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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Geschichtschreibung neuester Zeit und ihre Rritik

wie es heute vorliege, lasse sich kein auch nur einigermaßen zutreffendes Bild
gewinnen. Zur Erhärtung seiner Vorwürfe stellt Valentin eine Anzahl Sätze
der ersten und dritten Auflage einander gegenüber.

Zunächst ergibt die nähere Prüfung der Zitate ein für die Beurteilung
von Valentins Arbeitsweise höchst unerfreuliches Bild. Er entnimmt sie sämt¬
lich dem Teil des Buches, von dem Reventlow in seiner Vorrede sagt, er sei
bis zum Ende neu geschrieben worden. In diesem Teil sind nun die einzelnen
Abschnitte so umgearbeitet, daß sich nicht mehr überall Parallelen ziehen lassen.
Einzelne Absätze haben allerdings den gleichen Wortlaut mit oder ohne Ein-
schiebungen behalten, andere sind aber so erweitert oder verkürzt, auch zur
Verbesserung der Chronologie und Stilistik an andere Stellen gesetzt, daß leicht
falsche Sätze nebeneinander gestellt werden und die Parallele ein falsches Bild
ergibt. So stimmen besonders die Vergleiche nicht, aus denen Valentin ein
"Abrücken" Reventlows von Bülow und dem verstorbenen Staatssekretär
von Kiderlen-Wächter in der dritten Auflage folgert. Seite 6 sagt Valentin,
daß die Anerkennung, die Reventlow in der ersten Auflage Bülows Politik in
der böhmischen Krise gezollt hat: "Die seitdem verflossenen Jahre haben,
das muß mit Nachdruck ausgesprochen werden, diese Politik des Fürsten
Bülow gerechtfertigt" in der dritten Auflage, Seite 366 ganz anders klänge,
und "in folgender gnädiger Form erteilt" werde: "Angesichts der deutsch¬
österreichischen Ruhe und Festigkeit, ja, man kann sagen, daß diesmal auch
Zielbewußtsein vorhanden war . . . !" Valentin übersteht, daß Reventlow schon
Seite 364 sagt: "Wie gesagt, ließ Fürst Bülow aber von vornherein keinen
Zweifel über den deutschen Standpunkt und dessen Festigkeit. Dadurch wurde
die Krisis zur Lösung gebracht und zwar zur friedlichen und im Sinne der
Politik der Mittelmächte." Dieser Satz war weit eher in Parallele zur ersten
Auflage zu stellen. Zwei Seiten lang beschäftigt sich Valentin dann damit,
daß Reventlow sein Urteil über die Politik Kiderlens offenbar geändert hat.
Er vergleicht aber wiederum sehr oberflächlich und spitzt die sachlichen Ände¬
rungen auf das Persönliche zu. Z. B. begründet Reventlow, dritte Auflage,
Seite 391, sehr ausführlich sein verändertes Urteil über das Potsdamer Ab¬
kommen zwischen Rußland und Deutschland 1910. Valentin teilt nur einen
Satz davon mit, der so herausgerissen allerdings eine persönliche Spitze gegen
Kiderlen zu enthalten scheint. Valentin tadelt die Weglassung zweier Gespräche
Reventlows mit Kiderlen. Ich gestehe zu, daß ich die Änderungen vom Stand¬
punkte historischer Forschung aus auch bedauere; denn der Ouellenwert, den die
Gespräche in der ersten Auflage hatten, geht in der Bearbeitung der dritten,
die nur das sachliche Ergebnis resümiert, verloren (auch die Mitteilungen
über Kiderlens Kongozukunftspläne fehlen hier). Da Reventlow aber an
anderen Stellen Gespräche mit Kiderlen unverändert wiedergibt (was Valentin
nicht mitteilt), kann ein persönliches Abrücken jedenfalls nicht gefolgert werden.
Vor allem hätte Valentin aber nicht verschweigen dürfen, daß Reventlow in


Geschichtschreibung neuester Zeit und ihre Rritik

wie es heute vorliege, lasse sich kein auch nur einigermaßen zutreffendes Bild
gewinnen. Zur Erhärtung seiner Vorwürfe stellt Valentin eine Anzahl Sätze
der ersten und dritten Auflage einander gegenüber.

