Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Außenpolitisches aus Rußland

und den Schutz des chinesischen Länderbestandes zu übernehmen." Putnam
Weale, der als guter Kenner des fernen Ostens die Gefahren sieht, die Englands
Machtstellung von Japan drohen, versucht darzulegen, daß Japans jetzige und
künftige wirtschaftliche Stellung für Englands Handel im Osten nicht bedrohlich
sei. Fritz Secker hat im Ostasiatischen Lloyd demgegenüber auf die ungeheure
Kräftigung hingewiesen, die Japan durch den gegenwärtigen Krieg erfahren
hat. Die wirtschaftlichen Kräfte Japans entfalten sich; schon jetzt "verbraucht
es jährlich 1.4 Millionen Tonnen Stahl". Es braucht die Rohstoff- und Eisenerz-
zufnhren aus China. Dieses Bedürfnis wird mit eine Triebfeder für eine
aktive Politik Japans im fernen Osten sein. Solche wirtschaftlichen Beweggründe
sind sicherlich nicht zu unterschätzen; aber man kann wohl sagen, daß Japan
auch ohne sie imperialistische Politik treiben wird und muß. In England fühlt
man das deutlich, wenngleich man es nur vereinzelt ausspricht. "Die Zukunft
von Chinas Unabhängigkeit und der offenen Tür hängt an den Aussichten
eines leidlich frühen Friedens", so hat neulich noch die "Nation" es offen
ausgesprochen. Man weiß, daß Japan jeden japanisch-chinesischen Zwischenfall,
jede Unruhe in China für eine England unwillkommene Einmischung benutzen
kann. In Japan andrerseits fühlt man, daß England zurzeit der einzige
unbequeme Hemmungsgrund im Osten ist -- und das gibt für die Zukunft
möglicherweise Reibungsflächen, die sich erweitern können.

Und nun das Kapitel Nußland-England. Es verlohnt sich, auch darauf
einen Blick zu werfen. Ich möchte hier nicht näher auf die Auslassungen des
Herausgebers des "Rossiskij Grashdcmin", des bekannten Herrn Bulatzel, ein¬
gehen, der neulich ein Gespräch mit dem verstorbenen Petersburger Stadt¬
hauptmann Kleigels veröffentlicht hat, in dem die Rede vom Schicksal Rußlands
gewesen ist. "Rußland ist, so heißt es da, auf ewig dazu verurteilt, die
Kastanien für andere Völker aus dem Kriegsfeuer herauszuholen. Der Mangel
an Voraussicht, die politische Kurzsichtigkeit und der immer wachsende englische
Einfluß haben den Verstorbenen (Kleigels) sehr bekümmert." Der Verfasser
dieser Zeilen ist ein politischer Einspänner in Rußland, ohne weiten Widerhall
in der Öffentlichkeit,, wir wollen es daher getrost den Russen selbst überlassen,
aus dem Streite zwischen den englischen Ehrendoktoren Miljukom, Struve usw.
und den Herrn Bulatzel und seinen Freunden das Fazit zu ziehen. Wenn die
ersteren aber darauf rechnen, durch einen leichten Ansturm etwa mit Hilfe der
Rumänen dem Kriege ein schnelles Ende zu bereiten, so irren sie sich ebenso
gewaltig -- wie sie sich bisher geirrt haben. Nicht umsonst hat ein Hindenburg,
dessen Kraft die Russen gefühlt haben, den Oberbefehl über die sieggewohnten
deutschen Heere übernommen. Die Russen, in deren Land der Krieg zum
Hauptteil geführt worden ist, werden es weiter in immer stärkerem Maße zu
spüren haben, was es heißt, mit dem Deutschen Reiche im Kriege zu liegen.
Rußland wird aus diesem Kriege weißgeblutet hervorgehen und alle seine
Träume werden in Nichts zurücksinken. Was werden ihm seine Verträge


