Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Tandvergabung nach Lehenrecht

gemeinsamen Benutzungsrechte irgendwie sichernde Rechtsform finden müssen.
Daß wir, unter dem Druck individualistischer Denkweisen, juristisch heute die
Rechtsstellung der öffentlichen Sachen dieser Art als ein Privateigentum der
betreffenden Körperschaft, mit gewissen öffentlich rechtlichen Beschränkungen dieses
Privateigentums, auffassen, ist nur eine Konstruktion, und zwar eine dem Sach¬
verhältnis Zwang antuende Konstruktion.

Die Besitzform des ausschließlichen Privateigentums einzelner oder doch
ganz enger sozialer Gruppen wie der Familie -- wie beim Familienfideikomiß
und im Grund bei allen gebundenen Güterformen, wenn es auch juristisch
nicht so formuliert wird -- wird auf entwickelten Wirtschaftsstufen immer eine
und sogar die vorherrschende Form der Verteilung auch des Grund und
Bodens bleiben müssen, weil die Beweglichkeit, Anpassungsfähigkeit und Arbeits¬
energie des Eigennutzes und Eigeninteresses sich durch keinen sozialen Beweger,
wie Zwang. Pflichtgefühl, Gemeinsinn oder Entsprechendes ersetzen läßt.
Mindestens bei den arischen Völkern ist nachweisbar der vorherrschende Sozial¬
besitz gerade für die anfänglichen Zustände und für eine rohe Entwicklungsstufe
kennzeichnend; und umgekehrt ist das selbständigere Hervortreten der Persönlich¬
keit und ein erweiterter Wirkungsraum des Einzelwesens gegenüber den es
umfassenden sozialen Verbänden ein Kennzeichen höherer Kulturstufe auf den
verschiedensten Gebieten der Kulturtätigkeit. Sozialismus, hier Gemeineigentum
des gesamten Bodens, ist nicht ein Ziel, sondern vielmehr eine Kindhettsstufe
der wirtschaftlichen Entwicklung, die z. B. Rußland jetzt erst, mit den Agrarreformen
Kriwoscheins, zu überwinden im Begriffe war.

Den Ausgleich zwischen dem Gesamtinteresse auf der einen Seite und der
notwendigen Rücksicht auf das Einzelwesen -- nicht um dessentwillen, sondern
mittelbar auch lediglich wegen der Gesamtheit, weil nämlich die Arbeitsenergie
des Eigennutzes in der Gesamtarbeitssumme nicht zu entbehren ist -- scheint
mir nun für die Bodenfrage die Vergabung nach Lehenrecht in vollendeter
Weise darzustellen. Als das Wesen dieser Landvergabungsform wird dabei
hier angesehen, daß der von der Gesamtheit vergebene Boden veräußert wird
an den derzeitigen Nachfrager und die Nachkommen dieses ersten Lehens-
nehmers; mit völlig freier Bestimmung über die Wirtschaftsart des Grund¬
stücks, über dessen Veränderung; mit dem Recht der Weiterüberlassung, auch
der Vererbpachtung für seine Besitzzeit; nur eben mit der Schranke, daß das
Grundstück mit dem Aussterben der Nachkommen des ersten Redners an die
verleihende öffentlich rechtliche Person zurückfällt und mit diesem Zeitpunkt die
durch den Lehensnehmer für Dritte begründeten Rechte erlöschen.

Diese Vergabungsform enthält einerseits das Maß von individualistischen
Antrieb und Spielraum, das man fordern muß. Wer sicher ist, daß der
Grund und Boden, den er bebaut, unentziehbar ist, solange sein Blut noch
besteht, der fühlt wie ein Eigentümer; er wird nicht durch den Gedanken an
das Erlöschen seines Rechts am Boden in seinen Maßnahmen und Plänen


Tandvergabung nach Lehenrecht

gemeinsamen Benutzungsrechte irgendwie sichernde Rechtsform finden müssen.
Daß wir, unter dem Druck individualistischer Denkweisen, juristisch heute die
Rechtsstellung der öffentlichen Sachen dieser Art als ein Privateigentum der
betreffenden Körperschaft, mit gewissen öffentlich rechtlichen Beschränkungen dieses
Privateigentums, auffassen, ist nur eine Konstruktion, und zwar eine dem Sach¬
verhältnis Zwang antuende Konstruktion.

