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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Das polnische Problem

den rollenden Rubel. Die russische Regierung aber, die seit jeher die ukrainische
Bewegung in Rußland mit den schärfsten Repressalien unterdrückt hatte, weil
sie die Einheitlichkeit des russischen Stammes und damit die Vorherrschaft des
Großrussentums bedroht sah, war jetzt nach den Erfahrungen der Autonomie¬
bestrebungen der Nationalitäten und dem starken ukrainischen Klub der ersten
und zweiten Duma um so mehr darauf bedacht, eine solche Bewegung auch
jenseits der Grenzen zu bekämpfen. Diese ukrainische Bewegung war also das
einigende Band, das sich um die Allpolen und die russische Regierung schlang.
Kurz vor der Petersburger Tagung war gerade der Statthalter von Galizien,
Graf Potocki, der in Verkennung der Existenzinteressen des Staates, dem er
diente, die russophile Bewegung und ihre Anhänger förderte, dem Attentate
eines ukrainischen Studenten zum Opfer gefallen. Zu dem alten Gegensatze
zwischen Rußland und Österreich-Ungarn in der orientalischen Frage trat also
jetzt in aller Schärfe ein zweiter, der Gegensatz in der ukrainischen Frage. So
sehr die russische Regierung ein Interesse haben mochte, auch jenseits ihrer
Grenzen ein kulturelles Emporwachsen des ukrainischen Volkes zu verhindern,
so sehr lag es andererseits im Interesse Österreichs, die geistige und wirtschaft¬
liche Entwicklung der kaiser- und staatstreuen Ukrainer zu fördern. skrupellos
in ihren Mitteln feit jeher, hat die russische Regierung sich nicht gescheut, ihre
Abwehrmaßnahmen gegen die ukrainische Bewegung selbst auf österreichisches
Staatsgebiet zu übertragen. Mit russischem Geld und gefördert von den im
Polenklub allmächtigen allpolnischen und podolischen Gruppen hat die russophile
Bewegung nun in Galizien mit verdoppelter Kraft eingesetzt und vor allem
durch weit ausgebreitete Spionage den Boden für einen militärischen Zusammen¬
stoß für Nußland vorbereitet."




So fehr Rußland und russisches Wesen das polnische Denken in seinen
Bann gezogen haben mag, gab es und gibt es genug polnische Patrioten, die
dieser Entwicklung mit Mißbehagen und tiefster Abneigung entgegenstehen. Sie
waren vor dem Kriege über die ganze Welt zerstreut, wo sie "der Wissenschaft
auf fremder Erde dienten, sehnlich die Stunde erwartend, in welcher sie ihre
Kräfte der Pflege der vaterländischen Wissenschaft widmen können."*) Alle diese
Männer stellten sich in den Dienst des deutsch-österreichisch-ungarischen Ver¬
bündeten. In Galizien trat eine polnische Freischar ins Leben, die nach Über¬
windung gewisser innerer aus der Vorgeschichte ihres Daseins erwachsener
Krisen sich Ruhm und Bewunderung der deutschen Truppen erwarb, mit denen
sie in vorderster Reihe gestanden hatte, so daß die oberste Heeresleitung sich
genötigt sah. der Taten der polnischen Legion in ihren Berichten besonders zu
denken. -- Um das Hauptquartier des Generalgouverneurs von Warschau,



*) Aus der Rede des Rektors der Warschauer Universität gelegentlich deren Wieder¬
eröffnung am 1ö. November 1915.
Grenzboten IV 191" 14
Das polnische Problem

den rollenden Rubel. Die russische Regierung aber, die seit jeher die ukrainische
Bewegung in Rußland mit den schärfsten Repressalien unterdrückt hatte, weil
sie die Einheitlichkeit des russischen Stammes und damit die Vorherrschaft des
Großrussentums bedroht sah, war jetzt nach den Erfahrungen der Autonomie¬
bestrebungen der Nationalitäten und dem starken ukrainischen Klub der ersten
und zweiten Duma um so mehr darauf bedacht, eine solche Bewegung auch
jenseits der Grenzen zu bekämpfen. Diese ukrainische Bewegung war also das
einigende Band, das sich um die Allpolen und die russische Regierung schlang.
Kurz vor der Petersburger Tagung war gerade der Statthalter von Galizien,
Graf Potocki, der in Verkennung der Existenzinteressen des Staates, dem er
diente, die russophile Bewegung und ihre Anhänger förderte, dem Attentate
eines ukrainischen Studenten zum Opfer gefallen. Zu dem alten Gegensatze
zwischen Rußland und Österreich-Ungarn in der orientalischen Frage trat also
jetzt in aller Schärfe ein zweiter, der Gegensatz in der ukrainischen Frage. So
sehr die russische Regierung ein Interesse haben mochte, auch jenseits ihrer
Grenzen ein kulturelles Emporwachsen des ukrainischen Volkes zu verhindern,
so sehr lag es andererseits im Interesse Österreichs, die geistige und wirtschaft¬
liche Entwicklung der kaiser- und staatstreuen Ukrainer zu fördern. skrupellos
in ihren Mitteln feit jeher, hat die russische Regierung sich nicht gescheut, ihre
Abwehrmaßnahmen gegen die ukrainische Bewegung selbst auf österreichisches
Staatsgebiet zu übertragen. Mit russischem Geld und gefördert von den im
Polenklub allmächtigen allpolnischen und podolischen Gruppen hat die russophile
Bewegung nun in Galizien mit verdoppelter Kraft eingesetzt und vor allem
durch weit ausgebreitete Spionage den Boden für einen militärischen Zusammen¬
stoß für Nußland vorbereitet."




