Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Alabamafrage

stallten. Diese sahen in der Auflehnung des Südens eine verbrecherische Re¬
volution. England aber erklärte offiziell, es erkenne die Südstaaten als krieg¬
führende Partei an. Und mehr noch, es gestattete ihnen, in englischen Häfen
Kaperschiffe auszurüsten, die den Handel der Nordstaaten störten und die Blockade
der südstaatlichen Küste wiederholt durchbrachen. Wie so oft, ging in England
Geschäftsinteresse Hand in Hand mit dem politischen Ziele, die dem britischen
Nordamerika gefährlichen Vereinigten Staaten durch Unterstützung der Sezession
zu schwächen und die staatliche Zersplitterung Nordamerikas zu fördern. Damals
aber erwies sich die englische Rechnung als falsch. Ein scharfer Protest der
Nordstaaten wandte sich gegen diese merkwürdige Begünstigung. Washington
verlangte, daß die englische Regierung die weitere Equipierung der Kaper und
ihr Auslaufen aus englischen Häfen verbiete. Geschehe das nicht, so werde
man Feindseligkeit mit Feindseligkeit erwidern. Die Drohung ließ an Schärfe
nichts zu wünschen übrig. War doch auch die Erregung in den Nordstaaten
ganz ungeheuer. Denn in ganz kurzer Zeit hatte das berühmteste dieser
Kaperschiffe, die "Alabama", nicht weniger als fünfundsechzig nordstaatliche
Schiffe im Werte von über 10 Millionen Dollar vernichtet, und andere, eben¬
falls in England gebaute Kaperkreuzer, die "Tellahassee" und "Shenandoah",
hatten ähnliche Erfolge zu verzeichnen. Für diese Schädigung des Handels
verlangte die Union unbedingten Schadenersatz. Zunächst kamen von England
billige Ausflüchte, und in Liverpool und anderen Häfen fuhr man ruhig fort,
weitere Kaper zu bauen, nachdem die "Alabama" im Juni 1864 durch ein
nordstaatliches Kriegsschiff endlich zerstört war. Eine zweite amerikanische Note
ging nach London ab und stellte England vor die Entscheidung: Verbot des
Auslaufens dieser Schiffe oder Krieg! Das half. Lord Russe! gab nach. Die
Ausfahrt der Kaper wurde verboten, und als bald darauf die völlige Nieder¬
werfung der Südstaaten erfolgte, erklärte England, daß es seinerseits den
Krieg nunmehr als beendet ansehe und den Konföderierten das Recht von
Kriegführenden nicht weiter zugestehe.

Damit war aber für die Union die Angelegenheit noch nicht erledigt.
Man beharrte auf den Schadenersatzforderungen und ließ sich nicht dadurch
beirren, daß England sie zunächst als unberechtigt zurückwies und dann mit
dem Vorschlage kam, ein Schiedsgericht solle über die Berechtigung der Forde¬
rung entscheiden. Diese prinzipielle Behandlung der Frage aber durch ein
Schiedsgericht wurde von der Union mit Entschiedenheit verworfen. England
müsse unter allen Umständen erst die Schuld eingestehen, neutralitätswidrig ge¬
handelt zu haben, so verlangte man. Dann könne schließlich ein Schiedsgericht
die Höhe der Entschädigungssumme festsetzen. Als England das ablehnte, brach
die Union die Verhandlungen ab. Erst nach längerer Zeit, während deren man
sich in London Amerika gegenüber sehr unbehaglich fühlte, gelang es Lord
Stanley 1871, mit der amerikanischen Regierung ein Abkommen zu erzielen,
das die Angelegenheit einer gemeinsamen Kommission in Washington überwies.


Die Alabamafrage

stallten. Diese sahen in der Auflehnung des Südens eine verbrecherische Re¬
volution. England aber erklärte offiziell, es erkenne die Südstaaten als krieg¬
führende Partei an. Und mehr noch, es gestattete ihnen, in englischen Häfen
Kaperschiffe auszurüsten, die den Handel der Nordstaaten störten und die Blockade
der südstaatlichen Küste wiederholt durchbrachen. Wie so oft, ging in England
Geschäftsinteresse Hand in Hand mit dem politischen Ziele, die dem britischen
Nordamerika gefährlichen Vereinigten Staaten durch Unterstützung der Sezession
zu schwächen und die staatliche Zersplitterung Nordamerikas zu fördern. Damals
aber erwies sich die englische Rechnung als falsch. Ein scharfer Protest der
Nordstaaten wandte sich gegen diese merkwürdige Begünstigung. Washington
verlangte, daß die englische Regierung die weitere Equipierung der Kaper und
ihr Auslaufen aus englischen Häfen verbiete. Geschehe das nicht, so werde
man Feindseligkeit mit Feindseligkeit erwidern. Die Drohung ließ an Schärfe
nichts zu wünschen übrig. War doch auch die Erregung in den Nordstaaten
ganz ungeheuer. Denn in ganz kurzer Zeit hatte das berühmteste dieser
Kaperschiffe, die „Alabama", nicht weniger als fünfundsechzig nordstaatliche
Schiffe im Werte von über 10 Millionen Dollar vernichtet, und andere, eben¬
falls in England gebaute Kaperkreuzer, die „Tellahassee" und „Shenandoah",
hatten ähnliche Erfolge zu verzeichnen. Für diese Schädigung des Handels
verlangte die Union unbedingten Schadenersatz. Zunächst kamen von England
billige Ausflüchte, und in Liverpool und anderen Häfen fuhr man ruhig fort,
weitere Kaper zu bauen, nachdem die „Alabama" im Juni 1864 durch ein
nordstaatliches Kriegsschiff endlich zerstört war. Eine zweite amerikanische Note
ging nach London ab und stellte England vor die Entscheidung: Verbot des
Auslaufens dieser Schiffe oder Krieg! Das half. Lord Russe! gab nach. Die
Ausfahrt der Kaper wurde verboten, und als bald darauf die völlige Nieder¬
werfung der Südstaaten erfolgte, erklärte England, daß es seinerseits den
Krieg nunmehr als beendet ansehe und den Konföderierten das Recht von
Kriegführenden nicht weiter zugestehe.