Außenpolitisches aus Rußland

und den Schutz des chinesischen Länderbestandes zu übernehmen." Putnam
Weale, der als guter Kenner des fernen Ostens die Gefahren sieht, die Englands
Machtstellung von Japan drohen, versucht darzulegen, daß Japans jetzige und
künftige wirtschaftliche Stellung für Englands Handel im Osten nicht bedrohlich
sei. Fritz Secker hat im Ostasiatischen Lloyd demgegenüber auf die ungeheure
Kräftigung hingewiesen, die Japan durch den gegenwärtigen Krieg erfahren
hat. Die wirtschaftlichen Kräfte Japans entfalten sich; schon jetzt „verbraucht
es jährlich 1.4 Millionen Tonnen Stahl". Es braucht die Rohstoff- und Eisenerz-
zufnhren aus China. Dieses Bedürfnis wird mit eine Triebfeder für eine
aktive Politik Japans im fernen Osten sein. Solche wirtschaftlichen Beweggründe
sind sicherlich nicht zu unterschätzen; aber man kann wohl sagen, daß Japan
auch ohne sie imperialistische Politik treiben wird und muß. In England fühlt
man das deutlich, wenngleich man es nur vereinzelt ausspricht. „Die Zukunft
von Chinas Unabhängigkeit und der offenen Tür hängt an den Aussichten
eines leidlich frühen Friedens", so hat neulich noch die „Nation" es offen
ausgesprochen. Man weiß, daß Japan jeden japanisch-chinesischen Zwischenfall,
jede Unruhe in China für eine England unwillkommene Einmischung benutzen
kann. In Japan andrerseits fühlt man, daß England zurzeit der einzige
unbequeme Hemmungsgrund im Osten ist — und das gibt für die Zukunft
möglicherweise Reibungsflächen, die sich erweitern können.

Und nun das Kapitel Nußland-England. Es verlohnt sich, auch darauf
einen Blick zu werfen. Ich möchte hier nicht näher auf die Auslassungen des
Herausgebers des „Rossiskij Grashdcmin", des bekannten Herrn Bulatzel, ein¬
gehen, der neulich ein Gespräch mit dem verstorbenen Petersburger Stadt¬
hauptmann Kleigels veröffentlicht hat, in dem die Rede vom Schicksal Rußlands
gewesen ist. „Rußland ist, so heißt es da, auf ewig dazu verurteilt, die
Kastanien für andere Völker aus dem Kriegsfeuer herauszuholen. Der Mangel
an Voraussicht, die politische Kurzsichtigkeit und der immer wachsende englische
Einfluß haben den Verstorbenen (Kleigels) sehr bekümmert." Der Verfasser
dieser Zeilen ist ein politischer Einspänner in Rußland, ohne weiten Widerhall
in der Öffentlichkeit,, wir wollen es daher getrost den Russen selbst überlassen,
aus dem Streite zwischen den englischen Ehrendoktoren Miljukom, Struve usw.
und den Herrn Bulatzel und seinen Freunden das Fazit zu ziehen. Wenn die
ersteren aber darauf rechnen, durch einen leichten Ansturm etwa mit Hilfe der
Rumänen dem Kriege ein schnelles Ende zu bereiten, so irren sie sich ebenso
gewaltig — wie sie sich bisher geirrt haben. Nicht umsonst hat ein Hindenburg,
dessen Kraft die Russen gefühlt haben, den Oberbefehl über die sieggewohnten
deutschen Heere übernommen. Die Russen, in deren Land der Krieg zum
Hauptteil geführt worden ist, werden es weiter in immer stärkerem Maße zu
spüren haben, was es heißt, mit dem Deutschen Reiche im Kriege zu liegen.
Rußland wird aus diesem Kriege weißgeblutet hervorgehen und alle seine
Träume werden in Nichts zurücksinken. Was werden ihm seine Verträge


