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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Brüsseler Theaterspiel während des Rrieges

ausgibig bemalten überschlanken Damen, die im dürftigen Staat einer Zirkus¬
direktorin auf Redaktionsbesuch mit linkischem Lächeln vergeblich Aristokratinnen
vorzutäuschen suchen und hübscher Bonvivants, die von spekulierenden Regisseuren
nur allzu absichtlich in den Vordergrund geschoben werden, wird niemand
behaupten können, vor Offenbarungen der Schauspielkunst zu sitzen. Den
Deutschen stören überdies die beständige Zwischenaktmusik, die verhältnismäßig
langen Pausen und die Rauchfreiheit im Parkett.

Dos Repertoire ist durchaus französisch und es ist bezeichnend, daß selbst
belgische Autoren den Schauplatz ihrer Stücke durchweg nach Paris oder Frank¬
reich verlegen. Im TlMtre Moliöre, das den hübschesten Theaterraum Brüssels
hat, mit vielen, aber vortrefflich und intim disponierten Plätzen, gibt es für
die beste bürgerliche Gesellschaft altmodische Reißer wie den "Hüttenbesitzer", die
"Kameliendame", ,,^in)8 bon8 vlIlAKe(ii8" von Sardon, dessen zweiter Aktschluß
mit dem Umzug einer kleinstädtischen Bürgergarde das durch den Anblick frau>
zösischer Uniformen in kindische Freude versetzte Publikum zu ostentativen Beifalls¬
stürmen hinreißt, dazwischen mal einen routiniert gemachten Blender von Kiste-
maekers. In der "Olympia" und im "Winter-Palace" gibt es mal die Pariser
Thesenstücke von Bernstein oder Lavedan, mal die Lustspiele der Caillavet und
Genossen, man läßt sich hier als behaglicher Bürger gerne von dem weltge¬
wandter Causeur belehren, belacht eifrig und ein wenig ostentativ die in Paris
üblich gewordenen Bonmots über den lieben Gott und spendet mäßig aber
voll dankbarer Anhänglichkeit Beifall. Warmer wird man in der Gans, wo
die um das aus Pariser Stücken hinlänglich bekannte zweischläfrige Bett auf¬
gebauten Schränke Hennequins durch eine von Geist, Grazie und echter Komik
völlig verlassene Darstellung vollends unmöglich gemacht werden.

Künstlerisch Wertvolles wird nur in einem Theater geleistet, einer Neu¬
gründung, die den für Deutsche irreführender Namen "La Bonbonniöre" trägt.
Ein kleiner, nach unsern Begriffen reichlich dürftiger Salat mit einem Parkett
von höchstens vierzehn Sitzen Breite, in gleicher Höhe an den Seiten ein paar
Logen ohne erhöhte Wände, im Hintergrunde ein kleiner Balkon, im ganzen
höchstens 200 Plätze und eine Bühne, auf der die Bewegungsfreiheit der Schau¬
spieler um ein paar Möbel herum zu einem ernsthaften Problem wird. Aber
mit unleugbaren Geschick hat man aus der Not eine Tugend zu machen ge¬
wußt und hier, mitten im Kriege mit ruhiger Sachlichkeit ein Ideal erreicht,
dessen Verwirklichung in Deutschland trotz aller Sehnsucht aufrichtiger Theater¬
freunde und aller Prätention von feiten der Direktoren noch immer nicht,
wenigstens nicht dauernd geglückt ist: das intime Theater. Allabendlich finden
sich hier zwei ausgezeichnete, mehrere gute und durchweg ernsthaft bestrebte
Schauspieler zusammen, um vor oder nach einem trefflich einstudierten schwank¬
haften Einakter, der das größere Publikum einfangen muß, jene hübschen Nichtig¬
keiten zu spielen, in denen mit erfreulichem Bühnengeschick eine schalkhafte aber
richtige Beobachtung, eine unnachahmlich graziöse Strecke Dialog, eine leichte