So fehr Rußland und russisches Wesen das polnische Denken in seinen
Bann gezogen haben mag, gab es und gibt es genug polnische Patrioten, die
dieser Entwicklung mit Mißbehagen und tiefster Abneigung entgegenstehen. Sie
waren vor dem Kriege über die ganze Welt zerstreut, wo sie „der Wissenschaft
auf fremder Erde dienten, sehnlich die Stunde erwartend, in welcher sie ihre
Kräfte der Pflege der vaterländischen Wissenschaft widmen können."*) Alle diese
Männer stellten sich in den Dienst des deutsch-österreichisch-ungarischen Ver¬
bündeten. In Galizien trat eine polnische Freischar ins Leben, die nach Über¬
windung gewisser innerer aus der Vorgeschichte ihres Daseins erwachsener
Krisen sich Ruhm und Bewunderung der deutschen Truppen erwarb, mit denen
sie in vorderster Reihe gestanden hatte, so daß die oberste Heeresleitung sich
genötigt sah. der Taten der polnischen Legion in ihren Berichten besonders zu
denken. — Um das Hauptquartier des Generalgouverneurs von Warschau,



*) Aus der Rede des Rektors der Warschauer Universität gelegentlich deren Wieder¬
eröffnung am 1ö. November 1915.
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[0221] Das polnische Problem den rollenden Rubel. Die russische Regierung aber, die seit jeher die ukrainische Bewegung in Rußland mit den schärfsten Repressalien unterdrückt hatte, weil sie die Einheitlichkeit des russischen Stammes und damit die Vorherrschaft des Großrussentums bedroht sah, war jetzt nach den Erfahrungen der Autonomie¬ bestrebungen der Nationalitäten und dem starken ukrainischen Klub der ersten und zweiten Duma um so mehr darauf bedacht, eine solche Bewegung auch jenseits der Grenzen zu bekämpfen. Diese ukrainische Bewegung war also das einigende Band, das sich um die Allpolen und die russische Regierung schlang. Kurz vor der Petersburger Tagung war gerade der Statthalter von Galizien, Graf Potocki, der in Verkennung der Existenzinteressen des Staates, dem er diente, die russophile Bewegung und ihre Anhänger förderte, dem Attentate eines ukrainischen Studenten zum Opfer gefallen. Zu dem alten Gegensatze zwischen Rußland und Österreich-Ungarn in der orientalischen Frage trat also jetzt in aller Schärfe ein zweiter, der Gegensatz in der ukrainischen Frage. So sehr die russische Regierung ein Interesse haben mochte, auch jenseits ihrer Grenzen ein kulturelles Emporwachsen des ukrainischen Volkes zu verhindern, so sehr lag es andererseits im Interesse Österreichs, die geistige und wirtschaft¬ liche Entwicklung der kaiser- und staatstreuen Ukrainer zu fördern. skrupellos in ihren Mitteln feit jeher, hat die russische Regierung sich nicht gescheut, ihre Abwehrmaßnahmen gegen die ukrainische Bewegung selbst auf österreichisches Staatsgebiet zu übertragen. Mit russischem Geld und gefördert von den im Polenklub allmächtigen allpolnischen und podolischen Gruppen hat die russophile Bewegung nun in Galizien mit verdoppelter Kraft eingesetzt und vor allem durch weit ausgebreitete Spionage den Boden für einen militärischen Zusammen¬ stoß für Nußland vorbereitet." So fehr Rußland und russisches Wesen das polnische Denken in seinen Bann gezogen haben mag, gab es und gibt es genug polnische Patrioten, die dieser Entwicklung mit Mißbehagen und tiefster Abneigung entgegenstehen. Sie waren vor dem Kriege über die ganze Welt zerstreut, wo sie „der Wissenschaft auf fremder Erde dienten, sehnlich die Stunde erwartend, in welcher sie ihre Kräfte der Pflege der vaterländischen Wissenschaft widmen können."*) Alle diese Männer stellten sich in den Dienst des deutsch-österreichisch-ungarischen Ver¬ bündeten. In Galizien trat eine polnische Freischar ins Leben, die nach Über¬ windung gewisser innerer aus der Vorgeschichte ihres Daseins erwachsener Krisen sich Ruhm und Bewunderung der deutschen Truppen erwarb, mit denen sie in vorderster Reihe gestanden hatte, so daß die oberste Heeresleitung sich genötigt sah. der Taten der polnischen Legion in ihren Berichten besonders zu denken. — Um das Hauptquartier des Generalgouverneurs von Warschau, *) Aus der Rede des Rektors der Warschauer Universität gelegentlich deren Wieder¬ eröffnung am 1ö. November 1915. Grenzboten IV 191« 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/221>, abgerufen am 23.07.2024.