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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Teibuiz und der deutsche Geist

wer! haben. Er wurde nämlich zumeist mit den großen Rationalisten des
westlichen Europa, mit Descartes und Spinoza, in einem Atemzuge genannt,
wobei man fast immer übersah, daß der gedankliche Sinn der Leibnizschen
Lehren mehr Gegensätze als Übereinstimmungen mit diesen aufweist. Richtig
daran war nur, daß die Methode seines Philosophierens, also ein formaler
und daher im Gesamtbereich des Disziplinen sich vornehmlich auf die Er¬
kenntnistheorie beziehender Gesichtspunkt, tatsächlich rein rational ist. Diese
ganz in das Denken eingeschlossene Erkenntnislehre ist von Kant überwunden,
ebenso wie auch Leibnizens intellektualistische Ethik vor dem Feuer des großen
moralischen Imperativs erblaßte. Er selbst ging den Auseinandersetzungen mit
zeitgenössischen Gedankenwegen niemals aus dem Wege, er suchte sie vielmehr
in mancher streitbaren Fehde, aber es waren damals noch ausschließlich Aus¬
länder, die selbst erst sehr viel später sich in Deutschland wissenschaftliches
Heimatrecht erwarben. Ein Gelehrter von internationalem Ruf, war sein
Name an den Akademien zu Paris und London in aller Munde, aber auf die
deutsche Bildung wirkte zunächst nicht das kühne System seiner Weltdarstellung,
sondern allerlei verwässerte Nutzanwendungen, durch die seine Schüler, lauter
nüchterne Aufklärer, seine Ideenwelt zur Schulweisheit verflachten. So stieg
schließlich am philosophischen Himmel das Gestirn Kants empor. Und doch
hat der Königsberger Philosoph von ihm mehr übernommen als man ge¬
wöhnlich annimmt, auch war Kant nicht imstande, die Metaphysik seines Vor¬
gängers zu vernichten, so sehr er auch gegen die theoretisch-kritischen Voraus¬
setzungen einer solchen Metaphysik polemisierte.

In Frankreich stand Leibniz dagegen von Anfang an in hohen Ehren,
woran der Spott einzelner, wie etwa der Voltairs über seinen Kulturoptimismus
nichts änderte. Die französische Wissenschaft hat sich von seiner klaren und
dabei doch schwungvollen, bilderreichen Schreibart stets stark angezogen gefühlt
und ihm umfangreiche Spezialforschungen gewidmet. Noch kürzlich waren es
bei einer internationalen Tagung der wissenschaftlichen Akademien die französi¬
schen Gelehrten, die den Antrag stellten, eine große Gesamtausgabe von seinen
Schriften mit Beihilfe aller Nationen zu veranstalten.

Hat aber Leibniz, der Kosmopolit nicht doch Sonderbeziehungen zum
deutschen Geist, ist seine schöpferische Leistung nicht tief aus dem deutschen Kultur¬
willen geboren? Nicht als ein zum Zweijahrhunderttag seines Todes künstlich
unternommener Rettungsversuch soll diese Frage aufgeworfen sein. Hat doch
kein Geringerer als Wilhelm Wundt mit freiabwägender Gerechtigkeit das Welt¬
bild dieses Mannes im Hinblick auf seine Zusammenhänge mit der deutschen
Kulturanschauung der Folgezeit untersucht. Dabei ist er zu dem erstaunlichen
Ergebnis gekommen, daß wir bei Leibniz an dem Ausgangspunkt der spezifisch
deutschen Ideenentwtcklung stehen. Diese Bewertung bezieht sich freilich vor¬
wiegend nur auf seine Metaphysik, aber damit doch auf den Angelpunkt aller
philosophischen Prinzipienlehre. Worin liegt das Wesen alles Seins, wo liegen


Teibuiz und der deutsche Geist

wer! haben. Er wurde nämlich zumeist mit den großen Rationalisten des
westlichen Europa, mit Descartes und Spinoza, in einem Atemzuge genannt,
wobei man fast immer übersah, daß der gedankliche Sinn der Leibnizschen
Lehren mehr Gegensätze als Übereinstimmungen mit diesen aufweist. Richtig
daran war nur, daß die Methode seines Philosophierens, also ein formaler
und daher im Gesamtbereich des Disziplinen sich vornehmlich auf die Er¬
kenntnistheorie beziehender Gesichtspunkt, tatsächlich rein rational ist. Diese
ganz in das Denken eingeschlossene Erkenntnislehre ist von Kant überwunden,
ebenso wie auch Leibnizens intellektualistische Ethik vor dem Feuer des großen
moralischen Imperativs erblaßte. Er selbst ging den Auseinandersetzungen mit
zeitgenössischen Gedankenwegen niemals aus dem Wege, er suchte sie vielmehr
in mancher streitbaren Fehde, aber es waren damals noch ausschließlich Aus¬
länder, die selbst erst sehr viel später sich in Deutschland wissenschaftliches
Heimatrecht erwarben. Ein Gelehrter von internationalem Ruf, war sein
Name an den Akademien zu Paris und London in aller Munde, aber auf die
deutsche Bildung wirkte zunächst nicht das kühne System seiner Weltdarstellung,
sondern allerlei verwässerte Nutzanwendungen, durch die seine Schüler, lauter
nüchterne Aufklärer, seine Ideenwelt zur Schulweisheit verflachten. So stieg
schließlich am philosophischen Himmel das Gestirn Kants empor. Und doch
hat der Königsberger Philosoph von ihm mehr übernommen als man ge¬
wöhnlich annimmt, auch war Kant nicht imstande, die Metaphysik seines Vor¬
gängers zu vernichten, so sehr er auch gegen die theoretisch-kritischen Voraus¬
setzungen einer solchen Metaphysik polemisierte.

