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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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vom Krieg zum inneren Frieden

Daß die nationale Einigkeit vor dem Kriege viel zu wünschen übrig ließ,
ist eine betrübende Wahrnehmung, an der von warmherzigen Patrioten häufig
genug bedauernd und anklagend bittere Kritik geübt worden ist. Sichtbare
Erfolge hat aber diese Erkenntnis des unser Ansehen schmälernden Übels nicht
gezeitigt. Wohlmeinende Vorschläge zur Ausmerzung des nationalen Schwäche¬
zustandes sind ungehört verhallt und vereinzelte Versuche, so etwas wie einen
Umschwung herbeizuführen, sind an den zähen Widerständen kleinmenschlichen
Eigennutzes gescheitert. Es mußten offenbar stärkere Triebe der nationalen
Entwicklung eingefügt werden, um deren Lauf in einheitlichere Richtung zu
lenken. Vom Kriege könnten die Kräfte zu einer solchen inneren Erneuerung
ausgehen, wenn ein überragender Wille die auseinandertretenden Auffassungen
auf bestimmte große nationale Gesichtspunkte zu einigen vermag. Gelingt es
uns. ein staatliches Programm in allgemeinen Umrissen gegenüber den vielen
einzelnen Programmen der politischen Parteien und wirtschaftlichen Organisationen
als gemeinsame nationale Richtlinie voranzustellen und zur freiwilligen An¬
erkennung der großen Mehrheit des deutschen Volkes zu bringen, dann könnte
damit ein Fundament besseren Zusammenhalts im Innern wenigstens für die
Grundfragen, von denen die Zukunft Deutschlands abhängt, sich ausrichten
lassen. Die Verwirklichung dieses Programms der Programme -- wenn wir
es so nennen dürfen! -- ist freilich wesentlich bedingt von der zwingenden
Betätigung eines Machtwillens, der, wie die Dinge im Deutschen Reich liegen,
nur von einem klugen, weitblickenden und überlegenen Staatsmann aus¬
gehen kann.

Als Probleme, die dem unaufhörlichen Hineinzerren in die Tageskämpfe
in der Hauptsache entrückt werden könnten, erscheinen uns geeignet: Aufrecht¬
erhaltung und Ausbau der deutschen Wehrmacht zu Lande und zu Wasser
(wieviel verbitternder Hader ist aus dem Streit um den "Militarismus", der
in diesem Kriege unvergängliche Verdienste sich erworben hat, entstanden!); die
unversehrte Bewahrung der verfassungsmäßigen monarchischen Einrichtungen
(also die grundsätzliche Abweisung aller Maulwurfs arbeit zur Unterwühlung
der Monarchie!); die unzweideutige Scheidung der Rechte und Pflichten zwischen
dem Reich und den Bundesstaaten (auch die Verteilung der Steuern würde
hierhergehören, schon um den endlosen akademischen Auseinandersetzungen über
Wert oder Unwert der direkten und indirekten Steuern ein Ende zu machen!);
die Festlegung der Wirtschaftspolitik (das Bekenntnis zum Schutz der nationalen
Arbeit müßte nach den jüngsten Erfahrungen aus den parlamentarischen
Erörterungen im großen und ganzen sich ausschalten lassen!); Fortbildung der
Selbstverwaltung unter Respektierung der übergeordneten staatlichen Autorität.
Noch manche andere Prinzipienfragen ließen sich anführen, über die, wie uns
dünkt, eine Verständigung in breitem Umfange sich wohl bewirken ließe, ohne
daß den Überzeugungen der einzelnen Parteien Gewalt angetan werden müßte.
Zu jedem Sonderthema könnten abweichende Meinungen trotzdem ausgespielt


vom Krieg zum inneren Frieden

Daß die nationale Einigkeit vor dem Kriege viel zu wünschen übrig ließ,
ist eine betrübende Wahrnehmung, an der von warmherzigen Patrioten häufig
genug bedauernd und anklagend bittere Kritik geübt worden ist. Sichtbare
Erfolge hat aber diese Erkenntnis des unser Ansehen schmälernden Übels nicht
gezeitigt. Wohlmeinende Vorschläge zur Ausmerzung des nationalen Schwäche¬
zustandes sind ungehört verhallt und vereinzelte Versuche, so etwas wie einen
Umschwung herbeizuführen, sind an den zähen Widerständen kleinmenschlichen
Eigennutzes gescheitert. Es mußten offenbar stärkere Triebe der nationalen
Entwicklung eingefügt werden, um deren Lauf in einheitlichere Richtung zu
lenken. Vom Kriege könnten die Kräfte zu einer solchen inneren Erneuerung
ausgehen, wenn ein überragender Wille die auseinandertretenden Auffassungen
auf bestimmte große nationale Gesichtspunkte zu einigen vermag. Gelingt es
uns. ein staatliches Programm in allgemeinen Umrissen gegenüber den vielen
einzelnen Programmen der politischen Parteien und wirtschaftlichen Organisationen
als gemeinsame nationale Richtlinie voranzustellen und zur freiwilligen An¬
erkennung der großen Mehrheit des deutschen Volkes zu bringen, dann könnte
damit ein Fundament besseren Zusammenhalts im Innern wenigstens für die
Grundfragen, von denen die Zukunft Deutschlands abhängt, sich ausrichten
lassen. Die Verwirklichung dieses Programms der Programme — wenn wir
es so nennen dürfen! — ist freilich wesentlich bedingt von der zwingenden
Betätigung eines Machtwillens, der, wie die Dinge im Deutschen Reich liegen,
nur von einem klugen, weitblickenden und überlegenen Staatsmann aus¬
gehen kann.