Die Besitzform des ausschließlichen Privateigentums einzelner oder doch
ganz enger sozialer Gruppen wie der Familie — wie beim Familienfideikomiß
und im Grund bei allen gebundenen Güterformen, wenn es auch juristisch
nicht so formuliert wird — wird auf entwickelten Wirtschaftsstufen immer eine
und sogar die vorherrschende Form der Verteilung auch des Grund und
Bodens bleiben müssen, weil die Beweglichkeit, Anpassungsfähigkeit und Arbeits¬
energie des Eigennutzes und Eigeninteresses sich durch keinen sozialen Beweger,
wie Zwang. Pflichtgefühl, Gemeinsinn oder Entsprechendes ersetzen läßt.
Mindestens bei den arischen Völkern ist nachweisbar der vorherrschende Sozial¬
besitz gerade für die anfänglichen Zustände und für eine rohe Entwicklungsstufe
kennzeichnend; und umgekehrt ist das selbständigere Hervortreten der Persönlich¬
keit und ein erweiterter Wirkungsraum des Einzelwesens gegenüber den es
umfassenden sozialen Verbänden ein Kennzeichen höherer Kulturstufe auf den
verschiedensten Gebieten der Kulturtätigkeit. Sozialismus, hier Gemeineigentum
des gesamten Bodens, ist nicht ein Ziel, sondern vielmehr eine Kindhettsstufe
der wirtschaftlichen Entwicklung, die z. B. Rußland jetzt erst, mit den Agrarreformen
Kriwoscheins, zu überwinden im Begriffe war.

Den Ausgleich zwischen dem Gesamtinteresse auf der einen Seite und der
notwendigen Rücksicht auf das Einzelwesen — nicht um dessentwillen, sondern
mittelbar auch lediglich wegen der Gesamtheit, weil nämlich die Arbeitsenergie
des Eigennutzes in der Gesamtarbeitssumme nicht zu entbehren ist — scheint
mir nun für die Bodenfrage die Vergabung nach Lehenrecht in vollendeter
Weise darzustellen. Als das Wesen dieser Landvergabungsform wird dabei
hier angesehen, daß der von der Gesamtheit vergebene Boden veräußert wird
an den derzeitigen Nachfrager und die Nachkommen dieses ersten Lehens-
nehmers; mit völlig freier Bestimmung über die Wirtschaftsart des Grund¬
stücks, über dessen Veränderung; mit dem Recht der Weiterüberlassung, auch
der Vererbpachtung für seine Besitzzeit; nur eben mit der Schranke, daß das
Grundstück mit dem Aussterben der Nachkommen des ersten Redners an die
verleihende öffentlich rechtliche Person zurückfällt und mit diesem Zeitpunkt die
durch den Lehensnehmer für Dritte begründeten Rechte erlöschen.

