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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Bismarckgeist

einem großen und zwar dem eigenen Volke im vollen Lichte der Kultur mit
bewußtem Willen angestrebt worden. Hier lohnt es sich wohl, einmal nach
den Faktoren dieses Willens zu fragen: ob ethisch-kulturelle Überzeugungen oder
der Drang zur Macht, zur Geltung im Rate der Völker ihn mehr und an
besserem Erfolg bestimmten.

Es ist kein Zweifel -- schon Treitschke hat das mit Recht betont --, daß
der nationale Gedanke in Deutschland eher als ethisch-literarische Forderung
aufgetreten ist, denn als wirtschaftlich-machtpolitischer Anspruch. Aus den
Humanitätsgedanken der Aufklärung, so universalistisch sie von Haus aus waren,
erwuchs in folgerichtiger Fortentwicklung die Idee der Nation. Wir sehen sie
reifen in unsrer klassischen Philosophie und Dichtung, volkstümlich werden in
der Romantik, ehe noch die staatlich "wirtschaftlichen Verhältnisse als solche soweit
fortgeschritten waren, daß ihnen die Erfüllung der nationalen Forderungen ein
Bedürfnis erschien. Der Druck der napoleonischen Fremdherrschaft war es
zunächst, der die Deutschen die Unzulänglichkeit ihres zerfahrenen politischen
Zustandes am eigenen Leibe spüren ließ, und die erwachenden Interessen der
Industrie und des Handels, die eine Überwindung der wirtschaftlichen Zer¬
splitterung und des Krühwinkelgeistes verlangten, reihten allmählich die nationale
Idee unter die Forderungen der täglichen Arbeit aufstrebender Volkskreise ein.

Der Freiheitskampf gegen Napoleon ist weit überwiegend mit sittlichen
Argumenten geführt worden. Man begehrte die nationale Unabhängigkeit als
Menschenrecht, mau empfand das Machtstreben des korsischen Eroberers als
einen Frevel gegen Gott und die Menschheit und sprach pathetisch von der
Strafe, die ihn durch die Waffen der Freiheitskämpfer ereilen müsse. "Heilig"
nannte man die Allianz, in der damals Österreich, Rußland und Preußen
beisammenstanden. Es war "kein Krieg, von dem die Kronen wissen", sondern
ein "Kreuzzug" und ein "heiliger Krieg". Gänzlich fern lag den Deutschen
der Gedanke, Macht in Europa zu erlangen. Sonst hätte man sich nicht bei
Verfassung des Deutschen Bundes, wie sie der Wiener Kongreß schließlich
feststellte, beruhigt. Denn sie war zu allem eher geeignet als zu einem In¬
strument nationaler Macht. Der Bund war militärisch jämmerlich, und wenn
Deutschland seit 1814 unabhängig von Fremdherrschaft blieb, so war das nicht
Verdienst des Bundes, sondern seiner militärkräftigen Glieder Österreich und
Preußen und Folge des Gleichgewichts der europäischen Großmächte. Als nun
trotzdem die Unzulänglichkeit des Bundes immer offenbarer wurde und der
nationale Gedanke Fortschritte machte, blieb doch das ethische Interesse für ihn
grundlegend. Nach nationaler Einheit zu streben um der Macht und Welt¬
geltung willen, womöglich gar auf Kosten auswärtiger Staaten, wäre von der
deutscheu öffentlichen Meinung als Äußerung eines unwürdigen National¬
egoismus verworfen worden.

Noch bei unserm ersten eigentlichen Reichsgründungsversuch, der im Jahre
1848 begann, herrschen die ethischen Beweggründe und das human-nationale


Bismarckgeist

einem großen und zwar dem eigenen Volke im vollen Lichte der Kultur mit
bewußtem Willen angestrebt worden. Hier lohnt es sich wohl, einmal nach
den Faktoren dieses Willens zu fragen: ob ethisch-kulturelle Überzeugungen oder
der Drang zur Macht, zur Geltung im Rate der Völker ihn mehr und an
besserem Erfolg bestimmten.

Es ist kein Zweifel — schon Treitschke hat das mit Recht betont —, daß
der nationale Gedanke in Deutschland eher als ethisch-literarische Forderung
aufgetreten ist, denn als wirtschaftlich-machtpolitischer Anspruch. Aus den
Humanitätsgedanken der Aufklärung, so universalistisch sie von Haus aus waren,
erwuchs in folgerichtiger Fortentwicklung die Idee der Nation. Wir sehen sie
reifen in unsrer klassischen Philosophie und Dichtung, volkstümlich werden in
der Romantik, ehe noch die staatlich »wirtschaftlichen Verhältnisse als solche soweit
fortgeschritten waren, daß ihnen die Erfüllung der nationalen Forderungen ein
Bedürfnis erschien. Der Druck der napoleonischen Fremdherrschaft war es
zunächst, der die Deutschen die Unzulänglichkeit ihres zerfahrenen politischen
Zustandes am eigenen Leibe spüren ließ, und die erwachenden Interessen der
Industrie und des Handels, die eine Überwindung der wirtschaftlichen Zer¬
splitterung und des Krühwinkelgeistes verlangten, reihten allmählich die nationale
Idee unter die Forderungen der täglichen Arbeit aufstrebender Volkskreise ein.

Der Freiheitskampf gegen Napoleon ist weit überwiegend mit sittlichen
Argumenten geführt worden. Man begehrte die nationale Unabhängigkeit als
Menschenrecht, mau empfand das Machtstreben des korsischen Eroberers als
einen Frevel gegen Gott und die Menschheit und sprach pathetisch von der
Strafe, die ihn durch die Waffen der Freiheitskämpfer ereilen müsse. „Heilig"
nannte man die Allianz, in der damals Österreich, Rußland und Preußen
beisammenstanden. Es war „kein Krieg, von dem die Kronen wissen", sondern
ein „Kreuzzug" und ein „heiliger Krieg". Gänzlich fern lag den Deutschen
der Gedanke, Macht in Europa zu erlangen. Sonst hätte man sich nicht bei
Verfassung des Deutschen Bundes, wie sie der Wiener Kongreß schließlich
feststellte, beruhigt. Denn sie war zu allem eher geeignet als zu einem In¬
strument nationaler Macht. Der Bund war militärisch jämmerlich, und wenn
Deutschland seit 1814 unabhängig von Fremdherrschaft blieb, so war das nicht
Verdienst des Bundes, sondern seiner militärkräftigen Glieder Österreich und
Preußen und Folge des Gleichgewichts der europäischen Großmächte. Als nun
trotzdem die Unzulänglichkeit des Bundes immer offenbarer wurde und der
nationale Gedanke Fortschritte machte, blieb doch das ethische Interesse für ihn
grundlegend. Nach nationaler Einheit zu streben um der Macht und Welt¬
geltung willen, womöglich gar auf Kosten auswärtiger Staaten, wäre von der
deutscheu öffentlichen Meinung als Äußerung eines unwürdigen National¬
egoismus verworfen worden.

Noch bei unserm ersten eigentlichen Reichsgründungsversuch, der im Jahre
1848 begann, herrschen die ethischen Beweggründe und das human-nationale


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/302>, abgerufen am 25.08.2024.