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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Lismarckgeist

Zeit für gekommen. Wie vorher von den Gewissensbedenken gegen den Bruch
mit Österreich, so war er jetzt auch von Scheu vor dem "Bündnis mit der
Revolution" frei. Er hielt eine offene Verständigung der deutschen Regierungen
und Preußens an ihrer Spitze mit der liberalen Pariei für das Gebot der
Stunde zur Niederhaltung der demokratischen Revolution und zur Aufrichtung
der deutschen Einheit. Er riß seit dem 1. März den eingeschüchterten Bundestag
aus seinem bisherigen Phlegma zu einer aktiven liberalen Politik sort, suchte
aber vergeblich für seine Pläne in Berlin Anklang zu finden. In vieler Be¬
ziehung dürfen wir den Minister des Innern, Bodelschwingh, als seinen Ge¬
sinnungsgenossen betrachten, es gelang aber beiden nicht, ihren der politischen
Denkweise des Königs gänzlich fremden Gedanken in der Regierung Boden zu
verschaffen, und mit dem Zusammenbruch des alten Preußens am 18. März
war der günstige Augenblick versäumt. Die Liberalen glaubten der preußischen
Staatsmacht nicht mehr zu bedürfen, das reine Prinzip fühlte sich nunmehr
erst recht als Herrn der Lage.

Dönhoff hat nachmals die Politik Camphausens unterstützt, die der seinen
sehr ähnlich sieht, aber doch von etwas veränderten Grundlagen ausgeht. Auch
Camphausen wollte Preußen zu einem Bündnis mit dem Liberalismus be¬
stimmen. Aber die Gedanken des zum Minister ausgerückten Kölner Kauf¬
manns und rheinischen Parteiführers waren von Haus aus ideologischer und
ähnelten in dieser Beziehung mehr denen Heinrichs von Gagern, des Führers
der Paulskirche. Gagern war kein Preuße und hätte es am liebsten gesehen,
wenn das Haus Hohenzollern für die Kaiserkrone, die er ihm zudachte, ganz
aufgehört hätte, eine preußische Königskrone zu tragen. Die acht preußischen
Provinzen sollten selbständige Einzelstaaten des Reiches werden, nur daß sie
als Landesherrn gemeinsam den Kaiser gehabt hätten, statt wie die anderen
Staaten ihre eigenen Fürsten. Hingegen war Camphausen überzeugter Preuße
und wollte die preußische Staatsmacht innerhalb des Reiches unverkürzt und
ungeteilt erhalten. Aber in dem mehr ethischen als machtpolitischen Ausgangs¬
punkt ihrer deutschen Ideen stimmen Camphausen und Gagern überein gegen
Dönhoff, der den preußischen Staatsegoismus und den deutschen Machtgedanken
stärker betonte. Camphausen hat auch als Staatsmann den friedliebenden
Charakter des Kaufmanns behalten und immer lieber durch Vereinbarung als
durch das Risiko eines offenen Bruches seine Ziele erreichen wollen. In die
Unzulänglichkeit solcher Mittel hat Radowitz wahrscheinlich eine klarere Einsicht
besessen als Camphausen. Radowitz war der alte Vertraute Friedrich Wil¬
helms des Vierten, der nach dem Scheitern des Frankfurter Verfassungswerkes
und der Politik Camphausens die Lösung der deutschen Frage in die Hand
nahm und als Leiter der sogenannten preußischen Unionspolitik in den Jahren
1849 und 1850 in der deutschen Geschichte allgemein bekannt ist. Radowitz
ist an staatsmännischer Begabung und politischem Gedankenreichtum über
Camphausen und Gagern zu stellen, zweifellos auch über Dönhoff, der es zu


Lismarckgeist

Zeit für gekommen. Wie vorher von den Gewissensbedenken gegen den Bruch
mit Österreich, so war er jetzt auch von Scheu vor dem „Bündnis mit der
Revolution" frei. Er hielt eine offene Verständigung der deutschen Regierungen
und Preußens an ihrer Spitze mit der liberalen Pariei für das Gebot der
Stunde zur Niederhaltung der demokratischen Revolution und zur Aufrichtung
der deutschen Einheit. Er riß seit dem 1. März den eingeschüchterten Bundestag
aus seinem bisherigen Phlegma zu einer aktiven liberalen Politik sort, suchte
aber vergeblich für seine Pläne in Berlin Anklang zu finden. In vieler Be¬
ziehung dürfen wir den Minister des Innern, Bodelschwingh, als seinen Ge¬
sinnungsgenossen betrachten, es gelang aber beiden nicht, ihren der politischen
Denkweise des Königs gänzlich fremden Gedanken in der Regierung Boden zu
verschaffen, und mit dem Zusammenbruch des alten Preußens am 18. März
war der günstige Augenblick versäumt. Die Liberalen glaubten der preußischen
Staatsmacht nicht mehr zu bedürfen, das reine Prinzip fühlte sich nunmehr
erst recht als Herrn der Lage.