Diese Vergabungsform enthält einerseits das Maß von individualistischen
Antrieb und Spielraum, das man fordern muß. Wer sicher ist, daß der
Grund und Boden, den er bebaut, unentziehbar ist, solange sein Blut noch
besteht, der fühlt wie ein Eigentümer; er wird nicht durch den Gedanken an
das Erlöschen seines Rechts am Boden in seinen Maßnahmen und Plänen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0068" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330606"/>
          <fw type="header" place="top"> Tandvergabung nach Lehenrecht</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_212" prev="#ID_211"> gemeinsamen Benutzungsrechte irgendwie sichernde Rechtsform finden müssen.<lb/>
Daß wir, unter dem Druck individualistischer Denkweisen, juristisch heute die<lb/>
Rechtsstellung der öffentlichen Sachen dieser Art als ein Privateigentum der<lb/>
betreffenden Körperschaft, mit gewissen öffentlich rechtlichen Beschränkungen dieses<lb/>
Privateigentums, auffassen, ist nur eine Konstruktion, und zwar eine dem Sach¬<lb/>
verhältnis Zwang antuende Konstruktion.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_213"> Die Besitzform des ausschließlichen Privateigentums einzelner oder doch<lb/>
ganz enger sozialer Gruppen wie der Familie &#x2014; wie beim Familienfideikomiß<lb/>
und im Grund bei allen gebundenen Güterformen, wenn es auch juristisch<lb/>
nicht so formuliert wird &#x2014; wird auf entwickelten Wirtschaftsstufen immer eine<lb/>
und sogar die vorherrschende Form der Verteilung auch des Grund und<lb/>
Bodens bleiben müssen, weil die Beweglichkeit, Anpassungsfähigkeit und Arbeits¬<lb/>
energie des Eigennutzes und Eigeninteresses sich durch keinen sozialen Beweger,<lb/>
wie Zwang. Pflichtgefühl, Gemeinsinn oder Entsprechendes ersetzen läßt.<lb/>
Mindestens bei den arischen Völkern ist nachweisbar der vorherrschende Sozial¬<lb/>
besitz gerade für die anfänglichen Zustände und für eine rohe Entwicklungsstufe<lb/>
kennzeichnend; und umgekehrt ist das selbständigere Hervortreten der Persönlich¬<lb/>
keit und ein erweiterter Wirkungsraum des Einzelwesens gegenüber den es<lb/>
umfassenden sozialen Verbänden ein Kennzeichen höherer Kulturstufe auf den<lb/>
verschiedensten Gebieten der Kulturtätigkeit. Sozialismus, hier Gemeineigentum<lb/>
des gesamten Bodens, ist nicht ein Ziel, sondern vielmehr eine Kindhettsstufe<lb/>
der wirtschaftlichen Entwicklung, die z. B. Rußland jetzt erst, mit den Agrarreformen<lb/>
Kriwoscheins, zu überwinden im Begriffe war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_214"> Den Ausgleich zwischen dem Gesamtinteresse auf der einen Seite und der<lb/>
notwendigen Rücksicht auf das Einzelwesen &#x2014; nicht um dessentwillen, sondern<lb/>
mittelbar auch lediglich wegen der Gesamtheit, weil nämlich die Arbeitsenergie<lb/>
des Eigennutzes in der Gesamtarbeitssumme nicht zu entbehren ist &#x2014; scheint<lb/>
mir nun für die Bodenfrage die Vergabung nach Lehenrecht in vollendeter<lb/>
Weise darzustellen. Als das Wesen dieser Landvergabungsform wird dabei<lb/>
hier angesehen, daß der von der Gesamtheit vergebene Boden veräußert wird<lb/>
an den derzeitigen Nachfrager und die Nachkommen dieses ersten Lehens-<lb/>
nehmers; mit völlig freier Bestimmung über die Wirtschaftsart des Grund¬<lb/>
stücks, über dessen Veränderung; mit dem Recht der Weiterüberlassung, auch<lb/>
der Vererbpachtung für seine Besitzzeit; nur eben mit der Schranke, daß das<lb/>
Grundstück mit dem Aussterben der Nachkommen des ersten Redners an die<lb/>
verleihende öffentlich rechtliche Person zurückfällt und mit diesem Zeitpunkt die<lb/>
durch den Lehensnehmer für Dritte begründeten Rechte erlöschen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_215" next="#ID_216"> Diese Vergabungsform enthält einerseits das Maß von individualistischen<lb/>
