Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

In Schottland kamen im achtzehnten und im Beginn des neunzehnten
Jahrhunderts die Clanshäuptlinge auf den Rat römisch geschulter Juristen
auf den Gedanken, ihre lehensherrlichen Obereigentümerrechte am Boden ein¬
fach als das begrifflich durch seine Einfachheit und Lastenfreiheit so bestechende
römische Eigentum und die Nutzungsrechte der Clansleute folgertchtigerweise
als einfache Pacht aufzufassen -- mit der Wirkung, daß diese Leute zu Tausenden
gekündigt und ausgetrieben wurden; ein Raubzug im Großen, ausgeführt
mittelst jener menschlich besonders abstoßenden "Mischung von Straßenrand
und Advokatenkniff", nach dem treffenden Ausdruck Carlyles, die Ludwig der
Vierzehnte bei der Angliederung, der "Reunion", des Elsasses und Napoleon
unter anderen bei der Wegnahme von Holland nach dem Recht der "Alluvion"
anwendete.

Das römische Recht hat bekanntlich bewegliche Habe und Liegenschaften
rechtlich grundsätzlich gleichgestellt. Das deutsche Recht hat diese beiden tat¬
sächlich und wirtschaftlich völlig verschiedenen Güter ebenso grundsätzlich aus-
einanderzehalten und diesen Standpunkt auch nach der Aufnahme des römischen
Rechts festgehalten. Unser Gesetzbuch faßt bekanntlich Grundstücke und Fahrnis
unter den gemeinsamen Begriff der körperlichen Sache zusammen, aber eigentlich
nur auf dem Papier. Tatsächlich ist Liegenschaftsrecht und Fahrnisrecht in
unserem Gesetzbuch durchaus unterschieden geregelt, wie es auch nicht anders
sein kann. Nur ganz wenige Rechtssätze gelten gemeinsam für beide Arten
von Sachen.

Es ist hier nicht der Platz, die gewaltige, geradezu für das ganze
Schicksal der antiken Kultur ausschlaggebende Bedeutung der Tatsache zu er¬
örtern, daß das römische Recht kein Agrarrecht ausgebildet hat, sondern die
für das bewegliche Kapital bestimmten und mit entwickelter Wirtschaft immer
im Sinne rein mammomstischer Gesellschaftsgliederung wirkenden Rechtssätze ein¬
fach auf den Grund und Boden übertrug.

Die deutsche Rechtsordnung hat sich ein besonderes Liegenfchaftsrecht nicht
ganz rauben lassen, auch nicht durch die Annahme des römischen Rechts und
die Renaissance -- jene schweren aber zu unserem Heile doch nicht ganz ver¬
nichtenden Schläge, die dem deutschen Wesen durch nachwirkende klassizistische
Einflüsse zugefügt wurden.

Es kann wie gesagt hier nicht weiter ausgeführt werden, wie diese Ver¬
schiedenheit der deutschen gegenüber der römischen Rechtsordnung auf politisch-
sozialem Gebiet und selbst darüber hinaus für die beiden selbständigen Kultur¬
formen kennzeichnend ist, die die europäische Geschichte bisher erlebt hat: für
den Gegensatz der mittelmeerländisch-antiken, hellenistisch-semitischen Kulturform
zur nordeuropäisch-christlichen, germanischen Kultur.

In einer Richtung nun hängt aber dieser sehr umfassende, man kann
ruhig sagen, dieser weltgeschichtliche Gegensatz sehr nahe mit unserer eng be¬
grenzten Bodenfrage zusammen. Wir sind immer noch beeinflußt von jener


In Schottland kamen im achtzehnten und im Beginn des neunzehnten
Jahrhunderts die Clanshäuptlinge auf den Rat römisch geschulter Juristen
auf den Gedanken, ihre lehensherrlichen Obereigentümerrechte am Boden ein¬
fach als das begrifflich durch seine Einfachheit und Lastenfreiheit so bestechende
römische Eigentum und die Nutzungsrechte der Clansleute folgertchtigerweise
als einfache Pacht aufzufassen — mit der Wirkung, daß diese Leute zu Tausenden
gekündigt und ausgetrieben wurden; ein Raubzug im Großen, ausgeführt
mittelst jener menschlich besonders abstoßenden „Mischung von Straßenrand
und Advokatenkniff", nach dem treffenden Ausdruck Carlyles, die Ludwig der
Vierzehnte bei der Angliederung, der „Reunion", des Elsasses und Napoleon
unter anderen bei der Wegnahme von Holland nach dem Recht der „Alluvion"
anwendete.

