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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Bismarckgeist

Die Originalität der deutschen Politik Bismarcks besteht nicht in ihrem
Inhalt. Der ehemalige Gegner der Staatsmänner von 1848 hat, als er
selber berufen wurde, die deutsche Frage zu lösen, auf viele ihrer Pläne und
Gedanken zurückgegriffen. Selbst vor demokratischen Institutionen wie dem
allgemeinen Wahlrecht hat er sich nicht gescheut. Aber Bismarck war nicht
gebunden durch jene ethische Grundanschauung von der deutschen Einheit und
dem weltgeschichtlichen Beruf des deutschen Volkes, von der die Politiker der
Paulskirche und die Staatsmänner Friedrich Wilhelms des Vierten bei allen
Verschiedenheiten unter sich meist ausgingen. Die Grundpfeiler seiner Welt¬
anschauung waren Standesbewußtsein und Königstreue; alle Politik über den
Grenzen altpreußischen Staatslebens war für ihn mehr oder weniger ein Gebiet
jenseits von Gut und Böse, wo die Macht das entscheidende Wort zu sprechen
hat. Darin gleicht Bismarck dem Fürsten Schwarzenberg: wie dieser die deutsche
Politik einzig und allein vom österreichischen Staatsinteresse aus beurteilte, so
er vom preußischen, nur daß sie ihm von diesem aus nicht so nebensächlich
erschien wie dem österreichischen Grandseigneur. Weniger um Deutschland als
um Preußens willen ging er an die Lösung der nationalen Frage. Denn
Preußen an der Spitze Deutschlands stellt eine größere Macht dar als Preußen
allein. Und nicht weil er die nationale Einheit für ein Menschenrecht des
deutschen Volkes angesehen hätte, erstrebte er sie. sondern weil er der Nation
ein größeres Gewicht in Europa verschaffen wollte. Uns sind heute Dinge
wie Weltgeltung und Großmachtsansehen unsres Volkes vertraute Begriffe
geworden, wenigstens ist das Verständnis für ihre Bedeutung heute weiten
Kreisen zugänglich. Damals aber waren Bismarcks Gedankengänge noch etwas
Besonderes. Das deutsche Volk war gewohnt, seine Einheit zu ersehnen, weil
es ein Recht darauf hätte, entweder ein historisches, das man aus der mittel¬
alterlichen Kaiserherrlichkeit ableitete, oder ein rationales, weil die Philosophie
den Menschen und Völkern ein Selbstbestimmungsrecht zusprach. Bismarck
dagegen wurzelte in anderen Rechtsüberzeugungen: er glaubte an ein Recht
seines Staates auf Leben und Wachstum. Schon als jungem Mann schien
ihm der Zweck der deutschen Einheit in der Machtgestaltung des Vaterlandes
zu liegen. Deswegen war auch das Ziel seiner Politik einfach die Erhöhung
der preußischen Macht. Es schloß die kleindeutsche Einheit in sich, ohne daß
sie gerade Selbstzweck gewesen wäre. Auch mit einer auf Norddeutschland
beschränkten Hegemonie hätte sich Bismarck begnügt, wenn es ihm nicht die
Fehler der französischen Politik möglich gemacht hätten, unmittelbar nach dem
Erwerb der norddeutschen Vorherrschaft schon Höheres ins Auge zu fassen
(vgl. meinen Aufsatz "Frankreich und die Gründung des Norddeutschen Bundes"
in Ur. 29 der "Grenzboten" 1916). Der machtpolitischen Grundüberzeugung
Bismarcks entsprachen auch die Mittel seiner Leitung. Von vornherein rechnete
er mit einer Entscheidung durch Blut und Eisen. Die ethischen Stimmungen
der Politik der Heiligen Allianz, die proösterreichischen so gut wie die antifran-


