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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Das deutsche Soldatenlied im Felde

Wiedersehn; wie beim Landvolk ertönen die schwermütigen Weisen vom Scheiden
und von verlorenem Glück gerade dann, wenn man zu einer gewissen gemütlichen
Fröhlichkeit gelangt ist und so schlägt denn auch die weiche Stimmung des Kriegers
gar leicht in ausgelassene Lustigkeit um. Daß damit das wirkliche Seelenleben
des Soldaten nicht erledigt ist, weiß jeder, der die Volksseele kennt, und unsre
Feldgrauen sind darum nicht um einen Gran untüchtiger in: Sturm und in
der Verteidigung gefährdeter Stellungen, weil sie vorher noch voll inbrünstiger
Sehnsucht gesungen haben:

Wo überhaupt religiöses Gefühl vorhanden ist, da ist es darum nicht
schwächer, weil unmittelbar auf einen ernsten Gesang wie "Ich bete an die
Macht der Liebe" ein lustiges Trinklied folgt; und die Liebe zum Landesvater
erleidet keinen Abbruch dadurch, daß ein Gesang zu seinen Ehren übergeht in
"Ein Prosit der Gemütlichkeit". Dennoch kann Meier treffliche Beispiele für
den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Stimmung und Lied aufbringen.
Ist es nicht ergreifend, was einer seiner Gewährsmänner berichtet: "Wir hatten
einige Male Wache auf der berüchtigten Höhe 60 vor Uvern; davor der
wunderbare Lillebeker See. Hier hörte ich zum ersten Male im Anblick des
vom Monde beleuchteten Sees das Lied ,Still ruht der See' singen mit einer
Heiligkeit, als wären es Engelsstimmen, . . . und doch waren es nur drei
deutsche Soldaten, die es sangen." Aber man darf sich eben nicht wundern,
wenn diese zarten Töne plötzlich in ihr Gegenteil umzuschlagen scheinen. "Es
findet dadurch die notwendige Entspannung des Gefühls statt, und deshalb
darf man sich über derartiges nicht aufregen."

Nach alledem, was wir da über die Auswahl der gesungenen Lieder
erfahren, kann es uns nicht wundern, wenn wir auch bei den merkwürdigen
potpourriartigen Neuschöpfungen von Gesängen durch Zusammensetzung bekannter
Weisen und Texte eine derartige Mischung von Erröten und Heiteren, von
hinschmelzender Sehnsucht und ausgelassener Lustigkeit oder Selbstironie an¬
treffen. Auf diese Weise wird eben die Gleichgewichtslage des Gefühls her¬
gestellt. Ein klassisches Beispiel dafür ist das vielerörterte Lied: "Ich hatt'
einen Kameraden" mit der Gloria-Viktoria Fortsetzung, die nur ein Philister
und Pendant dem Soldaten meiden kann. Meier bringt gerade für dieses Lied
alles Erwünschte bei und greift von dem Einzelfalle immer wieder hinüber auf
die Bildungsgesetze des Volksliedes überhaupt, wo eine einzelne Strophe oder
ein Strophenteil, wenn auch in veränderter Fassung, zum Refrain erstarrt oder
wo eine von Hause aus recht anders geartete Weise etwas gewaltsam in den
Marschrhythmus gepreßt wird. So läßt sich der Abschnitt: "Gloria. Viktoria"


Das deutsche Soldatenlied im Felde

Wiedersehn; wie beim Landvolk ertönen die schwermütigen Weisen vom Scheiden
und von verlorenem Glück gerade dann, wenn man zu einer gewissen gemütlichen
Fröhlichkeit gelangt ist und so schlägt denn auch die weiche Stimmung des Kriegers
gar leicht in ausgelassene Lustigkeit um. Daß damit das wirkliche Seelenleben
des Soldaten nicht erledigt ist, weiß jeder, der die Volksseele kennt, und unsre
Feldgrauen sind darum nicht um einen Gran untüchtiger in: Sturm und in
der Verteidigung gefährdeter Stellungen, weil sie vorher noch voll inbrünstiger
Sehnsucht gesungen haben:

Wo überhaupt religiöses Gefühl vorhanden ist, da ist es darum nicht
schwächer, weil unmittelbar auf einen ernsten Gesang wie „Ich bete an die
Macht der Liebe" ein lustiges Trinklied folgt; und die Liebe zum Landesvater
erleidet keinen Abbruch dadurch, daß ein Gesang zu seinen Ehren übergeht in
„Ein Prosit der Gemütlichkeit". Dennoch kann Meier treffliche Beispiele für
den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Stimmung und Lied aufbringen.
Ist es nicht ergreifend, was einer seiner Gewährsmänner berichtet: „Wir hatten
einige Male Wache auf der berüchtigten Höhe 60 vor Uvern; davor der
wunderbare Lillebeker See. Hier hörte ich zum ersten Male im Anblick des
vom Monde beleuchteten Sees das Lied ,Still ruht der See' singen mit einer
Heiligkeit, als wären es Engelsstimmen, . . . und doch waren es nur drei
deutsche Soldaten, die es sangen." Aber man darf sich eben nicht wundern,
wenn diese zarten Töne plötzlich in ihr Gegenteil umzuschlagen scheinen. „Es
findet dadurch die notwendige Entspannung des Gefühls statt, und deshalb
darf man sich über derartiges nicht aufregen."

