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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die deutschen Einwanderungen in Siebenbürgen

kriegstüchtiges, auch in Gewerbe und Handel nicht ganz zurückgebliebens Volk.
Den Höhepunkt ihrer Macht hatten sie unter Decebalus erreicht. Doch wurde
dieser von dem römischen Kaiser Trajan in zwei Feldzügen besiegt. Decebalus
nahm sich das Leben und ganz Dacier wurde 106 n. Chr. römische Provinz.
Ulpia Trajana wurde die Hauptstadt derselben. Heute noch finden sich Trümmer
dieser Stadt, die mit ihren Überresten von Tempeln und Zirkussen und Wasser-
leitungsanlagen, ihren Bildwerken und Inschriften einen Eindruck geben von der
römischen Kultur, die auch hier Boden gefaßt hatte. -- Dem Andrängen der
benachbarten Barbaren konnte das römische Volk freilich nicht standhalten. Im
Jahre 274 (n. Chr.) räumte Aurelian das Land und siedelte die Truppen und
Provinzialen in Moslem am rechten Donauufer an. Die etwaigen Reste römi¬
scher Bevölkerung wurden durch die Wirren der Völkerwanderung vernichtet.
Goten, Gepiden, Longobarden und Avaren (letztere durch zweihundert Jahre
hin) wechselten sich in der Herrschaft ab, bis schließlich gegen Ende des neunten
Jahrhunderts die wilden Petschenegen den maßgebenden Einfluß gewannen.

Vielleicht schon um diese Zeit siedelten sich die Szekler, ein magyarischer
Volksstamm, im Osten des Landes an, während im Westen die Magyaren erst
im elften Jahrhundert auftauchten. Diese hatten ihre ursprüngliche Heimat im
Altatgebiet verlassen und sich in "Atelkuzu" (zwischen Dniepr und Sereth)
niedergelassen. Als aber 895 die Petschenegen Atelkuzu verwüsteten, da ver¬
ließen die Magyaren das Land, um sich in der ungarischen Tiefebene nieder¬
zulassen. Die zahlreichen Raubzüge, die sie von hier aus in den nächsten
Jahrzehnten unternahmen, sind aus der Weltgeschichte allgemein bekannt.
Nachdem aber die Magyaren 933 bei Merseburg und 955 auf dem Landseite
bei Augsburg entscheidende Niederlagen erlitten hatten, mußten sie, um sich
allmählich zu erholen, des Friedens pflegen. Unter Geysa und Stephan dem
Heiligen konsolidierte sich ihr Staatswesen. Das Christentum wurde eingeführt,
deutsche Einwanderer wurden ins Land gerufen, Bistümer und Kirchen wurden
gegründet. 1021 besiegte Stephan die durch Siebenbürgen nach Ungarn ein¬
brechenden Petschenegen. Jedoch erst gegen Ende des elften Jahrhunderts
wurde Siebenbürgen zu einem mehr oder weniger gesicherten Besitztum des
ungarischen Reiches, besonders nachdem Ladislaus der Erste (der "Heilige")
die Kumanen in zwei Feldzügen (1034 und 1089) besiegt und das Bistum
von Weißenburg am Mieresch errichtet hatte. Seit der zweiten Hälfte des
zwölften Jahrhunderts finden wir in Siebenbürgen auch die Einteilung in
Komitate, an deren Spitze Obergespane standen. Über die Komitatsobergespane
war der Woiwode gesetzt, der das Land im Namen des Königs verwaltete.
Jedenfalls wurden auch mehr und mehr Magyaren in Siebenbürgen an¬
gesiedelt. Doch waren diese ungarischen Siedelungen hauptsächlich auf die
Gebiete des Szamoschflusses beschränkt. Im Osten und Süden bildete der
Mieresch (magyar.: Maros) ihre Grenze. Weiter südlich war das Land nach
einer Äußerung des päpstlichen Gesandten Gregorius ein cieizerwm, d. h. eine