In Frankreich stand Leibniz dagegen von Anfang an in hohen Ehren,
woran der Spott einzelner, wie etwa der Voltairs über seinen Kulturoptimismus
nichts änderte. Die französische Wissenschaft hat sich von seiner klaren und
dabei doch schwungvollen, bilderreichen Schreibart stets stark angezogen gefühlt
und ihm umfangreiche Spezialforschungen gewidmet. Noch kürzlich waren es
bei einer internationalen Tagung der wissenschaftlichen Akademien die französi¬
schen Gelehrten, die den Antrag stellten, eine große Gesamtausgabe von seinen
Schriften mit Beihilfe aller Nationen zu veranstalten.

Hat aber Leibniz, der Kosmopolit nicht doch Sonderbeziehungen zum
deutschen Geist, ist seine schöpferische Leistung nicht tief aus dem deutschen Kultur¬
willen geboren? Nicht als ein zum Zweijahrhunderttag seines Todes künstlich
unternommener Rettungsversuch soll diese Frage aufgeworfen sein. Hat doch
kein Geringerer als Wilhelm Wundt mit freiabwägender Gerechtigkeit das Welt¬
bild dieses Mannes im Hinblick auf seine Zusammenhänge mit der deutschen
Kulturanschauung der Folgezeit untersucht. Dabei ist er zu dem erstaunlichen
Ergebnis gekommen, daß wir bei Leibniz an dem Ausgangspunkt der spezifisch
deutschen Ideenentwtcklung stehen. Diese Bewertung bezieht sich freilich vor¬
wiegend nur auf seine Metaphysik, aber damit doch auf den Angelpunkt aller
philosophischen Prinzipienlehre. Worin liegt das Wesen alles Seins, wo liegen


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[0185] Teibuiz und der deutsche Geist wer! haben. Er wurde nämlich zumeist mit den großen Rationalisten des westlichen Europa, mit Descartes und Spinoza, in einem Atemzuge genannt, wobei man fast immer übersah, daß der gedankliche Sinn der Leibnizschen Lehren mehr Gegensätze als Übereinstimmungen mit diesen aufweist. Richtig daran war nur, daß die Methode seines Philosophierens, also ein formaler und daher im Gesamtbereich des Disziplinen sich vornehmlich auf die Er¬ kenntnistheorie beziehender Gesichtspunkt, tatsächlich rein rational ist. Diese ganz in das Denken eingeschlossene Erkenntnislehre ist von Kant überwunden, ebenso wie auch Leibnizens intellektualistische Ethik vor dem Feuer des großen moralischen Imperativs erblaßte. Er selbst ging den Auseinandersetzungen mit zeitgenössischen Gedankenwegen niemals aus dem Wege, er suchte sie vielmehr in mancher streitbaren Fehde, aber es waren damals noch ausschließlich Aus¬ länder, die selbst erst sehr viel später sich in Deutschland wissenschaftliches Heimatrecht erwarben. Ein Gelehrter von internationalem Ruf, war sein Name an den Akademien zu Paris und London in aller Munde, aber auf die deutsche Bildung wirkte zunächst nicht das kühne System seiner Weltdarstellung, sondern allerlei verwässerte Nutzanwendungen, durch die seine Schüler, lauter nüchterne Aufklärer, seine Ideenwelt zur Schulweisheit verflachten. So stieg schließlich am philosophischen Himmel das Gestirn Kants empor. Und doch hat der Königsberger Philosoph von ihm mehr übernommen als man ge¬ wöhnlich annimmt, auch war Kant nicht imstande, die Metaphysik seines Vor¬ gängers zu vernichten, so sehr er auch gegen die theoretisch-kritischen Voraus¬ setzungen einer solchen Metaphysik polemisierte. In Frankreich stand Leibniz dagegen von Anfang an in hohen Ehren, woran der Spott einzelner, wie etwa der Voltairs über seinen Kulturoptimismus nichts änderte. Die französische Wissenschaft hat sich von seiner klaren und dabei doch schwungvollen, bilderreichen Schreibart stets stark angezogen gefühlt und ihm umfangreiche Spezialforschungen gewidmet. Noch kürzlich waren es bei einer internationalen Tagung der wissenschaftlichen Akademien die französi¬ schen Gelehrten, die den Antrag stellten, eine große Gesamtausgabe von seinen Schriften mit Beihilfe aller Nationen zu veranstalten. Hat aber Leibniz, der Kosmopolit nicht doch Sonderbeziehungen zum deutschen Geist, ist seine schöpferische Leistung nicht tief aus dem deutschen Kultur¬ willen geboren? Nicht als ein zum Zweijahrhunderttag seines Todes künstlich unternommener Rettungsversuch soll diese Frage aufgeworfen sein. Hat doch kein Geringerer als Wilhelm Wundt mit freiabwägender Gerechtigkeit das Welt¬ bild dieses Mannes im Hinblick auf seine Zusammenhänge mit der deutschen Kulturanschauung der Folgezeit untersucht. Dabei ist er zu dem erstaunlichen Ergebnis gekommen, daß wir bei Leibniz an dem Ausgangspunkt der spezifisch deutschen Ideenentwtcklung stehen. Diese Bewertung bezieht sich freilich vor¬ wiegend nur auf seine Metaphysik, aber damit doch auf den Angelpunkt aller philosophischen Prinzipienlehre. Worin liegt das Wesen alles Seins, wo liegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/185>, abgerufen am 23.07.2024.