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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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ZVeltweizenversorgung im Wirtschaftsjahre 59^6/5?

werden ähnliche Meldungen herübergekabelt. Kommt es zu einer Abschließung
Süd- oder Nordamerikas oder gar beider Länder, so ist tatsächlich nicht zu erkennen,
wie England und seine Verbündeten sich für den Rest des Erntejahres versorgen
sollen. Daß man in England die Dinge mit großem Ernste ansieht, beweist
der Umstand, daß man kürzlich die Einfuhr verstaatlicht hat (übrigens unter
Heranziehung des berufsmäßigen Handels), strenge Ausmahlungsvorschriften
erlassen hat (wodurch die Kleieerzeugung eingeschränkt und der Futtermangel
verstärkt werden wird) ein Einheitsbrot schaffen, einen Lebensmitteldiktator
einsetzen wird usw.

Unter allen Umständen liegt, nachdem ein Drittel des Wirtschaftsjahres
jetzt verflossen ist, das eine Zufuhr von etwa 4^ Millionen Tonnen (davon
31/4 Million von Nordamerika allein) gebracht hat, die Gewißheit vor, daß ein
großer Teil des Zuschußbedarfs von entlegenen Ländern heranzuziehen ist.
Die bekannten Tonnageschwierigkeitcn, die neuerdings allen englischen Gewalts¬
maßregeln zum Trotz wieder entsandte Frachtensteigerung,") die einem solchen
Ansturm in keiner Weise gewachsenen technischen Einrichtungen in den exotischen
Binnenländern und Häfen, dazu die ebenfalls ungenügenden Anlagen, namentlich
in Frankreich und Italien, endlich die Transportverhältnisse in den europäischen
Einfuhrgebieten werden die Schwierigkeiten ins Unendliche vermehren. Endlich
die Valutafrage in Frankreich und Italien, ganz zu schweigen vom Preisstande!

Ich möchte zum Schluß noch ein Moment hervorheben: die moderne
Landwirtschaft hat die bekannten Niesenerträgnisse, die es ermöglicht haben, daß
ein großer Teil der Menschheit Nichtlandwirte sind und somit sich anderen
Produktionen widmen konnten, nur auf Grund mehr oder weniger intensiver
Wirtschaft hervorzubringen vermocht. Dem Boden sind die großen Ernten der
Vorjahre abgerungen worden durch einen hohen Aufwand von Arbeit und
Kapital, von menschlichen und tierischen Kräften, bestem Saatgut, künstlichem
Dünger, landwirtschaftlichen Maschinen, Kohlenzufuhr usw. Alle diese mensch¬
lichen und natürlichen Kräfte entsprechen in keinem Lande mehr den früheren
Erfordernissen. Es ist keinesfalls ein Zufall, daß fast alle getreidebauenden
Länder in diesem Jahre so erhebliche Mindererträgnisse zeigen. Es ist eine
Folge des Umstandes, daß man gezwungen ist, die Intensität der Landwirtschaft
zu vernachlässigen. Aus diesem Grunde liegt die Befürchtung nahe, daß auch
das nächste Jahr eine Weltmißernte bringen wird, die aber diesmal nicht die
Riesenvorräte aus den früheren Ernten antreffen würde. Das wäre ein nicht
auszudenkendes Unglück, von dem Freund und Feind betroffen werden würde,
vielleicht mit der alleinigen Ausnahme der reisessenden Menschheit.





") Die an neutrale Schiffe bezahlten Frachtraten sind neuerdings erheblich gestiegen:
Nordamerika-England .... 116 Mark die Tonne (Mais) Januar-Februar Verladung
Argentinien-England .... 130 " " " ' " "
Indien-England...... 200 "
Indien-Mittelmeer..... 260 " " " "
ZVeltweizenversorgung im Wirtschaftsjahre 59^6/5?

werden ähnliche Meldungen herübergekabelt. Kommt es zu einer Abschließung
Süd- oder Nordamerikas oder gar beider Länder, so ist tatsächlich nicht zu erkennen,
wie England und seine Verbündeten sich für den Rest des Erntejahres versorgen
sollen. Daß man in England die Dinge mit großem Ernste ansieht, beweist
der Umstand, daß man kürzlich die Einfuhr verstaatlicht hat (übrigens unter
Heranziehung des berufsmäßigen Handels), strenge Ausmahlungsvorschriften
erlassen hat (wodurch die Kleieerzeugung eingeschränkt und der Futtermangel
verstärkt werden wird) ein Einheitsbrot schaffen, einen Lebensmitteldiktator
einsetzen wird usw.

Unter allen Umständen liegt, nachdem ein Drittel des Wirtschaftsjahres
jetzt verflossen ist, das eine Zufuhr von etwa 4^ Millionen Tonnen (davon
31/4 Million von Nordamerika allein) gebracht hat, die Gewißheit vor, daß ein
großer Teil des Zuschußbedarfs von entlegenen Ländern heranzuziehen ist.
Die bekannten Tonnageschwierigkeitcn, die neuerdings allen englischen Gewalts¬
maßregeln zum Trotz wieder entsandte Frachtensteigerung,") die einem solchen
Ansturm in keiner Weise gewachsenen technischen Einrichtungen in den exotischen
Binnenländern und Häfen, dazu die ebenfalls ungenügenden Anlagen, namentlich
in Frankreich und Italien, endlich die Transportverhältnisse in den europäischen
Einfuhrgebieten werden die Schwierigkeiten ins Unendliche vermehren. Endlich
die Valutafrage in Frankreich und Italien, ganz zu schweigen vom Preisstande!