Die deutschen Einwanderungen in Siebenbürgen

kriegstüchtiges, auch in Gewerbe und Handel nicht ganz zurückgebliebens Volk.
Den Höhepunkt ihrer Macht hatten sie unter Decebalus erreicht. Doch wurde
dieser von dem römischen Kaiser Trajan in zwei Feldzügen besiegt. Decebalus
nahm sich das Leben und ganz Dacier wurde 106 n. Chr. römische Provinz.
Ulpia Trajana wurde die Hauptstadt derselben. Heute noch finden sich Trümmer
dieser Stadt, die mit ihren Überresten von Tempeln und Zirkussen und Wasser-
leitungsanlagen, ihren Bildwerken und Inschriften einen Eindruck geben von der
römischen Kultur, die auch hier Boden gefaßt hatte. — Dem Andrängen der
benachbarten Barbaren konnte das römische Volk freilich nicht standhalten. Im
Jahre 274 (n. Chr.) räumte Aurelian das Land und siedelte die Truppen und
Provinzialen in Moslem am rechten Donauufer an. Die etwaigen Reste römi¬
scher Bevölkerung wurden durch die Wirren der Völkerwanderung vernichtet.
Goten, Gepiden, Longobarden und Avaren (letztere durch zweihundert Jahre
hin) wechselten sich in der Herrschaft ab, bis schließlich gegen Ende des neunten
Jahrhunderts die wilden Petschenegen den maßgebenden Einfluß gewannen.

Vielleicht schon um diese Zeit siedelten sich die Szekler, ein magyarischer
Volksstamm, im Osten des Landes an, während im Westen die Magyaren erst
im elften Jahrhundert auftauchten. Diese hatten ihre ursprüngliche Heimat im
Altatgebiet verlassen und sich in „Atelkuzu" (zwischen Dniepr und Sereth)
niedergelassen. Als aber 895 die Petschenegen Atelkuzu verwüsteten, da ver¬
ließen die Magyaren das Land, um sich in der ungarischen Tiefebene nieder¬
zulassen. Die zahlreichen Raubzüge, die sie von hier aus in den nächsten
Jahrzehnten unternahmen, sind aus der Weltgeschichte allgemein bekannt.
Nachdem aber die Magyaren 933 bei Merseburg und 955 auf dem Landseite
bei Augsburg entscheidende Niederlagen erlitten hatten, mußten sie, um sich
allmählich zu erholen, des Friedens pflegen. Unter Geysa und Stephan dem
Heiligen konsolidierte sich ihr Staatswesen. Das Christentum wurde eingeführt,
deutsche Einwanderer wurden ins Land gerufen, Bistümer und Kirchen wurden
gegründet. 1021 besiegte Stephan die durch Siebenbürgen nach Ungarn ein¬
brechenden Petschenegen. Jedoch erst gegen Ende des elften Jahrhunderts
wurde Siebenbürgen zu einem mehr oder weniger gesicherten Besitztum des
ungarischen Reiches, besonders nachdem Ladislaus der Erste (der „Heilige")
die Kumanen in zwei Feldzügen (1034 und 1089) besiegt und das Bistum
von Weißenburg am Mieresch errichtet hatte. Seit der zweiten Hälfte des
zwölften Jahrhunderts finden wir in Siebenbürgen auch die Einteilung in
Komitate, an deren Spitze Obergespane standen. Über die Komitatsobergespane
war der Woiwode gesetzt, der das Land im Namen des Königs verwaltete.
Jedenfalls wurden auch mehr und mehr Magyaren in Siebenbürgen an¬
gesiedelt. Doch waren diese ungarischen Siedelungen hauptsächlich auf die
Gebiete des Szamoschflusses beschränkt. Im Osten und Süden bildete der
Mieresch (magyar.: Maros) ihre Grenze. Weiter südlich war das Land nach
einer Äußerung des päpstlichen Gesandten Gregorius ein cieizerwm, d. h. eine


