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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Die Tagung für Rriegsbeschädigtenfürsorge in Loin a. Rh.

es darauf an, die Amputierten wieder für das Leben zu gewinnen. Der
Referent hat 388 Fälle von Amputierten geprüft und das Ergebnis in
sechs Tabellen zusammengestellt. Von den geprüften 388 armamputierten
Kriegsbeschädigten sind in ihrem alten Beruf ohne Ausbildung 76, mit Aus¬
bildung 13 geblieben. Einen verwandten Beruf ergriffen 25 ohne und 15 mit
Ausbildung. 192 sind in einen anderen neuen Beruf ohne Ausbildung über¬
gegangen. Hier handelt es sich durchweg nur um Aushelfsberufe: Boten,
Pförtner. Einem neuen Beruf nach erhaltener Ausbildung wandten sich
18 Amputierte zu. 5 armamputierte Kriegsbeschädigte lehnten jeden Rat ab
und 44 waren arbeitslos.

Von 46 Exartikulierten benutzt keiner seine Prothese bei der Arbeit. Von
245 Oberarmamputierten gebrauchen nur 35, von 65 Unterarmamputierten nur
11 ihre Prothese.

Dr. InZ. K. c. Hartmann-Berlin, Senatspräsident im Reichsversicherungsamt,
berichtet sodann über die Tätigkeit der Prüfstellen für Ersatzglieder. Eine
sachgemäße Prüfung von Ersatzgliedern ist nur möglich durch die gemeinsame
Arbeit von orthopädischen Ärzten, orthopädischen Mechanikern und amputierten
Arbeitern. Bisher gibt es noch zu wenig Sachverständige. Die Veröffent¬
lichung der bisherigen Ergebnisse ist schwierig, weil die Erfinder nicht mit der
Veröffentlichung jeden Urteils ohne weiteres einverstanden sein können. Den
Sanitätsämtern steht jedoch das Prüfungsergebnis über jedes geprüfte Ersatz¬
glied zur Verfügung. Die Prüfstelle hat bisher 16 Arbeitsarme durchgeprüft
und 15 befinden sich zurzeit in der Prüfung. In letzter Zeit sind auch Ersatz¬
beine und Ansatzstücke sowie Radialisschienen geprüft worden. Universalersatz¬
glieder gibt es noch nicht. Immer noch ist es notwendig, je nach dem Zwecke,
von dem Guten das Beste zu nehmen.

Der dritte Tag begann mit dem Vortrag von Bürgermeister Dr. Luppe-
Frankfurt a. M. über die Unterbringung der Kriegsbeschädigten im
öffentlichen Dienst. Der Redner warnte vor der Begünstigung eines
Zustroms Kriegsbeschädigter in den Staats- und Kommunaldienst. Man muß
dem Kriegsbeschädigten die Überzeugung beibringen, daß der öffentliche Dienst
genug zu tun hat, seine eigenen Kriegsbeschädigten wieder aufzunehmen. Die
wirtschaftliche Entwicklung wird die staatlichen und Gemeindebehörden zwingen,
die Zahl der Stellen zu verringern. Die Grenzen der Aufnahmefähigkeit werden
sehr bald erreicht sein oder sind schon überschritten.

Über die Verwendungsmöglichkeit der Kriegsbeschädigten im
Handel sprach Kommerzienrat Soennecken-Bonn vom Standpunkt der Arbeit¬
geber. Deutschlands wachsender Welthandel konnte vor dem Kriege einen
großen Teil der erwerbsfähigen Bevölkerung beschäftigen. Wir wissen jedoch
nicht, wie sich in der Zukunft die allgemeine Lage gestalten wird. Zu hoffen
ist, daß die bisherigen Angehörigen des Handelsstandes in ihrem Berufe bleiben
können. Ein Arbeitswechsel innerhalb des Berufes ist vielfach möglich, weil


Die Tagung für Rriegsbeschädigtenfürsorge in Loin a. Rh.

es darauf an, die Amputierten wieder für das Leben zu gewinnen. Der
Referent hat 388 Fälle von Amputierten geprüft und das Ergebnis in
sechs Tabellen zusammengestellt. Von den geprüften 388 armamputierten
Kriegsbeschädigten sind in ihrem alten Beruf ohne Ausbildung 76, mit Aus¬
bildung 13 geblieben. Einen verwandten Beruf ergriffen 25 ohne und 15 mit
Ausbildung. 192 sind in einen anderen neuen Beruf ohne Ausbildung über¬
gegangen. Hier handelt es sich durchweg nur um Aushelfsberufe: Boten,
Pförtner. Einem neuen Beruf nach erhaltener Ausbildung wandten sich
18 Amputierte zu. 5 armamputierte Kriegsbeschädigte lehnten jeden Rat ab
und 44 waren arbeitslos.

Von 46 Exartikulierten benutzt keiner seine Prothese bei der Arbeit. Von
245 Oberarmamputierten gebrauchen nur 35, von 65 Unterarmamputierten nur
11 ihre Prothese.

Dr. InZ. K. c. Hartmann-Berlin, Senatspräsident im Reichsversicherungsamt,
berichtet sodann über die Tätigkeit der Prüfstellen für Ersatzglieder. Eine
sachgemäße Prüfung von Ersatzgliedern ist nur möglich durch die gemeinsame
Arbeit von orthopädischen Ärzten, orthopädischen Mechanikern und amputierten
Arbeitern. Bisher gibt es noch zu wenig Sachverständige. Die Veröffent¬
lichung der bisherigen Ergebnisse ist schwierig, weil die Erfinder nicht mit der
Veröffentlichung jeden Urteils ohne weiteres einverstanden sein können. Den
Sanitätsämtern steht jedoch das Prüfungsergebnis über jedes geprüfte Ersatz¬
glied zur Verfügung. Die Prüfstelle hat bisher 16 Arbeitsarme durchgeprüft
und 15 befinden sich zurzeit in der Prüfung. In letzter Zeit sind auch Ersatz¬
beine und Ansatzstücke sowie Radialisschienen geprüft worden. Universalersatz¬
glieder gibt es noch nicht. Immer noch ist es notwendig, je nach dem Zwecke,
von dem Guten das Beste zu nehmen.

