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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Akademische Ariegsliteratur

druck einer an Nietzsche und dem Griechentum entzündeten dionysischen Künstler¬
stimmung, welch- in einem Teil der akademischen Jugend, besonders im Kreise
der Mitarbeiter ander kurzlebigen Zeitschrift: "Der Ausbruch", nach Gestaltung
und Geltung ringt. Kber die schwere und nüchterne Organisationsfrage, die
sich bei Ausführung jedes Planes ganz von selbst einstellt, gleitet Binder leichten
Herzens hinweg; es genügt ihm. als Ideal zu verkünden: "Die Freie
Akademie .... ist die oberste geistige Instanz eines Volkes, in der nur tue
im schöpferischen Ur-Zustande verharrenden, unbestechlichen und entscheidenden
Köpfe lehren. Die Lehrer der Freien Akademie sind unabhängige Denker, die
Schüler sind Jugend und zwar ausgewählte Jugend." Mit seiner Forderung,
der Hochschulbildung den alten männlichen Charakter wiederzugeben und die
Frauen davon auszuschließen und für sie besondere Frauenhochschulen zu schaffen,
kommt Binder heute, wo das Frauenstudium vollendete Tatsache ist, zu spät.
Ebensowenig greifbare Vorschläge zur Neubildung der Universität bietet Blühers
geistiger Gesinnungsgenosse Ernst IM mit seinen in dichterisch schöner, stellen¬
weise überschwenglicher. Sprache vorgetragenen Forderungen der "Wartenden
Hochschule". Bedeutungsvoll ist nur bei beiden die heiße Sehnsucht nach Be¬
freiung von jeglichem alexandrinischen Wissenschaftsbetrieb und ihr kühnes Ein¬
treten für das Hochschulideal Fichtes, das seit Felix Behrends "Freistudentischem
Jdeenkreis" (1907) mehr als früher in der akademischen Öffentlichkeit als ton¬
angebend hervortritt. In dem Wirken für eine Erneuerung von Fichtes
Gedankenwelt treten übrigens der Jugend auch Ältere zur Seite, und das
Studium dieses Philosophen wird von berufenen Kritikern wie dem Berliner
Professor Riehl und dem Rostocker Historiker Professor Reineke-Bloch den
Universitäten besonders ans Herz gelegt. Und zwar gilt die Wiederbelebung
dem in lichter Höhe idealer Gedanken weilenden Philosophen nicht wemger als
dem begeisternden Volksredner. wie ihn das ausdrucksvolle und fesselnde Bild
Arthur Kampfs in der Berliner Universitätsaula, das erst während des Welt¬
krieges beendet ward, uns lebensplastisch vor Augen führt.*)

Sehr beherzigenswerte Anregungen zu Reformen bringt der Hamburger
Rechtsanwalt Dr. Hattler. Er meint, daß die durch den Krieg verursachte
große Krisis im Hochschulwesen dazu benutzt werden solle, einen Weg zur Ver¬
kürzung des Studiums zu finden, die er im allgemeinen Volksinteresse für
unbedingt nötig hält. Seinen Vorschlag, schon an der Gymnasialzeit zu kürzen,
dürfte wahrscheinlich kein Freund unserer Jugend unterstützen, dagegen verdient
seine Forderung, durch Neugliederung des akademischen Jahres Zeit zu gewinnen,
gerade jetzt wieder Beachtung. Abweichend von andern Reformern, die Tertiale



