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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die deutschen Eimvanderungen in Siebenbürgen

Im übrigen besaßen die Kolonisten das Recht freier Beamtenwahl, selbständiger
Verwaltung und eigene Gerichtsbarkeit. In Gauversammlungen berieten die
Vertreter des Gesamtgaues über die Angelegenheiten desselben. Ähnlich war
es auch bei den Untergauen oder "Stühlen". Unter freiem Himmel wurde
nach altem deutschen Gewohnheitsrecht Gericht gehalten und Recht gesprochen.

Auch in kirchlicher Hinsicht waren die Sachsen selbständig. Sie wählten
(so wie es noch heute der Fall ist) ihre Pfarrer selbst und zahlten den Zehnten
an sie, nicht an den Bischof, wie das sonst in Ungarn seit Stephan dem Heiligen
Vorschrift war. Die Versuche des Bischofs von Weißenburg (das heutige
Karlsburg in Siebenbürgen) sie seiner Diözese einzuverleiben, hatten schon BSla
den Dritten zur Gründung der Hermannstädter Propstei veranlaßt (1191). Ihr
gehörten die Kapitel von Leschkisch und Schenk an. Diese sowie das Burzen-
land (Umgebung von Kronstäbe) unterstanden demErzbischof von Gran, während
die übrigen Kapitel dem Bischof von Weißenburg untergeordnet blieben. Doch
lag die ordentliche Kirchenregierung in den Händen der Geistlichen und der
von ihnen frei gewählten Dechanten, die bischöfliche Rechte besaßen.

Außer dem bisher Angeführten verlieh das Andreanum den Sachsen
Handels-, Zoll- und Marktfreiheit und befreite sie von den Schädigungen durch
die königlichen Münzwechsler.

Endlich erhielten die Ansiedler das ausschließliche Bürgerrecht auf dem
Königsboten, wodurch sie in den Stand gesetzt wurden, Fremdnationale aus
ihrer Mitte fernzuhalten. Untereinander besaßen sie volle Rechtsgleichheit.

Alle diese Rechte haben die Sachsen mit äußerster Zähigkeit allen Angriffen
gegenüber verteidigt. Sie sind bis heute das Vorbild einer wahrhaft demo¬
kratischen Organisation geblieben. -- Wo die Gefahr bestand, daß durch wirt¬
schaftlich überlegene Kräfte in ihrer Mitte soziale Abhängigkeit der Dorfbewohner
sich einstellen könnte, da wehrten sie sich mit aller Gewalt dagegen. Schon im
Andreanum werden die "nach der Weise der Adligen lebenden" Sachsen ge¬
nannt. Diese Feudalen haben zwar Bedeutsames für die Ausbreitung des
Deutschtums in Siebenbürgen geleistet, aber sie gefährdeten andererseits die
Freiheit der Kolonien. Darum war es berechtigt, wenn man mit allen Mitteln
gegen jeden Feudalismus ankämpfte und alle Versuche von Übergriffen ge¬
gebenenfalls mit Gewalt unterdrückte.

Die Pflichten, die den Sachsen durch das Andreanum auferlegt wurden,
waren im Vergleich zu den Rechten sehr gering. Sie mußten 500 Mark Silbers
(---1854 Silbergulden) an jährlichen Abgaben entrichten; außerdem waren sie
verpflichtet im Kriegsfalle innerhalb des Reiches fünfhundert Mann, außerhalb
desselben hundert, oder falls nicht der König das Heer befehligte, fünfzig Mann
für das Heer zu stellen. In gewissen Fällen mußten sie endlich den König oder
seinen Stellvertreter, den Woiwoden von Siebenbürgen, bewirten.

Das Andreanum ist von den späteren ungarischen Königen immer aufs
neue bestätigt worden. Galt es auch anfangs nur der "Hermannstädter Pro-


Die deutschen Eimvanderungen in Siebenbürgen

Im übrigen besaßen die Kolonisten das Recht freier Beamtenwahl, selbständiger
Verwaltung und eigene Gerichtsbarkeit. In Gauversammlungen berieten die
Vertreter des Gesamtgaues über die Angelegenheiten desselben. Ähnlich war
es auch bei den Untergauen oder „Stühlen". Unter freiem Himmel wurde
nach altem deutschen Gewohnheitsrecht Gericht gehalten und Recht gesprochen.

Auch in kirchlicher Hinsicht waren die Sachsen selbständig. Sie wählten
(so wie es noch heute der Fall ist) ihre Pfarrer selbst und zahlten den Zehnten
an sie, nicht an den Bischof, wie das sonst in Ungarn seit Stephan dem Heiligen
Vorschrift war. Die Versuche des Bischofs von Weißenburg (das heutige
Karlsburg in Siebenbürgen) sie seiner Diözese einzuverleiben, hatten schon BSla
den Dritten zur Gründung der Hermannstädter Propstei veranlaßt (1191). Ihr
gehörten die Kapitel von Leschkisch und Schenk an. Diese sowie das Burzen-
land (Umgebung von Kronstäbe) unterstanden demErzbischof von Gran, während
die übrigen Kapitel dem Bischof von Weißenburg untergeordnet blieben. Doch
lag die ordentliche Kirchenregierung in den Händen der Geistlichen und der
von ihnen frei gewählten Dechanten, die bischöfliche Rechte besaßen.

Außer dem bisher Angeführten verlieh das Andreanum den Sachsen
Handels-, Zoll- und Marktfreiheit und befreite sie von den Schädigungen durch
die königlichen Münzwechsler.

Endlich erhielten die Ansiedler das ausschließliche Bürgerrecht auf dem
Königsboten, wodurch sie in den Stand gesetzt wurden, Fremdnationale aus
ihrer Mitte fernzuhalten. Untereinander besaßen sie volle Rechtsgleichheit.