Ich möchte zum Schluß noch ein Moment hervorheben: die moderne
Landwirtschaft hat die bekannten Niesenerträgnisse, die es ermöglicht haben, daß
ein großer Teil der Menschheit Nichtlandwirte sind und somit sich anderen
Produktionen widmen konnten, nur auf Grund mehr oder weniger intensiver
Wirtschaft hervorzubringen vermocht. Dem Boden sind die großen Ernten der
Vorjahre abgerungen worden durch einen hohen Aufwand von Arbeit und
Kapital, von menschlichen und tierischen Kräften, bestem Saatgut, künstlichem
Dünger, landwirtschaftlichen Maschinen, Kohlenzufuhr usw. Alle diese mensch¬
lichen und natürlichen Kräfte entsprechen in keinem Lande mehr den früheren
Erfordernissen. Es ist keinesfalls ein Zufall, daß fast alle getreidebauenden
Länder in diesem Jahre so erhebliche Mindererträgnisse zeigen. Es ist eine
Folge des Umstandes, daß man gezwungen ist, die Intensität der Landwirtschaft
zu vernachlässigen. Aus diesem Grunde liegt die Befürchtung nahe, daß auch
das nächste Jahr eine Weltmißernte bringen wird, die aber diesmal nicht die
Riesenvorräte aus den früheren Ernten antreffen würde. Das wäre ein nicht
auszudenkendes Unglück, von dem Freund und Feind betroffen werden würde,
vielleicht mit der alleinigen Ausnahme der reisessenden Menschheit.





") Die an neutrale Schiffe bezahlten Frachtraten sind neuerdings erheblich gestiegen:
Nordamerika-England .... 116 Mark die Tonne (Mais) Januar-Februar Verladung
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[0408] ZVeltweizenversorgung im Wirtschaftsjahre 59^6/5? werden ähnliche Meldungen herübergekabelt. Kommt es zu einer Abschließung Süd- oder Nordamerikas oder gar beider Länder, so ist tatsächlich nicht zu erkennen, wie England und seine Verbündeten sich für den Rest des Erntejahres versorgen sollen. Daß man in England die Dinge mit großem Ernste ansieht, beweist der Umstand, daß man kürzlich die Einfuhr verstaatlicht hat (übrigens unter Heranziehung des berufsmäßigen Handels), strenge Ausmahlungsvorschriften erlassen hat (wodurch die Kleieerzeugung eingeschränkt und der Futtermangel verstärkt werden wird) ein Einheitsbrot schaffen, einen Lebensmitteldiktator einsetzen wird usw. Unter allen Umständen liegt, nachdem ein Drittel des Wirtschaftsjahres jetzt verflossen ist, das eine Zufuhr von etwa 4^ Millionen Tonnen (davon 31/4 Million von Nordamerika allein) gebracht hat, die Gewißheit vor, daß ein großer Teil des Zuschußbedarfs von entlegenen Ländern heranzuziehen ist. Die bekannten Tonnageschwierigkeitcn, die neuerdings allen englischen Gewalts¬ maßregeln zum Trotz wieder entsandte Frachtensteigerung,") die einem solchen Ansturm in keiner Weise gewachsenen technischen Einrichtungen in den exotischen Binnenländern und Häfen, dazu die ebenfalls ungenügenden Anlagen, namentlich in Frankreich und Italien, endlich die Transportverhältnisse in den europäischen Einfuhrgebieten werden die Schwierigkeiten ins Unendliche vermehren. Endlich die Valutafrage in Frankreich und Italien, ganz zu schweigen vom Preisstande! Ich möchte zum Schluß noch ein Moment hervorheben: die moderne Landwirtschaft hat die bekannten Niesenerträgnisse, die es ermöglicht haben, daß ein großer Teil der Menschheit Nichtlandwirte sind und somit sich anderen Produktionen widmen konnten, nur auf Grund mehr oder weniger intensiver Wirtschaft hervorzubringen vermocht. Dem Boden sind die großen Ernten der Vorjahre abgerungen worden durch einen hohen Aufwand von Arbeit und Kapital, von menschlichen und tierischen Kräften, bestem Saatgut, künstlichem Dünger, landwirtschaftlichen Maschinen, Kohlenzufuhr usw. Alle diese mensch¬ lichen und natürlichen Kräfte entsprechen in keinem Lande mehr den früheren Erfordernissen. Es ist keinesfalls ein Zufall, daß fast alle getreidebauenden Länder in diesem Jahre so erhebliche Mindererträgnisse zeigen. Es ist eine Folge des Umstandes, daß man gezwungen ist, die Intensität der Landwirtschaft zu vernachlässigen. Aus diesem Grunde liegt die Befürchtung nahe, daß auch das nächste Jahr eine Weltmißernte bringen wird, die aber diesmal nicht die Riesenvorräte aus den früheren Ernten antreffen würde. Das wäre ein nicht auszudenkendes Unglück, von dem Freund und Feind betroffen werden würde, vielleicht mit der alleinigen Ausnahme der reisessenden Menschheit. ") Die an neutrale Schiffe bezahlten Frachtraten sind neuerdings erheblich gestiegen: Nordamerika-England .... 116 Mark die Tonne (Mais) Januar-Februar Verladung Argentinien-England .... 130 „ „ „ ' „ „ Indien-England...... 200 „ Indien-Mittelmeer..... 260 „ „ „ „

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/408>, abgerufen am 23.07.2024.