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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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U)ohin geht Rußland?

Nach uns. nach Tolstoj und Dostojewski, istScmftmut. "Geduld". "Untätigkeit",
nach Gorki aber ist Empörung, Tätigkeit, "höchst wahres, höchst russisches".*)
Und wenn Rußland nicht nur irgend woher gekommen ist, sondern auch irgend¬
wohin geht, so hat Gorki darin mehr recht als Tolstoj und Dostojewski. Darin
ist das sündhafte Rußland heiliger als das "heilige."

Und ist nicht eine größere Liebe nötig, um ein sündhaftes Rußland mehr
zu lieben als ein heiliges? Ist nicht ein größerer Glaube nötig, um an ein
sündhaftes zu glauben? Mit solcher Liebe liebt, mit solchem Glauben glaubt
Gorki.

"Nicht nur dadurch erregt unser Leben Staunen, daß es eine so fruchtbare
und fette Schicht jeglichen viehischen Schmutzes enthält, sondern auch dadurch,
daß durch diese Schicht hindurch etwas Gutes wächst, indem die unverwüstliche
Hoffnung auf unsere Wiedergeburt zu einem hellen, menschlichen Leben erwacht".

Niemand hat jemals von dieser Hoffnung so geredet wie Gorki, weil
wiederum alle von der Seite, von außen her geredet haben, er aber -- von
innen heraus. Man muß selbst durch die Finsternis der Vergangenheit und
Gegenwart Rußlands hindurchgehen, um von der leuchtenden Zukunft Rußlands
zu reden.

Ja, nicht an ein "heiliges", sanftmütiges, sklavisches, sondern an ein sünd"
Haftes, sich empörendes, sich befreiendes Nußland glaubt Gorki. Er weiß, daß
es kein "heiliges" Rußland gibt, glaubt aber, daß es ein "heiliges" Rußland
geben wird.

Eben durch diesen Glauben vollbringt er, der "Gottlose", Gottes Werk,
durch ihn ist er uns nahe, näher als Tolstoj und Dostojewski. Hier sind wir
schon nicht mehr mit ihnen, sondern mit Gorki.





Wörtlich: etwas entsetzlich wahres, entsetzlich russisches.
U)ohin geht Rußland?

Nach uns. nach Tolstoj und Dostojewski, istScmftmut. „Geduld". „Untätigkeit",
nach Gorki aber ist Empörung, Tätigkeit, „höchst wahres, höchst russisches".*)
Und wenn Rußland nicht nur irgend woher gekommen ist, sondern auch irgend¬
wohin geht, so hat Gorki darin mehr recht als Tolstoj und Dostojewski. Darin
ist das sündhafte Rußland heiliger als das „heilige."

Und ist nicht eine größere Liebe nötig, um ein sündhaftes Rußland mehr
zu lieben als ein heiliges? Ist nicht ein größerer Glaube nötig, um an ein
sündhaftes zu glauben? Mit solcher Liebe liebt, mit solchem Glauben glaubt
Gorki.

„Nicht nur dadurch erregt unser Leben Staunen, daß es eine so fruchtbare
und fette Schicht jeglichen viehischen Schmutzes enthält, sondern auch dadurch,
daß durch diese Schicht hindurch etwas Gutes wächst, indem die unverwüstliche
Hoffnung auf unsere Wiedergeburt zu einem hellen, menschlichen Leben erwacht".

Niemand hat jemals von dieser Hoffnung so geredet wie Gorki, weil
wiederum alle von der Seite, von außen her geredet haben, er aber — von
innen heraus. Man muß selbst durch die Finsternis der Vergangenheit und
Gegenwart Rußlands hindurchgehen, um von der leuchtenden Zukunft Rußlands
zu reden.

Ja, nicht an ein „heiliges", sanftmütiges, sklavisches, sondern an ein sünd»
Haftes, sich empörendes, sich befreiendes Nußland glaubt Gorki. Er weiß, daß
es kein „heiliges" Rußland gibt, glaubt aber, daß es ein „heiliges" Rußland
geben wird.

Eben durch diesen Glauben vollbringt er, der „Gottlose", Gottes Werk,
durch ihn ist er uns nahe, näher als Tolstoj und Dostojewski. Hier sind wir
schon nicht mehr mit ihnen, sondern mit Gorki.





Wörtlich: etwas entsetzlich wahres, entsetzlich russisches.
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[0133] U)ohin geht Rußland? Nach uns. nach Tolstoj und Dostojewski, istScmftmut. „Geduld". „Untätigkeit", nach Gorki aber ist Empörung, Tätigkeit, „höchst wahres, höchst russisches".*) Und wenn Rußland nicht nur irgend woher gekommen ist, sondern auch irgend¬ wohin geht, so hat Gorki darin mehr recht als Tolstoj und Dostojewski. Darin ist das sündhafte Rußland heiliger als das „heilige." Und ist nicht eine größere Liebe nötig, um ein sündhaftes Rußland mehr zu lieben als ein heiliges? Ist nicht ein größerer Glaube nötig, um an ein sündhaftes zu glauben? Mit solcher Liebe liebt, mit solchem Glauben glaubt Gorki. „Nicht nur dadurch erregt unser Leben Staunen, daß es eine so fruchtbare und fette Schicht jeglichen viehischen Schmutzes enthält, sondern auch dadurch, daß durch diese Schicht hindurch etwas Gutes wächst, indem die unverwüstliche Hoffnung auf unsere Wiedergeburt zu einem hellen, menschlichen Leben erwacht". Niemand hat jemals von dieser Hoffnung so geredet wie Gorki, weil wiederum alle von der Seite, von außen her geredet haben, er aber — von innen heraus. Man muß selbst durch die Finsternis der Vergangenheit und Gegenwart Rußlands hindurchgehen, um von der leuchtenden Zukunft Rußlands zu reden. Ja, nicht an ein „heiliges", sanftmütiges, sklavisches, sondern an ein sünd» Haftes, sich empörendes, sich befreiendes Nußland glaubt Gorki. Er weiß, daß es kein „heiliges" Rußland gibt, glaubt aber, daß es ein „heiliges" Rußland geben wird. Eben durch diesen Glauben vollbringt er, der „Gottlose", Gottes Werk, durch ihn ist er uns nahe, näher als Tolstoj und Dostojewski. Hier sind wir schon nicht mehr mit ihnen, sondern mit Gorki. Wörtlich: etwas entsetzlich wahres, entsetzlich russisches.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/133>, abgerufen am 23.07.2024.