Zum fünfundsiebzigsten Geburtstag der "Grenzboten"
Wechsel der Zeiten in den Blättern. Immer mehr fanden sie ihr Genüge im Dienst der deutschen Heimat, wenn sie auch heute noch über die Grenzen greifen, so weit sie deutsche Brüderbande fassen. Bedeutsam wurde für die "Grenzboten", daß Friedrich Wilhelm der Vierte am 3. Februar 1847 den Vereinigten Landtag einberufen hatte. Sie wurden dadurch genötigt, sich in erster Linie mit preußischen Angelegenheiten zu befassen. Eine Reihe auf- fehenerregender Artikel über preußische Verhältnisse aus der Feder des damals noch völlig unbekannten Berliner Realschulleyrers Julian Schmidt trugen diesem eine Aufforderung Kurandas ein. probeweise in die Redaktion der "Grenzboten" einzutreten. Damit gewann das Preußentum in den "Grenz¬ boten" festen Boden. Überdies verschlugen die Wogen der Februarrevolution Knranda nach Wien, wo er sich bald überzeugte, daß die veränderten Ver¬ hältnisse der österreichischen Wirksamkeit der "Grenzboten" Schranken setzten. Sie hatten ihre Misston erfüllt, als sie in den Jahren der Bedrückung den Deutsch-Österreichern für ihre Klagen und Wünsche Gastrecht gewährten. Nun¬ mehr war die Preßfreiheit in Österreich im ausgedehntesten Maße hergestellt. Der Abschluß der ersten Entwicklungsperiode der "Grenzboten" der somit er¬ reicht war. und der Wunsch Julian Schmidts, sie jetzt in den Dienst rein deutscher Interessen zu stellen, sowie auch seinen persönlichen Standpunkt in erster Reihe geltend zu machen, führten dazu, daß er 1847 in Gemeinschaft mit Gustav Freytag die Leitung der grünen Hefte aus den Händen des be¬ währten Begründers übernahm.
Die revolutionäre Bewegung war abgeebbt, aber die Geister waren auseinandergestäubt wie Spreu vom Winde. Die neue liberale Grenzboten¬ redaktion suchte eine Partei um sich zu sammeln zur Reformarbeit auf Grund dessen, was durch die Revolution erreicht worden war. "Die Grenzboten werden den Regierungen gegenüber entschiedene Demokraten sein, gegen die Launen und den Unverstand der Masse die Aristokratie der Bildung und des Rechts vertreten" -- so lautete das Programm der neuen Redaktion. Gustav Freytags politische Anschauungen und somit der Standpunkt, den er in der Redaktion vertrat, ist erst kürzlich anläßlich seines hundertsten Geburtstags in den Grenzboten geschildert worden.*) Julian Schmidt vor allen war es, der immer wieder die Notwendigkeit einer organischen Entwicklung dessen, was sich als lebensfähig erweisen sollte, betonte und den Preußen den hohen Wert ihres Staates vor Augen führte. Aber den Junker Bismarck, dessen Stern zu leuchten begann, haßte und bekämpfte er. Er fand einen Bundesgenossen in Moritz Busch, der sich der Redaktion zugesellt hatte. Auch Busch verabscheute Bismarck als den Hauptfeind des Liberalismus, aber im Kampf mit ihm erkannte er die Bedeutung der genialen Schöpferkraft und unterlag der dialektischen Entwicklung seiner Gefühle. Die natürliche Folge war eine Absage an die Genossen der Arbeit. Aber auch deren Zeit bei den "Grenzboten" hatte sich
") Hes728 d. I.
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Zum fünfundsiebzigsten Geburtstag der „Grenzboten"
Wechsel der Zeiten in den Blättern. Immer mehr fanden sie ihr Genüge im Dienst der deutschen Heimat, wenn sie auch heute noch über die Grenzen greifen, so weit sie deutsche Brüderbande fassen. Bedeutsam wurde für die „Grenzboten", daß Friedrich Wilhelm der Vierte am 3. Februar 1847 den Vereinigten Landtag einberufen hatte. Sie wurden dadurch genötigt, sich in erster Linie mit preußischen Angelegenheiten zu befassen. Eine Reihe auf- fehenerregender Artikel über preußische Verhältnisse aus der Feder des damals noch völlig unbekannten Berliner Realschulleyrers Julian Schmidt trugen diesem eine Aufforderung Kurandas ein. probeweise in die Redaktion der „Grenzboten" einzutreten. Damit gewann das Preußentum in den „Grenz¬ boten" festen Boden. Überdies verschlugen die Wogen der Februarrevolution Knranda nach Wien, wo er sich bald überzeugte, daß die veränderten Ver¬ hältnisse der österreichischen Wirksamkeit der „Grenzboten" Schranken setzten. Sie hatten ihre Misston erfüllt, als sie in den Jahren der Bedrückung den Deutsch-Österreichern für ihre Klagen und Wünsche Gastrecht gewährten. Nun¬ mehr war die Preßfreiheit in Österreich im ausgedehntesten Maße hergestellt. Der Abschluß der ersten Entwicklungsperiode der „Grenzboten" der somit er¬ reicht war. und der Wunsch Julian Schmidts, sie jetzt in den Dienst rein deutscher Interessen zu stellen, sowie auch seinen persönlichen Standpunkt in erster Reihe geltend zu machen, führten dazu, daß er 1847 in Gemeinschaft mit Gustav Freytag die Leitung der grünen Hefte aus den Händen des be¬ währten Begründers übernahm.