Damit war aber für die Union die Angelegenheit noch nicht erledigt.
Man beharrte auf den Schadenersatzforderungen und ließ sich nicht dadurch
beirren, daß England sie zunächst als unberechtigt zurückwies und dann mit
dem Vorschlage kam, ein Schiedsgericht solle über die Berechtigung der Forde¬
rung entscheiden. Diese prinzipielle Behandlung der Frage aber durch ein
Schiedsgericht wurde von der Union mit Entschiedenheit verworfen. England
müsse unter allen Umständen erst die Schuld eingestehen, neutralitätswidrig ge¬
handelt zu haben, so verlangte man. Dann könne schließlich ein Schiedsgericht
die Höhe der Entschädigungssumme festsetzen. Als England das ablehnte, brach
die Union die Verhandlungen ab. Erst nach längerer Zeit, während deren man
sich in London Amerika gegenüber sehr unbehaglich fühlte, gelang es Lord
Stanley 1871, mit der amerikanischen Regierung ein Abkommen zu erzielen,
das die Angelegenheit einer gemeinsamen Kommission in Washington überwies.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0196" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331168"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Alabamafrage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_670" prev="#ID_669"> stallten. Diese sahen in der Auflehnung des Südens eine verbrecherische Re¬<lb/>
volution. England aber erklärte offiziell, es erkenne die Südstaaten als krieg¬<lb/>
führende Partei an. Und mehr noch, es gestattete ihnen, in englischen Häfen<lb/>
Kaperschiffe auszurüsten, die den Handel der Nordstaaten störten und die Blockade<lb/>
der südstaatlichen Küste wiederholt durchbrachen. Wie so oft, ging in England<lb/>
Geschäftsinteresse Hand in Hand mit dem politischen Ziele, die dem britischen<lb/>
Nordamerika gefährlichen Vereinigten Staaten durch Unterstützung der Sezession<lb/>
zu schwächen und die staatliche Zersplitterung Nordamerikas zu fördern. Damals<lb/>
aber erwies sich die englische Rechnung als falsch. Ein scharfer Protest der<lb/>
Nordstaaten wandte sich gegen diese merkwürdige Begünstigung. Washington<lb/>
verlangte, daß die englische Regierung die weitere Equipierung der Kaper und<lb/>
ihr Auslaufen aus englischen Häfen verbiete. Geschehe das nicht, so werde<lb/>
man Feindseligkeit mit Feindseligkeit erwidern. Die Drohung ließ an Schärfe<lb/>
nichts zu wünschen übrig. War doch auch die Erregung in den Nordstaaten<lb/>
ganz ungeheuer. Denn in ganz kurzer Zeit hatte das berühmteste dieser<lb/>
Kaperschiffe, die &#x201E;Alabama", nicht weniger als fünfundsechzig nordstaatliche<lb/>
Schiffe im Werte von über 10 Millionen Dollar vernichtet, und andere, eben¬<lb/>
falls in England gebaute Kaperkreuzer, die &#x201E;Tellahassee" und &#x201E;Shenandoah",<lb/>
hatten ähnliche Erfolge zu verzeichnen. Für diese Schädigung des Handels<lb/>
verlangte die Union unbedingten Schadenersatz. Zunächst kamen von England<lb/>
billige Ausflüchte, und in Liverpool und anderen Häfen fuhr man ruhig fort,<lb/>
weitere Kaper zu bauen, nachdem die &#x201E;Alabama" im Juni 1864 durch ein<lb/>
nordstaatliches Kriegsschiff endlich zerstört war. Eine zweite amerikanische Note<lb/>
ging nach London ab und stellte England vor die Entscheidung: Verbot des<lb/>
Auslaufens dieser Schiffe oder Krieg! Das half. Lord Russe! gab nach. Die<lb/>
Ausfahrt der Kaper wurde verboten, und als bald darauf die völlige Nieder¬<lb/>
werfung der Südstaaten erfolgte, erklärte England, daß es seinerseits den<lb/>
Krieg nunmehr als beendet ansehe und den Konföderierten das Recht von<lb/>
Kriegführenden nicht weiter zugestehe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_671" next="#ID_672"> Damit war aber für die Union die Angelegenheit noch nicht erledigt.<lb/>
Man beharrte auf den Schadenersatzforderungen und ließ sich nicht dadurch<lb/>
beirren, daß England sie zunächst als unberechtigt zurückwies und dann mit<lb/>
dem Vorschlage kam, ein Schiedsgericht solle über die Berechtigung der Forde¬<lb/>
rung entscheiden. Diese prinzipielle Behandlung der Frage aber durch ein<lb/>
