Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.Das polnische Problem europas zusammen wie im achtzehnten Jahrhundert und erzeugen daselbst Das polnische Problem zeigt dem Forscher durchaus verschiedene Gesichte, Die Teilung Polens, die so häufig sentimental ein Unrecht am polnischen 13*
Das polnische Problem europas zusammen wie im achtzehnten Jahrhundert und erzeugen daselbst Das polnische Problem zeigt dem Forscher durchaus verschiedene Gesichte, Die Teilung Polens, die so häufig sentimental ein Unrecht am polnischen 13*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0207" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331179"/> <fw type="header" place="top"> Das polnische Problem</fw><lb/> <p xml:id="ID_709" prev="#ID_708"> europas zusammen wie im achtzehnten Jahrhundert und erzeugen daselbst<lb/> Spannungen von einer Höhe, daß ihre Entladung alle durch den Krieg ange¬<lb/> bahnten Beziehungen in nichts zerspringen lassen könnten. Dessen seien sich Polen,<lb/> Deutsche, Österreicher und Ungarn ständig bewußt!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_710"> Das polnische Problem zeigt dem Forscher durchaus verschiedene Gesichte,<lb/> je nachdem man es im Sinne dieses Krieges lediglich in der veränderlichen<lb/> Gestalt als Konsequenz des Zusammenbruchs der deutsch-russischen Freundschaft<lb/> betrachtet oder ob man es als eine Kulturfrage im Zusammenhang mit unseren<lb/> weltwirschaftlichen und den damit so eng verbundenen mitteleuropäischen Idealen<lb/> ansieht. Geht man vom Kriege aus, so bedeutet das polnische Problem zunächst<lb/> kaum mehr, als eine Teilfrage der militärischen Aufgaben, die in der Nieder¬<lb/> werfung Rußlands gipfeln. Mit anderen Worten: es wird Polen lediglich als<lb/> eine russische Provinz betrachtet, als ein Territorium, das man dem Gegner<lb/> abnimmt, sei es, um lediglich zeitweilige strategische Erfolge zu erzielen, sei es<lb/> um ihn politisch dauernd zu schwächen, vielleicht nur ein Faustpfand, das man<lb/> ihm zurückgibt, wenn das größere, über den russischen Kriegsschauplatz hinaus¬<lb/> gehende Kriegsziel erreicht ist. Von dieser Seite aus gesehen, erscheint das<lb/> Problem somit verhältnismäßig wenig, verwickelt. Aber über dieses Stadium sollte<lb/> die Polenfrage durch die Autonomie-Erklärung und den wirtschaftlichen Anschluß<lb/> des Gebietes an Deutschland hinaus sein. Nach Lage der Dinge können die<lb/> Polen nicht mehr ohne weiteres als Objekt der Politik der siegreichen Verbündeten<lb/> behandelt werden. Ihre Eigenheiten, politischen Wünsche und Hoffnungen und<lb/> nicht zuletzt der Stand ihres politischen Denkens bei und kurz nach Ausbruch<lb/> der Weltkatastrophe spielen eine große Rolle und heischen Beachtung. Von<lb/> dieser anderen, historisch tief durchwirkten Seite aus müssen wir im folgenden<lb/> an das Problem herantreten.</p><lb/> <p xml:id="ID_711" next="#ID_712"> Die Teilung Polens, die so häufig sentimental ein Unrecht am polnischen<lb/> Volke genannt wird, ist die Konsequenz des Aufprallens aufstrebender Kräfte<lb/> auf niedergehende. Als Polen nach fast zwei Jahrhunderten Großmachtstellung<lb/> abzuwirtschaften begann, als die führenden Schichten des polnischen Volkes demo¬<lb/> ralisierten und der polnische Staat innerlich zerfiel, das Papsttum aber, das<lb/> doch durch Niederwerfung der Reformation in Polen einen tiefeinschneidender<lb/> Einfluß auf die Gestaltung der polnischen Kultur genommen hatte, politisch<lb/> nicht mehr imstande war. die infolge der Kirchenspaltung zwischen Byzanz und<lb/> Moskau für Polen heranrückende Gefahr zurückzuwerfen, da wollte es das Geschick,<lb/> oder historisches Walten, wie man es nennen will, daß an zwei entgegengesetzten<lb/> Grenzen dieses Staates, auf dem märkischen Sandboden und in den rauhen<lb/> Gegenden an der Moskwa junge Staaten, mit ehrgeizigen, weitblickenden Herr-<lb/> schern die Festigung ihres Daseins durch Entwicklung von Handel und Gewerbe<lb/> und Sicherung der Grenzen mit starken: Wollen und Können erstrebten. Die<lb/> moskowitischen Fürsten der Romanow-Dynastie, die sich nach langen Kämpfen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 13*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0207]
Das polnische Problem
europas zusammen wie im achtzehnten Jahrhundert und erzeugen daselbst
Spannungen von einer Höhe, daß ihre Entladung alle durch den Krieg ange¬
bahnten Beziehungen in nichts zerspringen lassen könnten. Dessen seien sich Polen,
Deutsche, Österreicher und Ungarn ständig bewußt!
