißmutig
gingen die Burschen an die Arbeit. Einem nach dem andern wurden zwei
oder drei starke Knüppel auf die Trage geschoben, und mit vorsichtigen schweren
Schritten machte sich jeder davon. Während der ersten fünf Minuten war die
Last noch erträglich, aber dann trat der Schweiß in großen Tropfen auf die
Stirn, und bald floß er in kleinen Bächen am Gesicht herunter. Keuchend
ging der Atem, zitternd bewegten sich die sehnigen Beine. Wer oben, am Ziel
war, kauerte vorsichtig am Boden nieder, kippte mit dem Rücken die Trage,
und polternd fielen die Klötze zur Erde.

Wenn alles Holz beisammen war, holten sich die Lastträger ihre langen
Äxte, und der zweite Teil ihrer Arbeit begann. Es dauerte oft Stunden, bis
sie darangehen konnten, die Scheite in große Körbe zu packen und ins Haus
des Käufers zu tragen.

Währenddessen stand Hassan, der Baschi, dabei und rauchte eine Zigarette
nach der andern. Wußte er sich unbeobachtet, so lehnte er sich faul gegen
einen Zaun und überlief die Hamals ihrem Schicksal. Aber wie wichtig tat
er, wenn zufällig der Hausherr dazukam! „Schneller, schneller, meine Kinder",
rief er dann, „ihr schafft wie lahme Pferde!" Und alles grinste gutmütig
dazu, denn sie kannten diese List. Nachher durfte Hassan einen größeren
Bakschisch verlangen.

So lernte auch Omer die Häuser reicher Türken, Griechen und „Franken"
kennen. Wenn er mit seinem großen Korb Holz vor der Türe stand, schüttelte
er sich stets die klobigen Hamalpantoffeln von den Füßen und trat in Strümpfen
ein. Hier gab es große Zimmer mit wunderlichen Tischen und Stühlen zu
sehen; bunte Bilder hingen an den Wänden. In der Küche blitzte alles von
Sauberkeit, und oft ging eine blonde Frau ganz unverschleiert mit in den
Keller hinunter und zeigte ihm, wo er das Holz aufbauen mußte. Wie diese
„Franken" türkisch sprachen!

Und was für blauäugige Kinder sie hatten! Die kleinen Mädchen hockten


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[0412] Dclli Gener „He!" rief dann eine rauhe Stimme und schreckte den Träumer auf; „spuke dich, Bursche, dort kommt frisches Holz von der anatolischen Küste!" Und ohne Widerstreben folgte Omer dem Hamalbaschi. Stets war es ein schweres Stück Arbeit, bis die Lastträger alles Holz vom Segler heruntergeschafft hatten. In hohen Bergen lag es aufgeschichtet am Ufer und mußte nun gewogen werden. Bald stellten sich zahlreiche Käufer ein; auch „Franken" waren darunter. Umständlich verhandelte Hassen mit jedem von ihnen und ließ nicht locker, bis er allen seinen Preis aufgeschwatzt hatte. Dann kehrte er zu seiner Garde zurück und gab seine Befehle. „Fünfzehn Tscheki Eichenholz zu Schneider Effendi ins Oberdorf und gleich kleinhacken und im Keller aufbauen!" „Schneider Effendi?" die Hamals schauten sich an, und mancher Fluch wurde gemurmelt. Denn Schneider Effendi wohnte ganz oben auf der Höhe im großen weißen Haus; es war ein langer Weg bis dahin. Mißmutig gingen die Burschen an die Arbeit. Einem nach dem andern wurden zwei oder drei starke Knüppel auf die Trage geschoben, und mit vorsichtigen schweren Schritten machte sich jeder davon. Während der ersten fünf Minuten war die Last noch erträglich, aber dann trat der Schweiß in großen Tropfen auf die Stirn, und bald floß er in kleinen Bächen am Gesicht herunter. Keuchend ging der Atem, zitternd bewegten sich die sehnigen Beine. Wer oben, am Ziel war, kauerte vorsichtig am Boden nieder, kippte mit dem Rücken die Trage, und polternd fielen die Klötze zur Erde. Wenn alles Holz beisammen war, holten sich die Lastträger ihre langen Äxte, und der zweite Teil ihrer Arbeit begann. Es dauerte oft Stunden, bis sie darangehen konnten, die Scheite in große Körbe zu packen und ins Haus des Käufers zu tragen. Währenddessen stand Hassan, der Baschi, dabei und rauchte eine Zigarette nach der andern. Wußte er sich unbeobachtet, so lehnte er sich faul gegen einen Zaun und überlief die Hamals ihrem Schicksal. Aber wie wichtig tat er, wenn zufällig der Hausherr dazukam! „Schneller, schneller, meine Kinder", rief er dann, „ihr schafft wie lahme Pferde!" Und alles grinste gutmütig dazu, denn sie kannten diese List. Nachher durfte Hassan einen größeren Bakschisch verlangen. So lernte auch Omer die Häuser reicher Türken, Griechen und „Franken" kennen. Wenn er mit seinem großen Korb Holz vor der Türe stand, schüttelte er sich stets die klobigen Hamalpantoffeln von den Füßen und trat in Strümpfen ein. Hier gab es große Zimmer mit wunderlichen Tischen und Stühlen zu sehen; bunte Bilder hingen an den Wänden. In der Küche blitzte alles von Sauberkeit, und oft ging eine blonde Frau ganz unverschleiert mit in den Keller hinunter und zeigte ihm, wo er das Holz aufbauen mußte. Wie diese „Franken" türkisch sprachen! Und was für blauäugige Kinder sie hatten! Die kleinen Mädchen hockten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/412>, abgerufen am 23.07.2024.