Dönhoff hat nachmals die Politik Camphausens unterstützt, die der seinen
sehr ähnlich sieht, aber doch von etwas veränderten Grundlagen ausgeht. Auch
Camphausen wollte Preußen zu einem Bündnis mit dem Liberalismus be¬
stimmen. Aber die Gedanken des zum Minister ausgerückten Kölner Kauf¬
manns und rheinischen Parteiführers waren von Haus aus ideologischer und
ähnelten in dieser Beziehung mehr denen Heinrichs von Gagern, des Führers
der Paulskirche. Gagern war kein Preuße und hätte es am liebsten gesehen,
wenn das Haus Hohenzollern für die Kaiserkrone, die er ihm zudachte, ganz
aufgehört hätte, eine preußische Königskrone zu tragen. Die acht preußischen
Provinzen sollten selbständige Einzelstaaten des Reiches werden, nur daß sie
als Landesherrn gemeinsam den Kaiser gehabt hätten, statt wie die anderen
Staaten ihre eigenen Fürsten. Hingegen war Camphausen überzeugter Preuße
und wollte die preußische Staatsmacht innerhalb des Reiches unverkürzt und
ungeteilt erhalten. Aber in dem mehr ethischen als machtpolitischen Ausgangs¬
punkt ihrer deutschen Ideen stimmen Camphausen und Gagern überein gegen
Dönhoff, der den preußischen Staatsegoismus und den deutschen Machtgedanken
stärker betonte. Camphausen hat auch als Staatsmann den friedliebenden
Charakter des Kaufmanns behalten und immer lieber durch Vereinbarung als
durch das Risiko eines offenen Bruches seine Ziele erreichen wollen. In die
Unzulänglichkeit solcher Mittel hat Radowitz wahrscheinlich eine klarere Einsicht
besessen als Camphausen. Radowitz war der alte Vertraute Friedrich Wil¬
helms des Vierten, der nach dem Scheitern des Frankfurter Verfassungswerkes
und der Politik Camphausens die Lösung der deutschen Frage in die Hand
nahm und als Leiter der sogenannten preußischen Unionspolitik in den Jahren
1849 und 1850 in der deutschen Geschichte allgemein bekannt ist. Radowitz
ist an staatsmännischer Begabung und politischem Gedankenreichtum über
Camphausen und Gagern zu stellen, zweifellos auch über Dönhoff, der es zu


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[0304] Lismarckgeist Zeit für gekommen. Wie vorher von den Gewissensbedenken gegen den Bruch mit Österreich, so war er jetzt auch von Scheu vor dem „Bündnis mit der Revolution" frei. Er hielt eine offene Verständigung der deutschen Regierungen und Preußens an ihrer Spitze mit der liberalen Pariei für das Gebot der Stunde zur Niederhaltung der demokratischen Revolution und zur Aufrichtung der deutschen Einheit. Er riß seit dem 1. März den eingeschüchterten Bundestag aus seinem bisherigen Phlegma zu einer aktiven liberalen Politik sort, suchte aber vergeblich für seine Pläne in Berlin Anklang zu finden. In vieler Be¬ ziehung dürfen wir den Minister des Innern, Bodelschwingh, als seinen Ge¬ sinnungsgenossen betrachten, es gelang aber beiden nicht, ihren der politischen Denkweise des Königs gänzlich fremden Gedanken in der Regierung Boden zu verschaffen, und mit dem Zusammenbruch des alten Preußens am 18. März war der günstige Augenblick versäumt. Die Liberalen glaubten der preußischen Staatsmacht nicht mehr zu bedürfen, das reine Prinzip fühlte sich nunmehr erst recht als Herrn der Lage. Dönhoff hat nachmals die Politik Camphausens unterstützt, die der seinen sehr ähnlich sieht, aber doch von etwas veränderten Grundlagen ausgeht. Auch Camphausen wollte Preußen zu einem Bündnis mit dem Liberalismus be¬ stimmen. Aber die Gedanken des zum Minister ausgerückten Kölner Kauf¬ manns und rheinischen Parteiführers waren von Haus aus ideologischer und ähnelten in dieser Beziehung mehr denen Heinrichs von Gagern, des Führers der Paulskirche. Gagern war kein Preuße und hätte es am liebsten gesehen, wenn das Haus Hohenzollern für die Kaiserkrone, die er ihm zudachte, ganz aufgehört hätte, eine preußische Königskrone zu tragen. Die acht preußischen Provinzen sollten selbständige Einzelstaaten des Reiches werden, nur daß sie als Landesherrn gemeinsam den Kaiser gehabt hätten, statt wie die anderen Staaten ihre eigenen Fürsten. Hingegen war Camphausen überzeugter Preuße und wollte die preußische Staatsmacht innerhalb des Reiches unverkürzt und ungeteilt erhalten. Aber in dem mehr ethischen als machtpolitischen Ausgangs¬ punkt ihrer deutschen Ideen stimmen Camphausen und Gagern überein gegen Dönhoff, der den preußischen Staatsegoismus und den deutschen Machtgedanken stärker betonte. Camphausen hat auch als Staatsmann den friedliebenden Charakter des Kaufmanns behalten und immer lieber durch Vereinbarung als durch das Risiko eines offenen Bruches seine Ziele erreichen wollen. In die Unzulänglichkeit solcher Mittel hat Radowitz wahrscheinlich eine klarere Einsicht besessen als Camphausen. Radowitz war der alte Vertraute Friedrich Wil¬ helms des Vierten, der nach dem Scheitern des Frankfurter Verfassungswerkes und der Politik Camphausens die Lösung der deutschen Frage in die Hand nahm und als Leiter der sogenannten preußischen Unionspolitik in den Jahren 1849 und 1850 in der deutschen Geschichte allgemein bekannt ist. Radowitz ist an staatsmännischer Begabung und politischem Gedankenreichtum über Camphausen und Gagern zu stellen, zweifellos auch über Dönhoff, der es zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/304>, abgerufen am 23.07.2024.