Brüsseler Theaterspiel während des Rrieges

ausgibig bemalten überschlanken Damen, die im dürftigen Staat einer Zirkus¬
direktorin auf Redaktionsbesuch mit linkischem Lächeln vergeblich Aristokratinnen
vorzutäuschen suchen und hübscher Bonvivants, die von spekulierenden Regisseuren
nur allzu absichtlich in den Vordergrund geschoben werden, wird niemand
behaupten können, vor Offenbarungen der Schauspielkunst zu sitzen. Den
Deutschen stören überdies die beständige Zwischenaktmusik, die verhältnismäßig
langen Pausen und die Rauchfreiheit im Parkett.

Dos Repertoire ist durchaus französisch und es ist bezeichnend, daß selbst
belgische Autoren den Schauplatz ihrer Stücke durchweg nach Paris oder Frank¬
reich verlegen. Im TlMtre Moliöre, das den hübschesten Theaterraum Brüssels
hat, mit vielen, aber vortrefflich und intim disponierten Plätzen, gibt es für
die beste bürgerliche Gesellschaft altmodische Reißer wie den „Hüttenbesitzer", die
„Kameliendame", ,,^in)8 bon8 vlIlAKe(ii8" von Sardon, dessen zweiter Aktschluß
mit dem Umzug einer kleinstädtischen Bürgergarde das durch den Anblick frau>
zösischer Uniformen in kindische Freude versetzte Publikum zu ostentativen Beifalls¬
stürmen hinreißt, dazwischen mal einen routiniert gemachten Blender von Kiste-
maekers. In der „Olympia" und im „Winter-Palace" gibt es mal die Pariser
Thesenstücke von Bernstein oder Lavedan, mal die Lustspiele der Caillavet und
Genossen, man läßt sich hier als behaglicher Bürger gerne von dem weltge¬
wandter Causeur belehren, belacht eifrig und ein wenig ostentativ die in Paris
üblich gewordenen Bonmots über den lieben Gott und spendet mäßig aber
voll dankbarer Anhänglichkeit Beifall. Warmer wird man in der Gans, wo
die um das aus Pariser Stücken hinlänglich bekannte zweischläfrige Bett auf¬
gebauten Schränke Hennequins durch eine von Geist, Grazie und echter Komik
völlig verlassene Darstellung vollends unmöglich gemacht werden.

Künstlerisch Wertvolles wird nur in einem Theater geleistet, einer Neu¬
gründung, die den für Deutsche irreführender Namen „La Bonbonniöre" trägt.
Ein kleiner, nach unsern Begriffen reichlich dürftiger Salat mit einem Parkett
von höchstens vierzehn Sitzen Breite, in gleicher Höhe an den Seiten ein paar
Logen ohne erhöhte Wände, im Hintergrunde ein kleiner Balkon, im ganzen
höchstens 200 Plätze und eine Bühne, auf der die Bewegungsfreiheit der Schau¬
spieler um ein paar Möbel herum zu einem ernsthaften Problem wird. Aber
mit unleugbaren Geschick hat man aus der Not eine Tugend zu machen ge¬
wußt und hier, mitten im Kriege mit ruhiger Sachlichkeit ein Ideal erreicht,
dessen Verwirklichung in Deutschland trotz aller Sehnsucht aufrichtiger Theater¬
freunde und aller Prätention von feiten der Direktoren noch immer nicht,
wenigstens nicht dauernd geglückt ist: das intime Theater. Allabendlich finden
sich hier zwei ausgezeichnete, mehrere gute und durchweg ernsthaft bestrebte
Schauspieler zusammen, um vor oder nach einem trefflich einstudierten schwank¬
haften Einakter, der das größere Publikum einfangen muß, jene hübschen Nichtig¬
keiten zu spielen, in denen mit erfreulichem Bühnengeschick eine schalkhafte aber
richtige Beobachtung, eine unnachahmlich graziöse Strecke Dialog, eine leichte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/26>, abgerufen am 23.07.2024.