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330876"/>
          <fw type="header" place="top"> Außenpolitisches aus Rußland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1080" prev="#ID_1079"> und den Schutz des chinesischen Länderbestandes zu übernehmen." Putnam<lb/>
Weale, der als guter Kenner des fernen Ostens die Gefahren sieht, die Englands<lb/>
Machtstellung von Japan drohen, versucht darzulegen, daß Japans jetzige und<lb/>
künftige wirtschaftliche Stellung für Englands Handel im Osten nicht bedrohlich<lb/>
sei. Fritz Secker hat im Ostasiatischen Lloyd demgegenüber auf die ungeheure<lb/>
Kräftigung hingewiesen, die Japan durch den gegenwärtigen Krieg erfahren<lb/>
hat. Die wirtschaftlichen Kräfte Japans entfalten sich; schon jetzt &#x201E;verbraucht<lb/>
es jährlich 1.4 Millionen Tonnen Stahl". Es braucht die Rohstoff- und Eisenerz-<lb/>
zufnhren aus China. Dieses Bedürfnis wird mit eine Triebfeder für eine<lb/>
aktive Politik Japans im fernen Osten sein. Solche wirtschaftlichen Beweggründe<lb/>
sind sicherlich nicht zu unterschätzen; aber man kann wohl sagen, daß Japan<lb/>
auch ohne sie imperialistische Politik treiben wird und muß. In England fühlt<lb/>
man das deutlich, wenngleich man es nur vereinzelt ausspricht. &#x201E;Die Zukunft<lb/>
von Chinas Unabhängigkeit und der offenen Tür hängt an den Aussichten<lb/>
eines leidlich frühen Friedens", so hat neulich noch die &#x201E;Nation" es offen<lb/>
ausgesprochen. Man weiß, daß Japan jeden japanisch-chinesischen Zwischenfall,<lb/>
jede Unruhe in China für eine England unwillkommene Einmischung benutzen<lb/>
kann. In Japan andrerseits fühlt man, daß England zurzeit der einzige<lb/>
unbequeme Hemmungsgrund im Osten ist &#x2014; und das gibt für die Zukunft<lb/>
möglicherweise Reibungsflächen, die sich erweitern können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1081" next="#ID_1082"> Und nun das Kapitel Nußland-England. Es verlohnt sich, auch darauf<lb/>
einen Blick zu werfen. Ich möchte hier nicht näher auf die Auslassungen des<lb/>
Herausgebers des &#x201E;Rossiskij Grashdcmin", des bekannten Herrn Bulatzel, ein¬<lb/>
gehen, der neulich ein Gespräch mit dem verstorbenen Petersburger Stadt¬<lb/>
hauptmann Kleigels veröffentlicht hat, in dem die Rede vom Schicksal Rußlands<lb/>
gewesen ist. &#x201E;Rußland ist, so heißt es da, auf ewig dazu verurteilt, die<lb/>
Kastanien für andere Völker aus dem Kriegsfeuer herauszuholen. Der Mangel<lb/>
an Voraussicht, die politische Kurzsichtigkeit und der immer wachsende englische<lb/>
Einfluß haben den Verstorbenen (Kleigels) sehr bekümmert." Der Verfasser<lb/>
dieser Zeilen ist ein politischer Einspänner in Rußland, ohne weiten Widerhall<lb/>
in der Öffentlichkeit,, wir wollen es daher getrost den Russen selbst überlassen,<lb/>
aus dem Streite zwischen den englischen Ehrendoktoren Miljukom, Struve usw.<lb/>
und den Herrn Bulatzel und seinen Freunden das Fazit zu ziehen. Wenn die<lb/>
ersteren aber darauf rechnen, durch einen leichten Ansturm etwa mit Hilfe der<lb/>
Rumänen dem Kriege ein schnelles Ende zu bereiten, so irren sie sich ebenso<lb/>
gewaltig &#x2014; wie sie sich bisher geirrt haben. Nicht umsonst hat ein Hindenburg,<lb/>
dessen Kraft die Russen gefühlt haben, den Oberbefehl über die sieggewohnten<lb/>
deutschen Heere übernommen. Die Russen, in deren Land der Krieg zum<lb/>
Hauptteil geführt worden ist, werden es weiter in immer stärkerem Maße zu<lb/>
spüren haben, was es heißt, mit dem Deutschen Reiche im Kriege zu liegen.<lb/>