Das polnische Problem zeigt dem Forscher durchaus verschiedene Gesichte,
je nachdem man es im Sinne dieses Krieges lediglich in der veränderlichen
Gestalt als Konsequenz des Zusammenbruchs der deutsch-russischen Freundschaft
betrachtet oder ob man es als eine Kulturfrage im Zusammenhang mit unseren
weltwirschaftlichen und den damit so eng verbundenen mitteleuropäischen Idealen
ansieht. Geht man vom Kriege aus, so bedeutet das polnische Problem zunächst
kaum mehr, als eine Teilfrage der militärischen Aufgaben, die in der Nieder¬
werfung Rußlands gipfeln. Mit anderen Worten: es wird Polen lediglich als
eine russische Provinz betrachtet, als ein Territorium, das man dem Gegner
abnimmt, sei es, um lediglich zeitweilige strategische Erfolge zu erzielen, sei es
um ihn politisch dauernd zu schwächen, vielleicht nur ein Faustpfand, das man
ihm zurückgibt, wenn das größere, über den russischen Kriegsschauplatz hinaus¬
gehende Kriegsziel erreicht ist. Von dieser Seite aus gesehen, erscheint das
Problem somit verhältnismäßig wenig, verwickelt. Aber über dieses Stadium sollte
die Polenfrage durch die Autonomie-Erklärung und den wirtschaftlichen Anschluß
des Gebietes an Deutschland hinaus sein. Nach Lage der Dinge können die
Polen nicht mehr ohne weiteres als Objekt der Politik der siegreichen Verbündeten
behandelt werden. Ihre Eigenheiten, politischen Wünsche und Hoffnungen und
nicht zuletzt der Stand ihres politischen Denkens bei und kurz nach Ausbruch
der Weltkatastrophe spielen eine große Rolle und heischen Beachtung. Von
dieser anderen, historisch tief durchwirkten Seite aus müssen wir im folgenden
an das Problem herantreten.
Die Teilung Polens, die so häufig sentimental ein Unrecht am polnischen
Volke genannt wird, ist die Konsequenz des Aufprallens aufstrebender Kräfte
auf niedergehende. Als Polen nach fast zwei Jahrhunderten Großmachtstellung
abzuwirtschaften begann, als die führenden Schichten des polnischen Volkes demo¬
ralisierten und der polnische Staat innerlich zerfiel, das Papsttum aber, das
doch durch Niederwerfung der Reformation in Polen einen tiefeinschneidender
Einfluß auf die Gestaltung der polnischen Kultur genommen hatte, politisch
nicht mehr imstande war. die infolge der Kirchenspaltung zwischen Byzanz und
Moskau für Polen heranrückende Gefahr zurückzuwerfen, da wollte es das Geschick,
oder historisches Walten, wie man es nennen will, daß an zwei entgegengesetzten
Grenzen dieses Staates, auf dem märkischen Sandboden und in den rauhen
Gegenden an der Moskwa junge Staaten, mit ehrgeizigen, weitblickenden Herr-
schern die Festigung ihres Daseins durch Entwicklung von Handel und Gewerbe
und Sicherung der Grenzen mit starken: Wollen und Können erstrebten. Die
moskowitischen Fürsten der Romanow-Dynastie, die sich nach langen Kämpfen
13*
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