Der dritte Tag begann mit dem Vortrag von Bürgermeister Dr. Luppe-
Frankfurt a. M. über die Unterbringung der Kriegsbeschädigten im
öffentlichen Dienst. Der Redner warnte vor der Begünstigung eines
Zustroms Kriegsbeschädigter in den Staats- und Kommunaldienst. Man muß
dem Kriegsbeschädigten die Überzeugung beibringen, daß der öffentliche Dienst
genug zu tun hat, seine eigenen Kriegsbeschädigten wieder aufzunehmen. Die
wirtschaftliche Entwicklung wird die staatlichen und Gemeindebehörden zwingen,
die Zahl der Stellen zu verringern. Die Grenzen der Aufnahmefähigkeit werden
sehr bald erreicht sein oder sind schon überschritten.

Über die Verwendungsmöglichkeit der Kriegsbeschädigten im
Handel sprach Kommerzienrat Soennecken-Bonn vom Standpunkt der Arbeit¬
geber. Deutschlands wachsender Welthandel konnte vor dem Kriege einen
großen Teil der erwerbsfähigen Bevölkerung beschäftigen. Wir wissen jedoch
nicht, wie sich in der Zukunft die allgemeine Lage gestalten wird. Zu hoffen
ist, daß die bisherigen Angehörigen des Handelsstandes in ihrem Berufe bleiben
können. Ein Arbeitswechsel innerhalb des Berufes ist vielfach möglich, weil


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[0384] Die Tagung für Rriegsbeschädigtenfürsorge in Loin a. Rh. es darauf an, die Amputierten wieder für das Leben zu gewinnen. Der Referent hat 388 Fälle von Amputierten geprüft und das Ergebnis in sechs Tabellen zusammengestellt. Von den geprüften 388 armamputierten Kriegsbeschädigten sind in ihrem alten Beruf ohne Ausbildung 76, mit Aus¬ bildung 13 geblieben. Einen verwandten Beruf ergriffen 25 ohne und 15 mit Ausbildung. 192 sind in einen anderen neuen Beruf ohne Ausbildung über¬ gegangen. Hier handelt es sich durchweg nur um Aushelfsberufe: Boten, Pförtner. Einem neuen Beruf nach erhaltener Ausbildung wandten sich 18 Amputierte zu. 5 armamputierte Kriegsbeschädigte lehnten jeden Rat ab und 44 waren arbeitslos. Von 46 Exartikulierten benutzt keiner seine Prothese bei der Arbeit. Von 245 Oberarmamputierten gebrauchen nur 35, von 65 Unterarmamputierten nur 11 ihre Prothese. Dr. InZ. K. c. Hartmann-Berlin, Senatspräsident im Reichsversicherungsamt, berichtet sodann über die Tätigkeit der Prüfstellen für Ersatzglieder. Eine sachgemäße Prüfung von Ersatzgliedern ist nur möglich durch die gemeinsame Arbeit von orthopädischen Ärzten, orthopädischen Mechanikern und amputierten Arbeitern. Bisher gibt es noch zu wenig Sachverständige. Die Veröffent¬ lichung der bisherigen Ergebnisse ist schwierig, weil die Erfinder nicht mit der Veröffentlichung jeden Urteils ohne weiteres einverstanden sein können. Den Sanitätsämtern steht jedoch das Prüfungsergebnis über jedes geprüfte Ersatz¬ glied zur Verfügung. Die Prüfstelle hat bisher 16 Arbeitsarme durchgeprüft und 15 befinden sich zurzeit in der Prüfung. In letzter Zeit sind auch Ersatz¬ beine und Ansatzstücke sowie Radialisschienen geprüft worden. Universalersatz¬ glieder gibt es noch nicht. Immer noch ist es notwendig, je nach dem Zwecke, von dem Guten das Beste zu nehmen. Der dritte Tag begann mit dem Vortrag von Bürgermeister Dr. Luppe- Frankfurt a. M. über die Unterbringung der Kriegsbeschädigten im öffentlichen Dienst. Der Redner warnte vor der Begünstigung eines Zustroms Kriegsbeschädigter in den Staats- und Kommunaldienst. Man muß dem Kriegsbeschädigten die Überzeugung beibringen, daß der öffentliche Dienst genug zu tun hat, seine eigenen Kriegsbeschädigten wieder aufzunehmen. Die wirtschaftliche Entwicklung wird die staatlichen und Gemeindebehörden zwingen, die Zahl der Stellen zu verringern. Die Grenzen der Aufnahmefähigkeit werden sehr bald erreicht sein oder sind schon überschritten. Über die Verwendungsmöglichkeit der Kriegsbeschädigten im Handel sprach Kommerzienrat Soennecken-Bonn vom Standpunkt der Arbeit¬ geber. Deutschlands wachsender Welthandel konnte vor dem Kriege einen großen Teil der erwerbsfähigen Bevölkerung beschäftigen. Wir wissen jedoch nicht, wie sich in der Zukunft die allgemeine Lage gestalten wird. Zu hoffen ist, daß die bisherigen Angehörigen des Handelsstandes in ihrem Berufe bleiben können. Ein Arbeitswechsel innerhalb des Berufes ist vielfach möglich, weil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/384>, abgerufen am 23.07.2024.