Bismarckgeist

Die Originalität der deutschen Politik Bismarcks besteht nicht in ihrem
Inhalt. Der ehemalige Gegner der Staatsmänner von 1848 hat, als er
selber berufen wurde, die deutsche Frage zu lösen, auf viele ihrer Pläne und
Gedanken zurückgegriffen. Selbst vor demokratischen Institutionen wie dem
allgemeinen Wahlrecht hat er sich nicht gescheut. Aber Bismarck war nicht
gebunden durch jene ethische Grundanschauung von der deutschen Einheit und
dem weltgeschichtlichen Beruf des deutschen Volkes, von der die Politiker der
Paulskirche und die Staatsmänner Friedrich Wilhelms des Vierten bei allen
Verschiedenheiten unter sich meist ausgingen. Die Grundpfeiler seiner Welt¬
anschauung waren Standesbewußtsein und Königstreue; alle Politik über den
Grenzen altpreußischen Staatslebens war für ihn mehr oder weniger ein Gebiet
jenseits von Gut und Böse, wo die Macht das entscheidende Wort zu sprechen
hat. Darin gleicht Bismarck dem Fürsten Schwarzenberg: wie dieser die deutsche
Politik einzig und allein vom österreichischen Staatsinteresse aus beurteilte, so
er vom preußischen, nur daß sie ihm von diesem aus nicht so nebensächlich
erschien wie dem österreichischen Grandseigneur. Weniger um Deutschland als
um Preußens willen ging er an die Lösung der nationalen Frage. Denn
Preußen an der Spitze Deutschlands stellt eine größere Macht dar als Preußen
allein. Und nicht weil er die nationale Einheit für ein Menschenrecht des
deutschen Volkes angesehen hätte, erstrebte er sie. sondern weil er der Nation
ein größeres Gewicht in Europa verschaffen wollte. Uns sind heute Dinge
wie Weltgeltung und Großmachtsansehen unsres Volkes vertraute Begriffe
geworden, wenigstens ist das Verständnis für ihre Bedeutung heute weiten
Kreisen zugänglich. Damals aber waren Bismarcks Gedankengänge noch etwas
Besonderes. Das deutsche Volk war gewohnt, seine Einheit zu ersehnen, weil
es ein Recht darauf hätte, entweder ein historisches, das man aus der mittel¬
alterlichen Kaiserherrlichkeit ableitete, oder ein rationales, weil die Philosophie
den Menschen und Völkern ein Selbstbestimmungsrecht zusprach. Bismarck
dagegen wurzelte in anderen Rechtsüberzeugungen: er glaubte an ein Recht
seines Staates auf Leben und Wachstum. Schon als jungem Mann schien
ihm der Zweck der deutschen Einheit in der Machtgestaltung des Vaterlandes
zu liegen. Deswegen war auch das Ziel seiner Politik einfach die Erhöhung
der preußischen Macht. Es schloß die kleindeutsche Einheit in sich, ohne daß
sie gerade Selbstzweck gewesen wäre. Auch mit einer auf Norddeutschland
beschränkten Hegemonie hätte sich Bismarck begnügt, wenn es ihm nicht die
Fehler der französischen Politik möglich gemacht hätten, unmittelbar nach dem
Erwerb der norddeutschen Vorherrschaft schon Höheres ins Auge zu fassen
(vgl. meinen Aufsatz „Frankreich und die Gründung des Norddeutschen Bundes"
in Ur. 29 der „Grenzboten" 1916). Der machtpolitischen Grundüberzeugung
Bismarcks entsprachen auch die Mittel seiner Leitung. Von vornherein rechnete
er mit einer Entscheidung durch Blut und Eisen. Die ethischen Stimmungen
der Politik der Heiligen Allianz, die proösterreichischen so gut wie die antifran-


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[0307] Bismarckgeist Die Originalität der deutschen Politik Bismarcks besteht nicht in ihrem Inhalt. Der ehemalige Gegner der Staatsmänner von 1848 hat, als er selber berufen wurde, die deutsche Frage zu lösen, auf viele ihrer Pläne und Gedanken zurückgegriffen. Selbst vor demokratischen Institutionen wie dem allgemeinen Wahlrecht hat er sich nicht gescheut. Aber Bismarck war nicht gebunden durch jene ethische Grundanschauung von der deutschen Einheit und dem weltgeschichtlichen Beruf des deutschen Volkes, von der die Politiker der Paulskirche und die Staatsmänner Friedrich Wilhelms des Vierten bei allen Verschiedenheiten unter sich meist ausgingen. Die Grundpfeiler seiner Welt¬ anschauung waren Standesbewußtsein und Königstreue; alle Politik über den Grenzen altpreußischen Staatslebens war für ihn mehr oder weniger ein Gebiet jenseits von Gut und Böse, wo die Macht das entscheidende Wort zu sprechen hat. Darin gleicht Bismarck dem Fürsten Schwarzenberg: wie dieser die deutsche Politik einzig und allein vom österreichischen Staatsinteresse aus beurteilte, so er vom preußischen, nur daß sie ihm von diesem aus nicht so nebensächlich erschien wie dem österreichischen Grandseigneur. Weniger um Deutschland als um Preußens willen ging er an die Lösung der nationalen Frage. Denn Preußen an der Spitze Deutschlands stellt eine größere Macht dar als Preußen allein. Und nicht weil er die nationale Einheit für ein Menschenrecht des deutschen Volkes angesehen hätte, erstrebte er sie. sondern weil er der Nation ein größeres Gewicht in Europa verschaffen wollte. Uns sind heute Dinge wie Weltgeltung und Großmachtsansehen unsres Volkes vertraute Begriffe geworden, wenigstens ist das Verständnis für ihre Bedeutung heute weiten Kreisen zugänglich. Damals aber waren Bismarcks Gedankengänge noch etwas Besonderes. Das deutsche Volk war gewohnt, seine Einheit zu ersehnen, weil es ein Recht darauf hätte, entweder ein historisches, das man aus der mittel¬ alterlichen Kaiserherrlichkeit ableitete, oder ein rationales, weil die Philosophie den Menschen und Völkern ein Selbstbestimmungsrecht zusprach. Bismarck dagegen wurzelte in anderen Rechtsüberzeugungen: er glaubte an ein Recht seines Staates auf Leben und Wachstum. Schon als jungem Mann schien ihm der Zweck der deutschen Einheit in der Machtgestaltung des Vaterlandes zu liegen. Deswegen war auch das Ziel seiner Politik einfach die Erhöhung der preußischen Macht. Es schloß die kleindeutsche Einheit in sich, ohne daß sie gerade Selbstzweck gewesen wäre. Auch mit einer auf Norddeutschland beschränkten Hegemonie hätte sich Bismarck begnügt, wenn es ihm nicht die Fehler der französischen Politik möglich gemacht hätten, unmittelbar nach dem Erwerb der norddeutschen Vorherrschaft schon Höheres ins Auge zu fassen (vgl. meinen Aufsatz „Frankreich und die Gründung des Norddeutschen Bundes" in Ur. 29 der „Grenzboten" 1916). Der machtpolitischen Grundüberzeugung Bismarcks entsprachen auch die Mittel seiner Leitung. Von vornherein rechnete er mit einer Entscheidung durch Blut und Eisen. Die ethischen Stimmungen der Politik der Heiligen Allianz, die proösterreichischen so gut wie die antifran-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/307>, abgerufen am 23.07.2024.