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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Aus der politischen Vergangenheit der deutschen Katholiken

Ahn^, Bonn 1912). Der eigentliche Aufschwung der katholischen Presse konnte
erst 1848 beginnen. Über ihre Geschichte unterrichtet im Zusammenhang die
große, noch nicht abgeschlossene Biographie, die Dr. Karl Bachem seinem Vater,
dem katholischen Zeitungsmann Josef Bachem in Köln, geschrieben hat.

Das Jahr der deutschen Revolution ist auch für den parteipolitischer
Katholizismus von überragender Bedeutung. Dieses Thema behandelt die letzte
Untersuchung, auf die ich hier hinweisen will, die Schrift von Franz Schnabel
"Der Zusammenschluß des politischen Katholizismus in Deutschland im Jahre
1848" (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, Heft 29,
Carl Winter, Heidelberg 1910). Der Katholizismus verstand es, im rechten
Moment auf den Boden der Errungenschaften der Revolution zu treten, und
der Episkopat erwies sich dabei als sicherer Führer, voran der diplomatisch hoch¬
begabte Erzbischof Geißel von Köln. Schnabel gibt einen Überblick über die
Taktik der katholischen Partei bei den Wahlen und im Parlament und über
ihre Erfolge. Am interessantesten liest sich die Schilderung der Charakterköpfe
des "katholischen Vereins" in Frankfurt, einer Elite, deren Gedankenreichtum
man mit Genuß studiert, und dessen mannigfaltige geistige Struktur einem die
Großartigkeit der einen Macht der Kirche, die alle diese sonst weit auseinander¬
strebenden Köpfe in ihrem Banne hielt, nur um so eindringlicher vor Augen
führt. Neben Kirchenfürsten wie Geißel und dem Fürstbischof Diepenbrock
von Breslau saß hier Radowitz, der unergründliche Freund Friedrich Wilhelms
des Vierten, neben dem Grandseigneur Fürsten Felix Lichnowsky der Tiroler
Bauernagitator Beda Weber, neben dem rheinischen Juristen August Reichens-
perger die Bayern Sepp und Döllinger, die später altkatholisch gewordenen
geistigen Erben des großen Görres. Und keineswegs waren es nur geborene
Söhne der Kirche, die hier ihrem religiös-politischen Ideal ihre Dienste weihten.
Es ist charakteristisch für die gesamte neukatholische Bewegung, daß zahlreiche
Konvertiten, also Männer, die sich vom protestantischen Geistesleben unbefriedigt
abgewandt hatten, in ihrer vordersten Reihe standen. Von ihnen finden wir
hier Georg Philipps aus der Stadt der reinen Vernunft, jetzt einer der kon¬
sequentesten Kämpfer für die absolute kirchliche Idee. Protestant war damals
noch der Historiker Gfrörer, ehemaliger schwäbischer Stifter, ein leidenschaft¬
licher Schwärmer für die Staats- und Kircheneinheit des Mittelalters. Er hoffte
auf die Wiedervereinigung der Konfessionen, und erst als er diese Hoffnung
verlor, wurde er Katholik. Bis an sein Lebensende blieb Lutheraner Gfrörers
Gesinnungs- und Fachgenosfe Friedrich Böhmer, ein Sohn der Reichsstadt
Frankfurt, allen Freunden des deutschen Mittelalters wohl bekannt als der
Herausgeber der Regesten der deutschen Kaiserzeit. Er ist ein Vertreter jenes
historisch gerichteten Luthertums, das an dem Bewußtsein der heiligen geistigen
allgemeinen Kirche im Sinne des dritten Artikels und an der sakramentalen
Heilsvermittlung festhält und sich darin manchmal dem Katholizismus ver¬
wandter fühlen kann als dem, was sich sonst noch protestantisch nennt; jenes


Aus der politischen Vergangenheit der deutschen Katholiken

Ahn^, Bonn 1912). Der eigentliche Aufschwung der katholischen Presse konnte
erst 1848 beginnen. Über ihre Geschichte unterrichtet im Zusammenhang die
große, noch nicht abgeschlossene Biographie, die Dr. Karl Bachem seinem Vater,
dem katholischen Zeitungsmann Josef Bachem in Köln, geschrieben hat.