Nach alledem, was wir da über die Auswahl der gesungenen Lieder
erfahren, kann es uns nicht wundern, wenn wir auch bei den merkwürdigen
potpourriartigen Neuschöpfungen von Gesängen durch Zusammensetzung bekannter
Weisen und Texte eine derartige Mischung von Erröten und Heiteren, von
hinschmelzender Sehnsucht und ausgelassener Lustigkeit oder Selbstironie an¬
treffen. Auf diese Weise wird eben die Gleichgewichtslage des Gefühls her¬
gestellt. Ein klassisches Beispiel dafür ist das vielerörterte Lied: „Ich hatt'
einen Kameraden" mit der Gloria-Viktoria Fortsetzung, die nur ein Philister
und Pendant dem Soldaten meiden kann. Meier bringt gerade für dieses Lied
alles Erwünschte bei und greift von dem Einzelfalle immer wieder hinüber auf
die Bildungsgesetze des Volksliedes überhaupt, wo eine einzelne Strophe oder
ein Strophenteil, wenn auch in veränderter Fassung, zum Refrain erstarrt oder
wo eine von Hause aus recht anders geartete Weise etwas gewaltsam in den
Marschrhythmus gepreßt wird. So läßt sich der Abschnitt: „Gloria. Viktoria"


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[0362] Das deutsche Soldatenlied im Felde Wiedersehn; wie beim Landvolk ertönen die schwermütigen Weisen vom Scheiden und von verlorenem Glück gerade dann, wenn man zu einer gewissen gemütlichen Fröhlichkeit gelangt ist und so schlägt denn auch die weiche Stimmung des Kriegers gar leicht in ausgelassene Lustigkeit um. Daß damit das wirkliche Seelenleben des Soldaten nicht erledigt ist, weiß jeder, der die Volksseele kennt, und unsre Feldgrauen sind darum nicht um einen Gran untüchtiger in: Sturm und in der Verteidigung gefährdeter Stellungen, weil sie vorher noch voll inbrünstiger Sehnsucht gesungen haben: Wo überhaupt religiöses Gefühl vorhanden ist, da ist es darum nicht schwächer, weil unmittelbar auf einen ernsten Gesang wie „Ich bete an die Macht der Liebe" ein lustiges Trinklied folgt; und die Liebe zum Landesvater erleidet keinen Abbruch dadurch, daß ein Gesang zu seinen Ehren übergeht in „Ein Prosit der Gemütlichkeit". Dennoch kann Meier treffliche Beispiele für den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Stimmung und Lied aufbringen. Ist es nicht ergreifend, was einer seiner Gewährsmänner berichtet: „Wir hatten einige Male Wache auf der berüchtigten Höhe 60 vor Uvern; davor der wunderbare Lillebeker See. Hier hörte ich zum ersten Male im Anblick des vom Monde beleuchteten Sees das Lied ,Still ruht der See' singen mit einer Heiligkeit, als wären es Engelsstimmen, . . . und doch waren es nur drei deutsche Soldaten, die es sangen." Aber man darf sich eben nicht wundern, wenn diese zarten Töne plötzlich in ihr Gegenteil umzuschlagen scheinen. „Es findet dadurch die notwendige Entspannung des Gefühls statt, und deshalb darf man sich über derartiges nicht aufregen." Nach alledem, was wir da über die Auswahl der gesungenen Lieder erfahren, kann es uns nicht wundern, wenn wir auch bei den merkwürdigen potpourriartigen Neuschöpfungen von Gesängen durch Zusammensetzung bekannter Weisen und Texte eine derartige Mischung von Erröten und Heiteren, von hinschmelzender Sehnsucht und ausgelassener Lustigkeit oder Selbstironie an¬ treffen. Auf diese Weise wird eben die Gleichgewichtslage des Gefühls her¬ gestellt. Ein klassisches Beispiel dafür ist das vielerörterte Lied: „Ich hatt' einen Kameraden" mit der Gloria-Viktoria Fortsetzung, die nur ein Philister und Pendant dem Soldaten meiden kann. Meier bringt gerade für dieses Lied alles Erwünschte bei und greift von dem Einzelfalle immer wieder hinüber auf die Bildungsgesetze des Volksliedes überhaupt, wo eine einzelne Strophe oder ein Strophenteil, wenn auch in veränderter Fassung, zum Refrain erstarrt oder wo eine von Hause aus recht anders geartete Weise etwas gewaltsam in den Marschrhythmus gepreßt wird. So läßt sich der Abschnitt: „Gloria. Viktoria"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/362>, abgerufen am 23.07.2024.