Antrieb und Spielraum, das man fordern muß. Wer sicher ist, daß der<lb/>
Grund und Boden, den er bebaut, unentziehbar ist, solange sein Blut noch<lb/>
besteht, der fühlt wie ein Eigentümer; er wird nicht durch den Gedanken an<lb/>
das Erlöschen seines Rechts am Boden in seinen Maßnahmen und Plänen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0068] Tandvergabung nach Lehenrecht gemeinsamen Benutzungsrechte irgendwie sichernde Rechtsform finden müssen. Daß wir, unter dem Druck individualistischer Denkweisen, juristisch heute die Rechtsstellung der öffentlichen Sachen dieser Art als ein Privateigentum der betreffenden Körperschaft, mit gewissen öffentlich rechtlichen Beschränkungen dieses Privateigentums, auffassen, ist nur eine Konstruktion, und zwar eine dem Sach¬ verhältnis Zwang antuende Konstruktion. Die Besitzform des ausschließlichen Privateigentums einzelner oder doch ganz enger sozialer Gruppen wie der Familie — wie beim Familienfideikomiß und im Grund bei allen gebundenen Güterformen, wenn es auch juristisch nicht so formuliert wird — wird auf entwickelten Wirtschaftsstufen immer eine und sogar die vorherrschende Form der Verteilung auch des Grund und Bodens bleiben müssen, weil die Beweglichkeit, Anpassungsfähigkeit und Arbeits¬ energie des Eigennutzes und Eigeninteresses sich durch keinen sozialen Beweger, wie Zwang. Pflichtgefühl, Gemeinsinn oder Entsprechendes ersetzen läßt. Mindestens bei den arischen Völkern ist nachweisbar der vorherrschende Sozial¬ besitz gerade für die anfänglichen Zustände und für eine rohe Entwicklungsstufe kennzeichnend; und umgekehrt ist das selbständigere Hervortreten der Persönlich¬ keit und ein erweiterter Wirkungsraum des Einzelwesens gegenüber den es umfassenden sozialen Verbänden ein Kennzeichen höherer Kulturstufe auf den verschiedensten Gebieten der Kulturtätigkeit. Sozialismus, hier Gemeineigentum des gesamten Bodens, ist nicht ein Ziel, sondern vielmehr eine Kindhettsstufe der wirtschaftlichen Entwicklung, die z. B. Rußland jetzt erst, mit den Agrarreformen Kriwoscheins, zu überwinden im Begriffe war. Den Ausgleich zwischen dem Gesamtinteresse auf der einen Seite und der notwendigen Rücksicht auf das Einzelwesen — nicht um dessentwillen, sondern mittelbar auch lediglich wegen der Gesamtheit, weil nämlich die Arbeitsenergie des Eigennutzes in der Gesamtarbeitssumme nicht zu entbehren ist — scheint mir nun für die Bodenfrage die Vergabung nach Lehenrecht in vollendeter Weise darzustellen. Als das Wesen dieser Landvergabungsform wird dabei hier angesehen, daß der von der Gesamtheit vergebene Boden veräußert wird an den derzeitigen Nachfrager und die Nachkommen dieses ersten Lehens- nehmers; mit völlig freier Bestimmung über die Wirtschaftsart des Grund¬ stücks, über dessen Veränderung; mit dem Recht der Weiterüberlassung, auch der Vererbpachtung für seine Besitzzeit; nur eben mit der Schranke, daß das Grundstück mit dem Aussterben der Nachkommen des ersten Redners an die verleihende öffentlich rechtliche Person zurückfällt und mit diesem Zeitpunkt die durch den Lehensnehmer für Dritte begründeten Rechte erlöschen. Diese Vergabungsform enthält einerseits das Maß von individualistischen Antrieb und Spielraum, das man fordern muß. Wer sicher ist, daß der Grund und Boden, den er bebaut, unentziehbar ist, solange sein Blut noch besteht, der fühlt wie ein Eigentümer; er wird nicht durch den Gedanken an das Erlöschen seines Rechts am Boden in seinen Maßnahmen und Plänen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/68
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/68>, abgerufen am 23.07.2024.