Schiedsgericht wurde von der Union mit Entschiedenheit verworfen. England<lb/>
müsse unter allen Umständen erst die Schuld eingestehen, neutralitätswidrig ge¬<lb/>
handelt zu haben, so verlangte man. Dann könne schließlich ein Schiedsgericht<lb/>
die Höhe der Entschädigungssumme festsetzen. Als England das ablehnte, brach<lb/>
die Union die Verhandlungen ab. Erst nach längerer Zeit, während deren man<lb/>
sich in London Amerika gegenüber sehr unbehaglich fühlte, gelang es Lord<lb/>
Stanley 1871, mit der amerikanischen Regierung ein Abkommen zu erzielen,<lb/>
das die Angelegenheit einer gemeinsamen Kommission in Washington überwies.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0196] Die Alabamafrage stallten. Diese sahen in der Auflehnung des Südens eine verbrecherische Re¬ volution. England aber erklärte offiziell, es erkenne die Südstaaten als krieg¬ führende Partei an. Und mehr noch, es gestattete ihnen, in englischen Häfen Kaperschiffe auszurüsten, die den Handel der Nordstaaten störten und die Blockade der südstaatlichen Küste wiederholt durchbrachen. Wie so oft, ging in England Geschäftsinteresse Hand in Hand mit dem politischen Ziele, die dem britischen Nordamerika gefährlichen Vereinigten Staaten durch Unterstützung der Sezession zu schwächen und die staatliche Zersplitterung Nordamerikas zu fördern. Damals aber erwies sich die englische Rechnung als falsch. Ein scharfer Protest der Nordstaaten wandte sich gegen diese merkwürdige Begünstigung. Washington verlangte, daß die englische Regierung die weitere Equipierung der Kaper und ihr Auslaufen aus englischen Häfen verbiete. Geschehe das nicht, so werde man Feindseligkeit mit Feindseligkeit erwidern. Die Drohung ließ an Schärfe nichts zu wünschen übrig. War doch auch die Erregung in den Nordstaaten ganz ungeheuer. Denn in ganz kurzer Zeit hatte das berühmteste dieser Kaperschiffe, die „Alabama", nicht weniger als fünfundsechzig nordstaatliche Schiffe im Werte von über 10 Millionen Dollar vernichtet, und andere, eben¬ falls in England gebaute Kaperkreuzer, die „Tellahassee" und „Shenandoah", hatten ähnliche Erfolge zu verzeichnen. Für diese Schädigung des Handels verlangte die Union unbedingten Schadenersatz. Zunächst kamen von England billige Ausflüchte, und in Liverpool und anderen Häfen fuhr man ruhig fort, weitere Kaper zu bauen, nachdem die „Alabama" im Juni 1864 durch ein nordstaatliches Kriegsschiff endlich zerstört war. Eine zweite amerikanische Note ging nach London ab und stellte England vor die Entscheidung: Verbot des Auslaufens dieser Schiffe oder Krieg! Das half. Lord Russe! gab nach. Die Ausfahrt der Kaper wurde verboten, und als bald darauf die völlige Nieder¬ werfung der Südstaaten erfolgte, erklärte England, daß es seinerseits den Krieg nunmehr als beendet ansehe und den Konföderierten das Recht von Kriegführenden nicht weiter zugestehe. Damit war aber für die Union die Angelegenheit noch nicht erledigt. Man beharrte auf den Schadenersatzforderungen und ließ sich nicht dadurch beirren, daß England sie zunächst als unberechtigt zurückwies und dann mit dem Vorschlage kam, ein Schiedsgericht solle über die Berechtigung der Forde¬ rung entscheiden. Diese prinzipielle Behandlung der Frage aber durch ein Schiedsgericht wurde von der Union mit Entschiedenheit verworfen. England müsse unter allen Umständen erst die Schuld eingestehen, neutralitätswidrig ge¬ handelt zu haben, so verlangte man. Dann könne schließlich ein Schiedsgericht die Höhe der Entschädigungssumme festsetzen. Als England das ablehnte, brach die Union die Verhandlungen ab. Erst nach längerer Zeit, während deren man sich in London Amerika gegenüber sehr unbehaglich fühlte, gelang es Lord Stanley 1871, mit der amerikanischen Regierung ein Abkommen zu erzielen, das die Angelegenheit einer gemeinsamen Kommission in Washington überwies.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/196
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/196>, abgerufen am 23.07.2024.