Das römische Recht hat bekanntlich bewegliche Habe und Liegenschaften
rechtlich grundsätzlich gleichgestellt. Das deutsche Recht hat diese beiden tat¬
sächlich und wirtschaftlich völlig verschiedenen Güter ebenso grundsätzlich aus-
einanderzehalten und diesen Standpunkt auch nach der Aufnahme des römischen
Rechts festgehalten. Unser Gesetzbuch faßt bekanntlich Grundstücke und Fahrnis
unter den gemeinsamen Begriff der körperlichen Sache zusammen, aber eigentlich
nur auf dem Papier. Tatsächlich ist Liegenschaftsrecht und Fahrnisrecht in
unserem Gesetzbuch durchaus unterschieden geregelt, wie es auch nicht anders
sein kann. Nur ganz wenige Rechtssätze gelten gemeinsam für beide Arten
von Sachen.

Es ist hier nicht der Platz, die gewaltige, geradezu für das ganze
Schicksal der antiken Kultur ausschlaggebende Bedeutung der Tatsache zu er¬
örtern, daß das römische Recht kein Agrarrecht ausgebildet hat, sondern die
für das bewegliche Kapital bestimmten und mit entwickelter Wirtschaft immer
im Sinne rein mammomstischer Gesellschaftsgliederung wirkenden Rechtssätze ein¬
fach auf den Grund und Boden übertrug.

Die deutsche Rechtsordnung hat sich ein besonderes Liegenfchaftsrecht nicht
ganz rauben lassen, auch nicht durch die Annahme des römischen Rechts und
die Renaissance — jene schweren aber zu unserem Heile doch nicht ganz ver¬
nichtenden Schläge, die dem deutschen Wesen durch nachwirkende klassizistische
Einflüsse zugefügt wurden.

Es kann wie gesagt hier nicht weiter ausgeführt werden, wie diese Ver¬
schiedenheit der deutschen gegenüber der römischen Rechtsordnung auf politisch-
sozialem Gebiet und selbst darüber hinaus für die beiden selbständigen Kultur¬
formen kennzeichnend ist, die die europäische Geschichte bisher erlebt hat: für
den Gegensatz der mittelmeerländisch-antiken, hellenistisch-semitischen Kulturform
zur nordeuropäisch-christlichen, germanischen Kultur.

In einer Richtung nun hängt aber dieser sehr umfassende, man kann
ruhig sagen, dieser weltgeschichtliche Gegensatz sehr nahe mit unserer eng be¬
grenzten Bodenfrage zusammen. Wir sind immer noch beeinflußt von jener