Zunächst ergibt die nähere Prüfung der Zitate ein für die Beurteilung
von Valentins Arbeitsweise höchst unerfreuliches Bild. Er entnimmt sie sämt¬
lich dem Teil des Buches, von dem Reventlow in seiner Vorrede sagt, er sei
bis zum Ende neu geschrieben worden. In diesem Teil sind nun die einzelnen
Abschnitte so umgearbeitet, daß sich nicht mehr überall Parallelen ziehen lassen.
Einzelne Absätze haben allerdings den gleichen Wortlaut mit oder ohne Ein-
schiebungen behalten, andere sind aber so erweitert oder verkürzt, auch zur
Verbesserung der Chronologie und Stilistik an andere Stellen gesetzt, daß leicht
falsche Sätze nebeneinander gestellt werden und die Parallele ein falsches Bild
ergibt. So stimmen besonders die Vergleiche nicht, aus denen Valentin ein
„Abrücken" Reventlows von Bülow und dem verstorbenen Staatssekretär
von Kiderlen-Wächter in der dritten Auflage folgert. Seite 6 sagt Valentin,
daß die Anerkennung, die Reventlow in der ersten Auflage Bülows Politik in
der böhmischen Krise gezollt hat: „Die seitdem verflossenen Jahre haben,
das muß mit Nachdruck ausgesprochen werden, diese Politik des Fürsten
Bülow gerechtfertigt" in der dritten Auflage, Seite 366 ganz anders klänge,
und „in folgender gnädiger Form erteilt" werde: „Angesichts der deutsch¬
österreichischen Ruhe und Festigkeit, ja, man kann sagen, daß diesmal auch
Zielbewußtsein vorhanden war . . . !" Valentin übersteht, daß Reventlow schon
Seite 364 sagt: „Wie gesagt, ließ Fürst Bülow aber von vornherein keinen
Zweifel über den deutschen Standpunkt und dessen Festigkeit. Dadurch wurde
die Krisis zur Lösung gebracht und zwar zur friedlichen und im Sinne der
Politik der Mittelmächte." Dieser Satz war weit eher in Parallele zur ersten
Auflage zu stellen. Zwei Seiten lang beschäftigt sich Valentin dann damit,
daß Reventlow sein Urteil über die Politik Kiderlens offenbar geändert hat.
Er vergleicht aber wiederum sehr oberflächlich und spitzt die sachlichen Ände¬
rungen auf das Persönliche zu. Z. B. begründet Reventlow, dritte Auflage,
Seite 391, sehr ausführlich sein verändertes Urteil über das Potsdamer Ab¬
kommen zwischen Rußland und Deutschland 1910. Valentin teilt nur einen
Satz davon mit, der so herausgerissen allerdings eine persönliche Spitze gegen
Kiderlen zu enthalten scheint. Valentin tadelt die Weglassung zweier Gespräche
Reventlows mit Kiderlen. Ich gestehe zu, daß ich die Änderungen vom Stand¬
punkte historischer Forschung aus auch bedauere; denn der Ouellenwert, den die
Gespräche in der ersten Auflage hatten, geht in der Bearbeitung der dritten,
die nur das sachliche Ergebnis resümiert, verloren (auch die Mitteilungen
über Kiderlens Kongozukunftspläne fehlen hier). Da Reventlow aber an
anderen Stellen Gespräche mit Kiderlen unverändert wiedergibt (was Valentin
nicht mitteilt), kann ein persönliches Abrücken jedenfalls nicht gefolgert werden.
Vor allem hätte Valentin aber nicht verschweigen dürfen, daß Reventlow in