") Eine gutgelungene Nachbildung von Arthur Kampfs "Fichte als Redner an die
deutsche Nation" (Photogravüre auf Chinapapier, Bildgröße 38X85 Zentimeter, Preis
30 Mark, Volksausgabe in bestem Schnellpressentiefdruck, Bildgröße 17X38 Zentimeter,
Preis 1 Mark) ist in Berlin-Charlottenburg 9, in der Photographischen Gesellschaft, Kunst¬
verlag erschienen.
Akademische Ariegsliteratur

druck einer an Nietzsche und dem Griechentum entzündeten dionysischen Künstler¬
stimmung, welch- in einem Teil der akademischen Jugend, besonders im Kreise
der Mitarbeiter ander kurzlebigen Zeitschrift: „Der Ausbruch", nach Gestaltung
und Geltung ringt. Kber die schwere und nüchterne Organisationsfrage, die
sich bei Ausführung jedes Planes ganz von selbst einstellt, gleitet Binder leichten
Herzens hinweg; es genügt ihm. als Ideal zu verkünden: „Die Freie
Akademie .... ist die oberste geistige Instanz eines Volkes, in der nur tue
im schöpferischen Ur-Zustande verharrenden, unbestechlichen und entscheidenden
Köpfe lehren. Die Lehrer der Freien Akademie sind unabhängige Denker, die
Schüler sind Jugend und zwar ausgewählte Jugend." Mit seiner Forderung,
der Hochschulbildung den alten männlichen Charakter wiederzugeben und die
Frauen davon auszuschließen und für sie besondere Frauenhochschulen zu schaffen,
kommt Binder heute, wo das Frauenstudium vollendete Tatsache ist, zu spät.
Ebensowenig greifbare Vorschläge zur Neubildung der Universität bietet Blühers
geistiger Gesinnungsgenosse Ernst IM mit seinen in dichterisch schöner, stellen¬
weise überschwenglicher. Sprache vorgetragenen Forderungen der „Wartenden
Hochschule". Bedeutungsvoll ist nur bei beiden die heiße Sehnsucht nach Be¬
freiung von jeglichem alexandrinischen Wissenschaftsbetrieb und ihr kühnes Ein¬
treten für das Hochschulideal Fichtes, das seit Felix Behrends „Freistudentischem
Jdeenkreis" (1907) mehr als früher in der akademischen Öffentlichkeit als ton¬
angebend hervortritt. In dem Wirken für eine Erneuerung von Fichtes
Gedankenwelt treten übrigens der Jugend auch Ältere zur Seite, und das
Studium dieses Philosophen wird von berufenen Kritikern wie dem Berliner
Professor Riehl und dem Rostocker Historiker Professor Reineke-Bloch den
Universitäten besonders ans Herz gelegt. Und zwar gilt die Wiederbelebung
dem in lichter Höhe idealer Gedanken weilenden Philosophen nicht wemger als
dem begeisternden Volksredner. wie ihn das ausdrucksvolle und fesselnde Bild
Arthur Kampfs in der Berliner Universitätsaula, das erst während des Welt¬
krieges beendet ward, uns lebensplastisch vor Augen führt.*)

Sehr beherzigenswerte Anregungen zu Reformen bringt der Hamburger
Rechtsanwalt Dr. Hattler. Er meint, daß die durch den Krieg verursachte
große Krisis im Hochschulwesen dazu benutzt werden solle, einen Weg zur Ver¬
kürzung des Studiums zu finden, die er im allgemeinen Volksinteresse für
unbedingt nötig hält. Seinen Vorschlag, schon an der Gymnasialzeit zu kürzen,
dürfte wahrscheinlich kein Freund unserer Jugend unterstützen, dagegen verdient
seine Forderung, durch Neugliederung des akademischen Jahres Zeit zu gewinnen,
gerade jetzt wieder Beachtung. Abweichend von andern Reformern, die Tertiale