Die revolutionäre Bewegung war abgeebbt, aber die Geister waren auseinandergestäubt wie Spreu vom Winde. Die neue liberale Grenzboten¬ redaktion suchte eine Partei um sich zu sammeln zur Reformarbeit auf Grund dessen, was durch die Revolution erreicht worden war. „Die Grenzboten werden den Regierungen gegenüber entschiedene Demokraten sein, gegen die Launen und den Unverstand der Masse die Aristokratie der Bildung und des Rechts vertreten" — so lautete das Programm der neuen Redaktion. Gustav Freytags politische Anschauungen und somit der Standpunkt, den er in der Redaktion vertrat, ist erst kürzlich anläßlich seines hundertsten Geburtstags in den Grenzboten geschildert worden.*) Julian Schmidt vor allen war es, der immer wieder die Notwendigkeit einer organischen Entwicklung dessen, was sich als lebensfähig erweisen sollte, betonte und den Preußen den hohen Wert ihres Staates vor Augen führte. Aber den Junker Bismarck, dessen Stern zu leuchten begann, haßte und bekämpfte er. Er fand einen Bundesgenossen in Moritz Busch, der sich der Redaktion zugesellt hatte. Auch Busch verabscheute Bismarck als den Hauptfeind des Liberalismus, aber im Kampf mit ihm erkannte er die Bedeutung der genialen Schöpferkraft und unterlag der dialektischen Entwicklung seiner Gefühle. Die natürliche Folge war eine Absage an die Genossen der Arbeit. Aber auch deren Zeit bei den „Grenzboten" hatte sich
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Zum fünfundsiebzigsten Geburtstag der „Grenzboten"
Wechsel der Zeiten in den Blättern. Immer mehr fanden sie ihr Genüge im
Dienst der deutschen Heimat, wenn sie auch heute noch über die Grenzen
greifen, so weit sie deutsche Brüderbande fassen. Bedeutsam wurde für die
„Grenzboten", daß Friedrich Wilhelm der Vierte am 3. Februar 1847 den
Vereinigten Landtag einberufen hatte. Sie wurden dadurch genötigt, sich in
erster Linie mit preußischen Angelegenheiten zu befassen. Eine Reihe auf-
fehenerregender Artikel über preußische Verhältnisse aus der Feder des damals
noch völlig unbekannten Berliner Realschulleyrers Julian Schmidt trugen
diesem eine Aufforderung Kurandas ein. probeweise in die Redaktion der
„Grenzboten" einzutreten. Damit gewann das Preußentum in den „Grenz¬
boten" festen Boden. Überdies verschlugen die Wogen der Februarrevolution
Knranda nach Wien, wo er sich bald überzeugte, daß die veränderten Ver¬
hältnisse der österreichischen Wirksamkeit der „Grenzboten" Schranken setzten.
Sie hatten ihre Misston erfüllt, als sie in den Jahren der Bedrückung den
Deutsch-Österreichern für ihre Klagen und Wünsche Gastrecht gewährten. Nun¬
mehr war die Preßfreiheit in Österreich im ausgedehntesten Maße hergestellt.
Der Abschluß der ersten Entwicklungsperiode der „Grenzboten" der somit er¬
reicht war. und der Wunsch Julian Schmidts, sie jetzt in den Dienst rein
deutscher Interessen zu stellen, sowie auch seinen persönlichen Standpunkt in
erster Reihe geltend zu machen, führten dazu, daß er 1847 in Gemeinschaft
mit Gustav Freytag die Leitung der grünen Hefte aus den Händen des be¬
währten Begründers übernahm.
Die revolutionäre Bewegung war abgeebbt, aber die Geister waren
auseinandergestäubt wie Spreu vom Winde. Die neue liberale Grenzboten¬
redaktion suchte eine Partei um sich zu sammeln zur Reformarbeit auf Grund
dessen, was durch die Revolution erreicht worden war. „Die Grenzboten
werden den Regierungen gegenüber entschiedene Demokraten sein, gegen die
Launen und den Unverstand der Masse die Aristokratie der Bildung und des
Rechts vertreten" — so lautete das Programm der neuen Redaktion. Gustav
Freytags politische Anschauungen und somit der Standpunkt, den er in der
Redaktion vertrat, ist erst kürzlich anläßlich seines hundertsten Geburtstags in
den Grenzboten geschildert worden.*) Julian Schmidt vor allen war es, der
immer wieder die Notwendigkeit einer organischen Entwicklung dessen, was sich
als lebensfähig erweisen sollte, betonte und den Preußen den hohen Wert ihres
Staates vor Augen führte. Aber den Junker Bismarck, dessen Stern zu
leuchten begann, haßte und bekämpfte er. Er fand einen Bundesgenossen in
Moritz Busch, der sich der Redaktion zugesellt hatte. Auch Busch verabscheute
Bismarck als den Hauptfeind des Liberalismus, aber im Kampf mit ihm
erkannte er die Bedeutung der genialen Schöpferkraft und unterlag der dialektischen
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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/15>, abgerufen am 25.01.2025.
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