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[0286] Die deutschen Einwanderungen in Siebenbürgen kriegstüchtiges, auch in Gewerbe und Handel nicht ganz zurückgebliebens Volk. Den Höhepunkt ihrer Macht hatten sie unter Decebalus erreicht. Doch wurde dieser von dem römischen Kaiser Trajan in zwei Feldzügen besiegt. Decebalus nahm sich das Leben und ganz Dacier wurde 106 n. Chr. römische Provinz. Ulpia Trajana wurde die Hauptstadt derselben. Heute noch finden sich Trümmer dieser Stadt, die mit ihren Überresten von Tempeln und Zirkussen und Wasser- leitungsanlagen, ihren Bildwerken und Inschriften einen Eindruck geben von der römischen Kultur, die auch hier Boden gefaßt hatte. — Dem Andrängen der benachbarten Barbaren konnte das römische Volk freilich nicht standhalten. Im Jahre 274 (n. Chr.) räumte Aurelian das Land und siedelte die Truppen und Provinzialen in Moslem am rechten Donauufer an. Die etwaigen Reste römi¬ scher Bevölkerung wurden durch die Wirren der Völkerwanderung vernichtet. Goten, Gepiden, Longobarden und Avaren (letztere durch zweihundert Jahre hin) wechselten sich in der Herrschaft ab, bis schließlich gegen Ende des neunten Jahrhunderts die wilden Petschenegen den maßgebenden Einfluß gewannen. Vielleicht schon um diese Zeit siedelten sich die Szekler, ein magyarischer Volksstamm, im Osten des Landes an, während im Westen die Magyaren erst im elften Jahrhundert auftauchten. Diese hatten ihre ursprüngliche Heimat im Altatgebiet verlassen und sich in „Atelkuzu" (zwischen Dniepr und Sereth) niedergelassen. Als aber 895 die Petschenegen Atelkuzu verwüsteten, da ver¬ ließen die Magyaren das Land, um sich in der ungarischen Tiefebene nieder¬ zulassen. Die zahlreichen Raubzüge, die sie von hier aus in den nächsten Jahrzehnten unternahmen, sind aus der Weltgeschichte allgemein bekannt. Nachdem aber die Magyaren 933 bei Merseburg und 955 auf dem Landseite bei Augsburg entscheidende Niederlagen erlitten hatten, mußten sie, um sich allmählich zu erholen, des Friedens pflegen. Unter Geysa und Stephan dem Heiligen konsolidierte sich ihr Staatswesen. Das Christentum wurde eingeführt, deutsche Einwanderer wurden ins Land gerufen, Bistümer und Kirchen wurden gegründet. 1021 besiegte Stephan die durch Siebenbürgen nach Ungarn ein¬ brechenden Petschenegen. Jedoch erst gegen Ende des elften Jahrhunderts wurde Siebenbürgen zu einem mehr oder weniger gesicherten Besitztum des ungarischen Reiches, besonders nachdem Ladislaus der Erste (der „Heilige") die Kumanen in zwei Feldzügen (1034 und 1089) besiegt und das Bistum von Weißenburg am Mieresch errichtet hatte. Seit der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts finden wir in Siebenbürgen auch die Einteilung in Komitate, an deren Spitze Obergespane standen. Über die Komitatsobergespane war der Woiwode gesetzt, der das Land im Namen des Königs verwaltete. Jedenfalls wurden auch mehr und mehr Magyaren in Siebenbürgen an¬ gesiedelt. Doch waren diese ungarischen Siedelungen hauptsächlich auf die Gebiete des Szamoschflusses beschränkt. Im Osten und Süden bildete der Mieresch (magyar.: Maros) ihre Grenze. Weiter südlich war das Land nach einer Äußerung des päpstlichen Gesandten Gregorius ein cieizerwm, d. h. eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/286>, abgerufen am 23.07.2024.