Das Jahr der deutschen Revolution ist auch für den parteipolitischer
Katholizismus von überragender Bedeutung. Dieses Thema behandelt die letzte
Untersuchung, auf die ich hier hinweisen will, die Schrift von Franz Schnabel
„Der Zusammenschluß des politischen Katholizismus in Deutschland im Jahre
1848" (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, Heft 29,
Carl Winter, Heidelberg 1910). Der Katholizismus verstand es, im rechten
Moment auf den Boden der Errungenschaften der Revolution zu treten, und
der Episkopat erwies sich dabei als sicherer Führer, voran der diplomatisch hoch¬
begabte Erzbischof Geißel von Köln. Schnabel gibt einen Überblick über die
Taktik der katholischen Partei bei den Wahlen und im Parlament und über
ihre Erfolge. Am interessantesten liest sich die Schilderung der Charakterköpfe
des „katholischen Vereins" in Frankfurt, einer Elite, deren Gedankenreichtum
man mit Genuß studiert, und dessen mannigfaltige geistige Struktur einem die
Großartigkeit der einen Macht der Kirche, die alle diese sonst weit auseinander¬
strebenden Köpfe in ihrem Banne hielt, nur um so eindringlicher vor Augen
führt. Neben Kirchenfürsten wie Geißel und dem Fürstbischof Diepenbrock
von Breslau saß hier Radowitz, der unergründliche Freund Friedrich Wilhelms
des Vierten, neben dem Grandseigneur Fürsten Felix Lichnowsky der Tiroler
Bauernagitator Beda Weber, neben dem rheinischen Juristen August Reichens-
perger die Bayern Sepp und Döllinger, die später altkatholisch gewordenen
geistigen Erben des großen Görres. Und keineswegs waren es nur geborene
Söhne der Kirche, die hier ihrem religiös-politischen Ideal ihre Dienste weihten.
Es ist charakteristisch für die gesamte neukatholische Bewegung, daß zahlreiche
Konvertiten, also Männer, die sich vom protestantischen Geistesleben unbefriedigt
abgewandt hatten, in ihrer vordersten Reihe standen. Von ihnen finden wir
hier Georg Philipps aus der Stadt der reinen Vernunft, jetzt einer der kon¬
sequentesten Kämpfer für die absolute kirchliche Idee. Protestant war damals
noch der Historiker Gfrörer, ehemaliger schwäbischer Stifter, ein leidenschaft¬
licher Schwärmer für die Staats- und Kircheneinheit des Mittelalters. Er hoffte
auf die Wiedervereinigung der Konfessionen, und erst als er diese Hoffnung
verlor, wurde er Katholik. Bis an sein Lebensende blieb Lutheraner Gfrörers
Gesinnungs- und Fachgenosfe Friedrich Böhmer, ein Sohn der Reichsstadt
Frankfurt, allen Freunden des deutschen Mittelalters wohl bekannt als der
Herausgeber der Regesten der deutschen Kaiserzeit. Er ist ein Vertreter jenes
historisch gerichteten Luthertums, das an dem Bewußtsein der heiligen geistigen
allgemeinen Kirche im Sinne des dritten Artikels und an der sakramentalen
Heilsvermittlung festhält und sich darin manchmal dem Katholizismus ver¬
wandter fühlen kann als dem, was sich sonst noch protestantisch nennt; jenes


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[0348] Aus der politischen Vergangenheit der deutschen Katholiken Ahn^, Bonn 1912). Der eigentliche Aufschwung der katholischen Presse konnte erst 1848 beginnen. Über ihre Geschichte unterrichtet im Zusammenhang die große, noch nicht abgeschlossene Biographie, die Dr. Karl Bachem seinem Vater, dem katholischen Zeitungsmann Josef Bachem in Köln, geschrieben hat. Das Jahr der deutschen Revolution ist auch für den parteipolitischer Katholizismus von überragender Bedeutung. Dieses Thema behandelt die letzte Untersuchung, auf die ich hier hinweisen will, die Schrift von Franz Schnabel „Der Zusammenschluß des politischen Katholizismus in Deutschland im Jahre 1848" (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, Heft 29, Carl Winter, Heidelberg 1910). Der Katholizismus verstand es, im rechten Moment auf den Boden der Errungenschaften der Revolution zu treten, und der Episkopat erwies sich dabei als sicherer Führer, voran der diplomatisch hoch¬ begabte Erzbischof Geißel von Köln. Schnabel gibt einen Überblick über die Taktik der katholischen Partei bei den Wahlen und im Parlament und über ihre Erfolge. Am interessantesten liest sich die Schilderung der Charakterköpfe des „katholischen Vereins" in Frankfurt, einer Elite, deren Gedankenreichtum man mit Genuß studiert, und dessen mannigfaltige geistige Struktur einem die Großartigkeit der einen Macht der Kirche, die alle diese sonst weit auseinander¬ strebenden Köpfe in ihrem Banne hielt, nur um so eindringlicher vor Augen führt. Neben Kirchenfürsten wie Geißel und dem Fürstbischof Diepenbrock von Breslau saß hier Radowitz, der unergründliche Freund Friedrich Wilhelms des Vierten, neben dem Grandseigneur Fürsten Felix Lichnowsky der Tiroler Bauernagitator Beda Weber, neben dem rheinischen Juristen August Reichens- perger die Bayern Sepp und Döllinger, die später altkatholisch gewordenen geistigen Erben des großen Görres. Und keineswegs waren es nur geborene Söhne der Kirche, die hier ihrem religiös-politischen Ideal ihre Dienste weihten. Es ist charakteristisch für die gesamte neukatholische Bewegung, daß zahlreiche Konvertiten, also Männer, die sich vom protestantischen Geistesleben unbefriedigt abgewandt hatten, in ihrer vordersten Reihe standen. Von ihnen finden wir hier Georg Philipps aus der Stadt der reinen Vernunft, jetzt einer der kon¬ sequentesten Kämpfer für die absolute kirchliche Idee. Protestant war damals noch der Historiker Gfrörer, ehemaliger schwäbischer Stifter, ein leidenschaft¬ licher Schwärmer für die Staats- und Kircheneinheit des Mittelalters. Er hoffte auf die Wiedervereinigung der Konfessionen, und erst als er diese Hoffnung verlor, wurde er Katholik. Bis an sein Lebensende blieb Lutheraner Gfrörers Gesinnungs- und Fachgenosfe Friedrich Böhmer, ein Sohn der Reichsstadt Frankfurt, allen Freunden des deutschen Mittelalters wohl bekannt als der Herausgeber der Regesten der deutschen Kaiserzeit. Er ist ein Vertreter jenes historisch gerichteten Luthertums, das an dem Bewußtsein der heiligen geistigen allgemeinen Kirche im Sinne des dritten Artikels und an der sakramentalen Heilsvermittlung festhält und sich darin manchmal dem Katholizismus ver¬ wandter fühlen kann als dem, was sich sonst noch protestantisch nennt; jenes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/348>, abgerufen am 23.07.2024.