Alle diese Rechte haben die Sachsen mit äußerster Zähigkeit allen Angriffen
gegenüber verteidigt. Sie sind bis heute das Vorbild einer wahrhaft demo¬
kratischen Organisation geblieben. — Wo die Gefahr bestand, daß durch wirt¬
schaftlich überlegene Kräfte in ihrer Mitte soziale Abhängigkeit der Dorfbewohner
sich einstellen könnte, da wehrten sie sich mit aller Gewalt dagegen. Schon im
Andreanum werden die „nach der Weise der Adligen lebenden" Sachsen ge¬
nannt. Diese Feudalen haben zwar Bedeutsames für die Ausbreitung des
Deutschtums in Siebenbürgen geleistet, aber sie gefährdeten andererseits die
Freiheit der Kolonien. Darum war es berechtigt, wenn man mit allen Mitteln
gegen jeden Feudalismus ankämpfte und alle Versuche von Übergriffen ge¬
gebenenfalls mit Gewalt unterdrückte.

Die Pflichten, die den Sachsen durch das Andreanum auferlegt wurden,
waren im Vergleich zu den Rechten sehr gering. Sie mußten 500 Mark Silbers
(---1854 Silbergulden) an jährlichen Abgaben entrichten; außerdem waren sie
verpflichtet im Kriegsfalle innerhalb des Reiches fünfhundert Mann, außerhalb
desselben hundert, oder falls nicht der König das Heer befehligte, fünfzig Mann
für das Heer zu stellen. In gewissen Fällen mußten sie endlich den König oder
seinen Stellvertreter, den Woiwoden von Siebenbürgen, bewirten.

Das Andreanum ist von den späteren ungarischen Königen immer aufs
neue bestätigt worden. Galt es auch anfangs nur der „Hermannstädter Pro-


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[0318] Die deutschen Eimvanderungen in Siebenbürgen Im übrigen besaßen die Kolonisten das Recht freier Beamtenwahl, selbständiger Verwaltung und eigene Gerichtsbarkeit. In Gauversammlungen berieten die Vertreter des Gesamtgaues über die Angelegenheiten desselben. Ähnlich war es auch bei den Untergauen oder „Stühlen". Unter freiem Himmel wurde nach altem deutschen Gewohnheitsrecht Gericht gehalten und Recht gesprochen. Auch in kirchlicher Hinsicht waren die Sachsen selbständig. Sie wählten (so wie es noch heute der Fall ist) ihre Pfarrer selbst und zahlten den Zehnten an sie, nicht an den Bischof, wie das sonst in Ungarn seit Stephan dem Heiligen Vorschrift war. Die Versuche des Bischofs von Weißenburg (das heutige Karlsburg in Siebenbürgen) sie seiner Diözese einzuverleiben, hatten schon BSla den Dritten zur Gründung der Hermannstädter Propstei veranlaßt (1191). Ihr gehörten die Kapitel von Leschkisch und Schenk an. Diese sowie das Burzen- land (Umgebung von Kronstäbe) unterstanden demErzbischof von Gran, während die übrigen Kapitel dem Bischof von Weißenburg untergeordnet blieben. Doch lag die ordentliche Kirchenregierung in den Händen der Geistlichen und der von ihnen frei gewählten Dechanten, die bischöfliche Rechte besaßen. Außer dem bisher Angeführten verlieh das Andreanum den Sachsen Handels-, Zoll- und Marktfreiheit und befreite sie von den Schädigungen durch die königlichen Münzwechsler. Endlich erhielten die Ansiedler das ausschließliche Bürgerrecht auf dem Königsboten, wodurch sie in den Stand gesetzt wurden, Fremdnationale aus ihrer Mitte fernzuhalten. Untereinander besaßen sie volle Rechtsgleichheit. Alle diese Rechte haben die Sachsen mit äußerster Zähigkeit allen Angriffen gegenüber verteidigt. Sie sind bis heute das Vorbild einer wahrhaft demo¬ kratischen Organisation geblieben. — Wo die Gefahr bestand, daß durch wirt¬ schaftlich überlegene Kräfte in ihrer Mitte soziale Abhängigkeit der Dorfbewohner sich einstellen könnte, da wehrten sie sich mit aller Gewalt dagegen. Schon im Andreanum werden die „nach der Weise der Adligen lebenden" Sachsen ge¬ nannt. Diese Feudalen haben zwar Bedeutsames für die Ausbreitung des Deutschtums in Siebenbürgen geleistet, aber sie gefährdeten andererseits die Freiheit der Kolonien. Darum war es berechtigt, wenn man mit allen Mitteln gegen jeden Feudalismus ankämpfte und alle Versuche von Übergriffen ge¬ gebenenfalls mit Gewalt unterdrückte. Die Pflichten, die den Sachsen durch das Andreanum auferlegt wurden, waren im Vergleich zu den Rechten sehr gering. Sie mußten 500 Mark Silbers (---1854 Silbergulden) an jährlichen Abgaben entrichten; außerdem waren sie verpflichtet im Kriegsfalle innerhalb des Reiches fünfhundert Mann, außerhalb desselben hundert, oder falls nicht der König das Heer befehligte, fünfzig Mann für das Heer zu stellen. In gewissen Fällen mußten sie endlich den König oder seinen Stellvertreter, den Woiwoden von Siebenbürgen, bewirten. Das Andreanum ist von den späteren ungarischen Königen immer aufs neue bestätigt worden. Galt es auch anfangs nur der „Hermannstädter Pro-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/318>, abgerufen am 26.06.2024.