Als Probleme, die dem unaufhörlichen Hineinzerren in die Tageskämpfe
in der Hauptsache entrückt werden könnten, erscheinen uns geeignet: Aufrecht¬
erhaltung und Ausbau der deutschen Wehrmacht zu Lande und zu Wasser
(wieviel verbitternder Hader ist aus dem Streit um den „Militarismus", der
in diesem Kriege unvergängliche Verdienste sich erworben hat, entstanden!); die
unversehrte Bewahrung der verfassungsmäßigen monarchischen Einrichtungen
(also die grundsätzliche Abweisung aller Maulwurfs arbeit zur Unterwühlung
der Monarchie!); die unzweideutige Scheidung der Rechte und Pflichten zwischen
dem Reich und den Bundesstaaten (auch die Verteilung der Steuern würde
hierhergehören, schon um den endlosen akademischen Auseinandersetzungen über
Wert oder Unwert der direkten und indirekten Steuern ein Ende zu machen!);
die Festlegung der Wirtschaftspolitik (das Bekenntnis zum Schutz der nationalen
Arbeit müßte nach den jüngsten Erfahrungen aus den parlamentarischen
Erörterungen im großen und ganzen sich ausschalten lassen!); Fortbildung der
Selbstverwaltung unter Respektierung der übergeordneten staatlichen Autorität.
Noch manche andere Prinzipienfragen ließen sich anführen, über die, wie uns
dünkt, eine Verständigung in breitem Umfange sich wohl bewirken ließe, ohne
daß den Überzeugungen der einzelnen Parteien Gewalt angetan werden müßte.
Zu jedem Sonderthema könnten abweichende Meinungen trotzdem ausgespielt


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[0078] vom Krieg zum inneren Frieden Daß die nationale Einigkeit vor dem Kriege viel zu wünschen übrig ließ, ist eine betrübende Wahrnehmung, an der von warmherzigen Patrioten häufig genug bedauernd und anklagend bittere Kritik geübt worden ist. Sichtbare Erfolge hat aber diese Erkenntnis des unser Ansehen schmälernden Übels nicht gezeitigt. Wohlmeinende Vorschläge zur Ausmerzung des nationalen Schwäche¬ zustandes sind ungehört verhallt und vereinzelte Versuche, so etwas wie einen Umschwung herbeizuführen, sind an den zähen Widerständen kleinmenschlichen Eigennutzes gescheitert. Es mußten offenbar stärkere Triebe der nationalen Entwicklung eingefügt werden, um deren Lauf in einheitlichere Richtung zu lenken. Vom Kriege könnten die Kräfte zu einer solchen inneren Erneuerung ausgehen, wenn ein überragender Wille die auseinandertretenden Auffassungen auf bestimmte große nationale Gesichtspunkte zu einigen vermag. Gelingt es uns. ein staatliches Programm in allgemeinen Umrissen gegenüber den vielen einzelnen Programmen der politischen Parteien und wirtschaftlichen Organisationen als gemeinsame nationale Richtlinie voranzustellen und zur freiwilligen An¬ erkennung der großen Mehrheit des deutschen Volkes zu bringen, dann könnte damit ein Fundament besseren Zusammenhalts im Innern wenigstens für die Grundfragen, von denen die Zukunft Deutschlands abhängt, sich ausrichten lassen. Die Verwirklichung dieses Programms der Programme — wenn wir es so nennen dürfen! — ist freilich wesentlich bedingt von der zwingenden Betätigung eines Machtwillens, der, wie die Dinge im Deutschen Reich liegen, nur von einem klugen, weitblickenden und überlegenen Staatsmann aus¬ gehen kann. Als Probleme, die dem unaufhörlichen Hineinzerren in die Tageskämpfe in der Hauptsache entrückt werden könnten, erscheinen uns geeignet: Aufrecht¬ erhaltung und Ausbau der deutschen Wehrmacht zu Lande und zu Wasser (wieviel verbitternder Hader ist aus dem Streit um den „Militarismus", der in diesem Kriege unvergängliche Verdienste sich erworben hat, entstanden!); die unversehrte Bewahrung der verfassungsmäßigen monarchischen Einrichtungen (also die grundsätzliche Abweisung aller Maulwurfs arbeit zur Unterwühlung der Monarchie!); die unzweideutige Scheidung der Rechte und Pflichten zwischen dem Reich und den Bundesstaaten (auch die Verteilung der Steuern würde hierhergehören, schon um den endlosen akademischen Auseinandersetzungen über Wert oder Unwert der direkten und indirekten Steuern ein Ende zu machen!); die Festlegung der Wirtschaftspolitik (das Bekenntnis zum Schutz der nationalen Arbeit müßte nach den jüngsten Erfahrungen aus den parlamentarischen Erörterungen im großen und ganzen sich ausschalten lassen!); Fortbildung der Selbstverwaltung unter Respektierung der übergeordneten staatlichen Autorität. Noch manche andere Prinzipienfragen ließen sich anführen, über die, wie uns dünkt, eine Verständigung in breitem Umfange sich wohl bewirken ließe, ohne daß den Überzeugungen der einzelnen Parteien Gewalt angetan werden müßte. Zu jedem Sonderthema könnten abweichende Meinungen trotzdem ausgespielt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/78>, abgerufen am 25.08.2024.