Rußland wird aus diesem Kriege weißgeblutet hervorgehen und alle seine<lb/>
Träume werden in Nichts zurücksinken.  Was werden ihm seine Verträge</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0338] Außenpolitisches aus Rußland und den Schutz des chinesischen Länderbestandes zu übernehmen." Putnam Weale, der als guter Kenner des fernen Ostens die Gefahren sieht, die Englands Machtstellung von Japan drohen, versucht darzulegen, daß Japans jetzige und künftige wirtschaftliche Stellung für Englands Handel im Osten nicht bedrohlich sei. Fritz Secker hat im Ostasiatischen Lloyd demgegenüber auf die ungeheure Kräftigung hingewiesen, die Japan durch den gegenwärtigen Krieg erfahren hat. Die wirtschaftlichen Kräfte Japans entfalten sich; schon jetzt „verbraucht es jährlich 1.4 Millionen Tonnen Stahl". Es braucht die Rohstoff- und Eisenerz- zufnhren aus China. Dieses Bedürfnis wird mit eine Triebfeder für eine aktive Politik Japans im fernen Osten sein. Solche wirtschaftlichen Beweggründe sind sicherlich nicht zu unterschätzen; aber man kann wohl sagen, daß Japan auch ohne sie imperialistische Politik treiben wird und muß. In England fühlt man das deutlich, wenngleich man es nur vereinzelt ausspricht. „Die Zukunft von Chinas Unabhängigkeit und der offenen Tür hängt an den Aussichten eines leidlich frühen Friedens", so hat neulich noch die „Nation" es offen ausgesprochen. Man weiß, daß Japan jeden japanisch-chinesischen Zwischenfall, jede Unruhe in China für eine England unwillkommene Einmischung benutzen kann. In Japan andrerseits fühlt man, daß England zurzeit der einzige unbequeme Hemmungsgrund im Osten ist — und das gibt für die Zukunft möglicherweise Reibungsflächen, die sich erweitern können. Und nun das Kapitel Nußland-England. Es verlohnt sich, auch darauf einen Blick zu werfen. Ich möchte hier nicht näher auf die Auslassungen des Herausgebers des „Rossiskij Grashdcmin", des bekannten Herrn Bulatzel, ein¬ gehen, der neulich ein Gespräch mit dem verstorbenen Petersburger Stadt¬ hauptmann Kleigels veröffentlicht hat, in dem die Rede vom Schicksal Rußlands gewesen ist. „Rußland ist, so heißt es da, auf ewig dazu verurteilt, die Kastanien für andere Völker aus dem Kriegsfeuer herauszuholen. Der Mangel an Voraussicht, die politische Kurzsichtigkeit und der immer wachsende englische Einfluß haben den Verstorbenen (Kleigels) sehr bekümmert." Der Verfasser dieser Zeilen ist ein politischer Einspänner in Rußland, ohne weiten Widerhall in der Öffentlichkeit,, wir wollen es daher getrost den Russen selbst überlassen, aus dem Streite zwischen den englischen Ehrendoktoren Miljukom, Struve usw. und den Herrn Bulatzel und seinen Freunden das Fazit zu ziehen. Wenn die ersteren aber darauf rechnen, durch einen leichten Ansturm etwa mit Hilfe der Rumänen dem Kriege ein schnelles Ende zu bereiten, so irren sie sich ebenso gewaltig — wie sie sich bisher geirrt haben. Nicht umsonst hat ein Hindenburg, dessen Kraft die Russen gefühlt haben, den Oberbefehl über die sieggewohnten deutschen Heere übernommen. Die Russen, in deren Land der Krieg zum Hauptteil geführt worden ist, werden es weiter in immer stärkerem Maße zu spüren haben, was es heißt, mit dem Deutschen Reiche im Kriege zu liegen. Rußland wird aus diesem Kriege weißgeblutet hervorgehen und alle seine Träume werden in Nichts zurücksinken. Was werden ihm seine Verträge

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/338
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/338>, abgerufen am 23.07.2024.