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0070" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330608"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_220"> In Schottland kamen im achtzehnten und im Beginn des neunzehnten<lb/>
Jahrhunderts die Clanshäuptlinge auf den Rat römisch geschulter Juristen<lb/>
auf den Gedanken, ihre lehensherrlichen Obereigentümerrechte am Boden ein¬<lb/>
fach als das begrifflich durch seine Einfachheit und Lastenfreiheit so bestechende<lb/>
römische Eigentum und die Nutzungsrechte der Clansleute folgertchtigerweise<lb/>
als einfache Pacht aufzufassen &#x2014; mit der Wirkung, daß diese Leute zu Tausenden<lb/>
gekündigt und ausgetrieben wurden; ein Raubzug im Großen, ausgeführt<lb/>
mittelst jener menschlich besonders abstoßenden &#x201E;Mischung von Straßenrand<lb/>
und Advokatenkniff", nach dem treffenden Ausdruck Carlyles, die Ludwig der<lb/>
Vierzehnte bei der Angliederung, der &#x201E;Reunion", des Elsasses und Napoleon<lb/>
unter anderen bei der Wegnahme von Holland nach dem Recht der &#x201E;Alluvion"<lb/>
anwendete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_221"> Das römische Recht hat bekanntlich bewegliche Habe und Liegenschaften<lb/>
rechtlich grundsätzlich gleichgestellt. Das deutsche Recht hat diese beiden tat¬<lb/>
sächlich und wirtschaftlich völlig verschiedenen Güter ebenso grundsätzlich aus-<lb/>
einanderzehalten und diesen Standpunkt auch nach der Aufnahme des römischen<lb/>
Rechts festgehalten. Unser Gesetzbuch faßt bekanntlich Grundstücke und Fahrnis<lb/>
unter den gemeinsamen Begriff der körperlichen Sache zusammen, aber eigentlich<lb/>
nur auf dem Papier. Tatsächlich ist Liegenschaftsrecht und Fahrnisrecht in<lb/>
unserem Gesetzbuch durchaus unterschieden geregelt, wie es auch nicht anders<lb/>
sein kann. Nur ganz wenige Rechtssätze gelten gemeinsam für beide Arten<lb/>
von Sachen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_222"> Es ist hier nicht der Platz, die gewaltige, geradezu für das ganze<lb/>
Schicksal der antiken Kultur ausschlaggebende Bedeutung der Tatsache zu er¬<lb/>
örtern, daß das römische Recht kein Agrarrecht ausgebildet hat, sondern die<lb/>
für das bewegliche Kapital bestimmten und mit entwickelter Wirtschaft immer<lb/>
im Sinne rein mammomstischer Gesellschaftsgliederung wirkenden Rechtssätze ein¬<lb/>
fach auf den Grund und Boden übertrug.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_223"> Die deutsche Rechtsordnung hat sich ein besonderes Liegenfchaftsrecht nicht<lb/>
ganz rauben lassen, auch nicht durch die Annahme des römischen Rechts und<lb/>
die Renaissance &#x2014; jene schweren aber zu unserem Heile doch nicht ganz ver¬<lb/>
nichtenden Schläge, die dem deutschen Wesen durch nachwirkende klassizistische<lb/>
Einflüsse zugefügt wurden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_224"> Es kann wie gesagt hier nicht weiter ausgeführt werden, wie diese Ver¬<lb/>
schiedenheit der deutschen gegenüber der römischen Rechtsordnung auf politisch-<lb/>
sozialem Gebiet und selbst darüber hinaus für die beiden selbständigen Kultur¬<lb/>
formen kennzeichnend ist, die die europäische Geschichte bisher erlebt hat: für<lb/>
den Gegensatz der mittelmeerländisch-antiken, hellenistisch-semitischen Kulturform<lb/>
zur nordeuropäisch-christlichen, germanischen Kultur.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_225" next="#ID_226"> In einer Richtung nun hängt aber dieser sehr umfassende, man kann<lb/>
ruhig sagen, dieser weltgeschichtliche Gegensatz sehr nahe mit unserer eng be¬<lb/>
grenzten Bodenfrage zusammen.  Wir sind immer noch beeinflußt von jener</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0070] In Schottland kamen im achtzehnten und im Beginn des neunzehnten Jahrhunderts die Clanshäuptlinge auf den Rat römisch geschulter Juristen auf den Gedanken, ihre lehensherrlichen Obereigentümerrechte am Boden ein¬ fach als das begrifflich durch seine Einfachheit und Lastenfreiheit so bestechende römische Eigentum und die Nutzungsrechte der Clansleute folgertchtigerweise als einfache Pacht aufzufassen — mit der Wirkung, daß diese Leute zu Tausenden gekündigt und ausgetrieben wurden; ein Raubzug im Großen, ausgeführt mittelst jener menschlich besonders abstoßenden „Mischung von Straßenrand und Advokatenkniff", nach dem treffenden Ausdruck Carlyles, die Ludwig der Vierzehnte bei der Angliederung, der „Reunion", des Elsasses und Napoleon unter anderen bei der Wegnahme von Holland nach dem Recht der „Alluvion" anwendete. Das römische Recht hat bekanntlich bewegliche Habe und Liegenschaften rechtlich grundsätzlich gleichgestellt. Das deutsche Recht hat diese beiden tat¬ sächlich und wirtschaftlich völlig verschiedenen Güter ebenso grundsätzlich aus- einanderzehalten und diesen Standpunkt auch nach der Aufnahme des römischen Rechts festgehalten. Unser Gesetzbuch faßt bekanntlich Grundstücke und Fahrnis unter den gemeinsamen Begriff der körperlichen Sache zusammen, aber eigentlich nur auf dem Papier. Tatsächlich ist Liegenschaftsrecht und Fahrnisrecht in unserem Gesetzbuch durchaus unterschieden geregelt, wie es auch nicht anders sein kann. Nur ganz wenige Rechtssätze gelten gemeinsam für beide Arten von Sachen. Es ist hier nicht der Platz, die gewaltige, geradezu für das ganze Schicksal der antiken Kultur ausschlaggebende Bedeutung der Tatsache zu er¬ örtern, daß das römische Recht kein Agrarrecht ausgebildet hat, sondern die für das bewegliche Kapital bestimmten und mit entwickelter Wirtschaft immer im Sinne rein mammomstischer Gesellschaftsgliederung wirkenden Rechtssätze ein¬ fach auf den Grund und Boden übertrug. Die deutsche Rechtsordnung hat sich ein besonderes Liegenfchaftsrecht nicht ganz rauben lassen, auch nicht durch die Annahme des römischen Rechts und die Renaissance — jene schweren aber zu unserem Heile doch nicht ganz ver¬ nichtenden Schläge, die dem deutschen Wesen durch nachwirkende klassizistische Einflüsse zugefügt wurden. Es kann wie gesagt hier nicht weiter ausgeführt werden, wie diese Ver¬ schiedenheit der deutschen gegenüber der römischen Rechtsordnung auf politisch- sozialem Gebiet und selbst darüber hinaus für die beiden selbständigen Kultur¬ formen kennzeichnend ist, die die europäische Geschichte bisher erlebt hat: für den Gegensatz der mittelmeerländisch-antiken, hellenistisch-semitischen Kulturform zur nordeuropäisch-christlichen, germanischen Kultur. In einer Richtung nun hängt aber dieser sehr umfassende, man kann ruhig sagen, dieser weltgeschichtliche Gegensatz sehr nahe mit unserer eng be¬ grenzten Bodenfrage zusammen. Wir sind immer noch beeinflußt von jener

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/70
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/70>, abgerufen am 03.07.2024.