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[0382] Geschichtschreibung neuester Zeit und ihre Rritik wie es heute vorliege, lasse sich kein auch nur einigermaßen zutreffendes Bild gewinnen. Zur Erhärtung seiner Vorwürfe stellt Valentin eine Anzahl Sätze der ersten und dritten Auflage einander gegenüber. Zunächst ergibt die nähere Prüfung der Zitate ein für die Beurteilung von Valentins Arbeitsweise höchst unerfreuliches Bild. Er entnimmt sie sämt¬ lich dem Teil des Buches, von dem Reventlow in seiner Vorrede sagt, er sei bis zum Ende neu geschrieben worden. In diesem Teil sind nun die einzelnen Abschnitte so umgearbeitet, daß sich nicht mehr überall Parallelen ziehen lassen. Einzelne Absätze haben allerdings den gleichen Wortlaut mit oder ohne Ein- schiebungen behalten, andere sind aber so erweitert oder verkürzt, auch zur Verbesserung der Chronologie und Stilistik an andere Stellen gesetzt, daß leicht falsche Sätze nebeneinander gestellt werden und die Parallele ein falsches Bild ergibt. So stimmen besonders die Vergleiche nicht, aus denen Valentin ein „Abrücken" Reventlows von Bülow und dem verstorbenen Staatssekretär von Kiderlen-Wächter in der dritten Auflage folgert. Seite 6 sagt Valentin, daß die Anerkennung, die Reventlow in der ersten Auflage Bülows Politik in der böhmischen Krise gezollt hat: „Die seitdem verflossenen Jahre haben, das muß mit Nachdruck ausgesprochen werden, diese Politik des Fürsten Bülow gerechtfertigt" in der dritten Auflage, Seite 366 ganz anders klänge, und „in folgender gnädiger Form erteilt" werde: „Angesichts der deutsch¬ österreichischen Ruhe und Festigkeit, ja, man kann sagen, daß diesmal auch Zielbewußtsein vorhanden war . . . !" Valentin übersteht, daß Reventlow schon Seite 364 sagt: „Wie gesagt, ließ Fürst Bülow aber von vornherein keinen Zweifel über den deutschen Standpunkt und dessen Festigkeit. Dadurch wurde die Krisis zur Lösung gebracht und zwar zur friedlichen und im Sinne der Politik der Mittelmächte." Dieser Satz war weit eher in Parallele zur ersten Auflage zu stellen. Zwei Seiten lang beschäftigt sich Valentin dann damit, daß Reventlow sein Urteil über die Politik Kiderlens offenbar geändert hat. Er vergleicht aber wiederum sehr oberflächlich und spitzt die sachlichen Ände¬ rungen auf das Persönliche zu. Z. B. begründet Reventlow, dritte Auflage, Seite 391, sehr ausführlich sein verändertes Urteil über das Potsdamer Ab¬ kommen zwischen Rußland und Deutschland 1910. Valentin teilt nur einen Satz davon mit, der so herausgerissen allerdings eine persönliche Spitze gegen Kiderlen zu enthalten scheint. Valentin tadelt die Weglassung zweier Gespräche Reventlows mit Kiderlen. Ich gestehe zu, daß ich die Änderungen vom Stand¬ punkte historischer Forschung aus auch bedauere; denn der Ouellenwert, den die Gespräche in der ersten Auflage hatten, geht in der Bearbeitung der dritten, die nur das sachliche Ergebnis resümiert, verloren (auch die Mitteilungen über Kiderlens Kongozukunftspläne fehlen hier). Da Reventlow aber an anderen Stellen Gespräche mit Kiderlen unverändert wiedergibt (was Valentin nicht mitteilt), kann ein persönliches Abrücken jedenfalls nicht gefolgert werden. Vor allem hätte Valentin aber nicht verschweigen dürfen, daß Reventlow in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/382>, abgerufen am 23.07.2024.