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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Selbständigkeit Galiziens und die Deutschen

Der Einfluß der polnischen Abgeordneten auf die Zentralregierung und im
Wiener Parlament ist seit den 1870er Jahren so stark und unbequem, daß
die Schönerianische Partei schon 1882 im Linzer Programm die Lostrennung
beziehungsweise Sonderstellung Galiziens und der Bukowina forderte. In
dieser allgemeinen Fassung ist diese Forderung von einem anderen Teile der
völkischen Deutschen (besonders von den Führern des Karpathendeutschtums)
auf das entschiedenste bekämpft worden, weil damit die zahlreichen Deutschen
in diesen Ländern aufgegeben worden wären und die Interessen des Gesamt¬
staates nicht gewahrt würden. In den letzten Jahren hat sich die österreichisch¬
deutsche Anschauung dahin geeinigt, daß Polnisch-Galizien und die etwa da¬
zukommenden Teile Polens nach einem Übergangsstadium unter militärischer
Verwaltung eine Sonderstellung erhalten, die den Polen ihr nationales Aus¬
leben ermöglicht, die Interessen der Gesamtmonarchie und der Deutschen.aber
schützt. Daher haben die österreichischen Deutschen das Handschreiben vom
ö. November einerseits mit Genugtuung begrüßt, andererseits aber sofort mit
Beratungen begonnen, die den Schutz der Deutschen in Galizien bezwecken.
Am 19. und 20. November haben die Vertreter der Karpathendeutschen in Wien
getagt und die deutschen Reichsratsparteien zu kraftvollem Eintreten für die
Wahrung der deutschen Rechte in Galizien aufgerufen.

Da die Gestaltung der Verhältnisse in Galizien vielfach von dem Ver¬
hältnis der Polen zu den Nuthenen beeinflußt werden, so müssen wir auch
diesen unser Augenmerk schenken. Darüber ist in dieser Zeitschrift schon in
Ur. 39 d. I. gehandelt worden. Hier sei nur kurz bemerkt, daß eine Fort¬
dauer der Spannung zwischen beiden Völkern unbedingt für die russische Wühl¬
arbeit den besten Boden bildet. Die bereits verlautbarten Proteste der Nuthenen
gegen die nach polnischen Wünschen geplante Sonderstellung Galiziens be¬
deuten leider eine Verschärfung des schädlichen Widerstreites. Von deutscher
Seite hat man daher den Wunsch der Nuthenen, den östlichen Teil Galiziens
zu einer besonderen österreichischen Provinz zu gestalten, mit Recht gefördert.
Freilich bietet auch diese Teilung manche Schwierigkeiten, wie schon in dem
oben angeführten Artikel der "Grenzboten" ausführlicher dargelegt worden ist.
Daher wurde für diese Gebiete zunächst Militärverwaltung gefordert, unter der
der Übergang zur neuen Ordnung der Dinge möglich geworden wäre.

Wie man sieht, sind die Verhältnisse Galiziens zumindestens ebenso
schwierig wie jene in Polen. In beiden Gebieten stehen für die Deutschen
wichtige Interessen auf dem Spiele. Ein Mißlingen der Neuorganisation kann
unendlichen Schaden zur Folge haben, da Nußland jede Gelegenheit benutzen
wird, seine Wühlarbeit fortzusetzen.




Die Selbständigkeit Galiziens und die Deutschen

Der Einfluß der polnischen Abgeordneten auf die Zentralregierung und im
Wiener Parlament ist seit den 1870er Jahren so stark und unbequem, daß
die Schönerianische Partei schon 1882 im Linzer Programm die Lostrennung
beziehungsweise Sonderstellung Galiziens und der Bukowina forderte. In
dieser allgemeinen Fassung ist diese Forderung von einem anderen Teile der
völkischen Deutschen (besonders von den Führern des Karpathendeutschtums)
auf das entschiedenste bekämpft worden, weil damit die zahlreichen Deutschen
in diesen Ländern aufgegeben worden wären und die Interessen des Gesamt¬
staates nicht gewahrt würden. In den letzten Jahren hat sich die österreichisch¬
deutsche Anschauung dahin geeinigt, daß Polnisch-Galizien und die etwa da¬
zukommenden Teile Polens nach einem Übergangsstadium unter militärischer
Verwaltung eine Sonderstellung erhalten, die den Polen ihr nationales Aus¬
leben ermöglicht, die Interessen der Gesamtmonarchie und der Deutschen.aber
schützt. Daher haben die österreichischen Deutschen das Handschreiben vom
ö. November einerseits mit Genugtuung begrüßt, andererseits aber sofort mit
Beratungen begonnen, die den Schutz der Deutschen in Galizien bezwecken.
Am 19. und 20. November haben die Vertreter der Karpathendeutschen in Wien
getagt und die deutschen Reichsratsparteien zu kraftvollem Eintreten für die
Wahrung der deutschen Rechte in Galizien aufgerufen.

Da die Gestaltung der Verhältnisse in Galizien vielfach von dem Ver¬
hältnis der Polen zu den Nuthenen beeinflußt werden, so müssen wir auch
diesen unser Augenmerk schenken. Darüber ist in dieser Zeitschrift schon in
Ur. 39 d. I. gehandelt worden. Hier sei nur kurz bemerkt, daß eine Fort¬
dauer der Spannung zwischen beiden Völkern unbedingt für die russische Wühl¬
arbeit den besten Boden bildet. Die bereits verlautbarten Proteste der Nuthenen
gegen die nach polnischen Wünschen geplante Sonderstellung Galiziens be¬
deuten leider eine Verschärfung des schädlichen Widerstreites. Von deutscher
Seite hat man daher den Wunsch der Nuthenen, den östlichen Teil Galiziens
zu einer besonderen österreichischen Provinz zu gestalten, mit Recht gefördert.
Freilich bietet auch diese Teilung manche Schwierigkeiten, wie schon in dem
oben angeführten Artikel der „Grenzboten" ausführlicher dargelegt worden ist.
Daher wurde für diese Gebiete zunächst Militärverwaltung gefordert, unter der
der Übergang zur neuen Ordnung der Dinge möglich geworden wäre.

Wie man sieht, sind die Verhältnisse Galiziens zumindestens ebenso
schwierig wie jene in Polen. In beiden Gebieten stehen für die Deutschen
wichtige Interessen auf dem Spiele. Ein Mißlingen der Neuorganisation kann
unendlichen Schaden zur Folge haben, da Nußland jede Gelegenheit benutzen
wird, seine Wühlarbeit fortzusetzen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/339>, abgerufen am 23.07.2024.