") Eine gutgelungene Nachbildung von Arthur Kampfs „Fichte als Redner an die
deutsche Nation" (Photogravüre auf Chinapapier, Bildgröße 38X85 Zentimeter, Preis
30 Mark, Volksausgabe in bestem Schnellpressentiefdruck, Bildgröße 17X38 Zentimeter,
Preis 1 Mark) ist in Berlin-Charlottenburg 9, in der Photographischen Gesellschaft, Kunst¬
verlag erschienen.
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[0035] Akademische Ariegsliteratur druck einer an Nietzsche und dem Griechentum entzündeten dionysischen Künstler¬ stimmung, welch- in einem Teil der akademischen Jugend, besonders im Kreise der Mitarbeiter ander kurzlebigen Zeitschrift: „Der Ausbruch", nach Gestaltung und Geltung ringt. Kber die schwere und nüchterne Organisationsfrage, die sich bei Ausführung jedes Planes ganz von selbst einstellt, gleitet Binder leichten Herzens hinweg; es genügt ihm. als Ideal zu verkünden: „Die Freie Akademie .... ist die oberste geistige Instanz eines Volkes, in der nur tue im schöpferischen Ur-Zustande verharrenden, unbestechlichen und entscheidenden Köpfe lehren. Die Lehrer der Freien Akademie sind unabhängige Denker, die Schüler sind Jugend und zwar ausgewählte Jugend." Mit seiner Forderung, der Hochschulbildung den alten männlichen Charakter wiederzugeben und die Frauen davon auszuschließen und für sie besondere Frauenhochschulen zu schaffen, kommt Binder heute, wo das Frauenstudium vollendete Tatsache ist, zu spät. Ebensowenig greifbare Vorschläge zur Neubildung der Universität bietet Blühers geistiger Gesinnungsgenosse Ernst IM mit seinen in dichterisch schöner, stellen¬ weise überschwenglicher. Sprache vorgetragenen Forderungen der „Wartenden Hochschule". Bedeutungsvoll ist nur bei beiden die heiße Sehnsucht nach Be¬ freiung von jeglichem alexandrinischen Wissenschaftsbetrieb und ihr kühnes Ein¬ treten für das Hochschulideal Fichtes, das seit Felix Behrends „Freistudentischem Jdeenkreis" (1907) mehr als früher in der akademischen Öffentlichkeit als ton¬ angebend hervortritt. In dem Wirken für eine Erneuerung von Fichtes Gedankenwelt treten übrigens der Jugend auch Ältere zur Seite, und das Studium dieses Philosophen wird von berufenen Kritikern wie dem Berliner Professor Riehl und dem Rostocker Historiker Professor Reineke-Bloch den Universitäten besonders ans Herz gelegt. Und zwar gilt die Wiederbelebung dem in lichter Höhe idealer Gedanken weilenden Philosophen nicht wemger als dem begeisternden Volksredner. wie ihn das ausdrucksvolle und fesselnde Bild Arthur Kampfs in der Berliner Universitätsaula, das erst während des Welt¬ krieges beendet ward, uns lebensplastisch vor Augen führt.*) Sehr beherzigenswerte Anregungen zu Reformen bringt der Hamburger Rechtsanwalt Dr. Hattler. Er meint, daß die durch den Krieg verursachte große Krisis im Hochschulwesen dazu benutzt werden solle, einen Weg zur Ver¬ kürzung des Studiums zu finden, die er im allgemeinen Volksinteresse für unbedingt nötig hält. Seinen Vorschlag, schon an der Gymnasialzeit zu kürzen, dürfte wahrscheinlich kein Freund unserer Jugend unterstützen, dagegen verdient seine Forderung, durch Neugliederung des akademischen Jahres Zeit zu gewinnen, gerade jetzt wieder Beachtung. Abweichend von andern Reformern, die Tertiale ") Eine gutgelungene Nachbildung von Arthur Kampfs „Fichte als Redner an die deutsche Nation" (Photogravüre auf Chinapapier, Bildgröße 38X85 Zentimeter, Preis 30 Mark, Volksausgabe in bestem Schnellpressentiefdruck, Bildgröße 17X38 Zentimeter, Preis 1 Mark) ist in Berlin-Charlottenburg 9, in der Photographischen Gesellschaft, Kunst¬ verlag erschienen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/35>, abgerufen am 23.07.2024.